Spanien sagt dem Müll den Kampf an
21. November 2022"Ja, sie können gerne Wasser vom Hahn haben, aber es schmeckt sehr schlecht." Der Kellner im schicken Restaurant Veles Events am Yachthafen von Valencia ist genervt. Die Kunden verlangen immer öfter Leitungswasser, aber er hat den Auftrag von seinem Chef, sie zu warnen, dass es nicht gesund ist. Der Gast aus Madrid empfindet das als Trick.
Seit dem im April verabschiedeten und im kommenden Jahr vollständig in Kraft tretenden Abfallgesetz (Ley de residuos y suelos contaminados) müssen Restaurants gratis Leitungswasser anbieten, um so die vielen Plastikwasserflaschen zu vermeiden. "Aber hier klaffen Anspruch und Realität deutlich auseinander," sagt Borja Mateu, der beim Forschungszentrum INESCOP in Alicante arbeitet, wo er eine kleine Recyclingfabrik leitet. Tatsächlich schmeckt das Wasser auch hier an der Costa Blanca nach Chemie. Wegen seiner an vielen Küstenorten mangelhaften Aufbereitung wurde die Touristenhochburg Spanien schon mehrfach von der Europäischen Union gerügt.
Recycling eher Fehlanzeige
Auch das ist ein Grund, warum Spanien nach Angaben von Greenpeace der fünftgrößte Produzent von Einwegflaschen in der EU ist und zudem nur wenige davon wiederverwertet. Gemäß des Global-Waste-Index 2022 produziert Deutschland zwar mit 632 Kilogramm pro Kopf wesentlich mehr Müll als Spanien, das auf 455 Kilogramm kommt, aber die Hälfte davon wird wiederverwertet, während Spanien gerade mal auf eine Recyclingquote von 86 Kilogramm pro Kopf kommt. Eine neue Steuer auf Einwegkunststoffbehälter und eine weitere auf Abfälle in Deponien und Verbrennung soll das Müllaufkommen in Spanien bis 2030 im Vergleich zu 2010 um 15 Prozent reduzieren.
"Das neue Abfallgesetz verbietet zudem die Vermarktung von Einwegplastikprodukten sowie Kosmetik- und Reinigungsmitteln, die Mikroplastik enthalten, und vernichtet oder entsorgt überschüssige nicht verderbliche Produkte wie unter anderem Textilien, Spielzeug oder Elektrogeräte," erklärt Nachhaltigkeitsexpertin May López von der EAE Business School in Madrid.
Fast-Fashion-Paradies vor großen Herausforderungen
Für die spanische Wirtschaft wird das zur Herausforderung. Im Herbst nächsten Jahres stehen Parlamentswahlen an, und für den sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez sieht es auch wegen der von seiner Regierung verordneten vielen Auflagen und Steuern für die Unternehmen nicht gut aus.
Eine überzeugte grüne Bewegung gibt es in Spanien nicht. Das neue Abfallgesetz sieht jedoch vor, dass Restaurants und Supermärkte ihren Müll auf ein Minimum reduzieren müssen. Restessen muss gespendet oder zu Tierfutter weiterverarbeitet werden. Der Restaurantgast hat ein Recht, das nicht verspeiste Schnitzel des Kindes ordentlich verpackt mit nach Hause zunehmen. "Aber es fehlt teilweise die Infrastruktur für solche Systeme," sagt Mateu. In Spanien gäbe es anders als in Deutschland noch nicht einmal ein allgemeines Pfandsystem für Getränkeflaschen.
Beim Eintritt in seine Recyclingfabrik wird das Problem sofort sichtbar: Eine Maschine zerhackt gebrauchte Schuhe in kleinste Teile und sortiert dabei wertvolle Teile wie Knöpfe und Draht aus. "In Spanien landen sie sonst einfach auf der Deponie, obwohl sie viele wertvolle Stoffe enthalten," ärgert sich Mateu.
Mit Inditex und Mango beherbergt das Land zudem zwei Riesen der Fast-Fashion-Industrie. Auf der Gran Vía in Madrid reihen sich die Läden von Modeketten wie Primark, Bershka, Mango, Zara und Stradivarius aneinander. Die Jugend steht hier jeden Tag Schlange für ein paar T-Shirts und Jacken zum Schleuderpreis, wovon viele ein paar Monate später wieder im Abfall oder auf der Straße landen, wo nur wenige sie mit nach Hause nehmen.
Second-Hand und Flohmärkte sind nicht Teil der spanischen Kultur. Alle würden von Nachhaltigkeit reden, aber keiner habe es wirklich verinnerlicht, klagt Mateu, der die Deutschen und ihre Ökobewegung bewundert. So wird in den Apotheken die Medikamentenschachtel immer noch in Papier gewickelt und dann in einer Tüte über die Theke gereicht. Als die deutsche Kundin sich weigert, den "Müll" auch noch mitzunehmen, wo sie die Tabletten doch einfach in ihre Tasche stecken kann, schaut die Verkäuferin verdutzt, als habe sie etwas Neues entdeckt.
Gesetze und Realität gehen auseinander
Es ist Donnerstagabend. Spanische Jugendliche feiern wie jede Woche in Madrid auf einem Kinderspielplatz. Das ist verboten, aber Juan, Ana und Javier wissen, dass sie nichts zu befürchten haben. Die Polizeistreife lässt sie unbehelligt, obwohl dafür seit diesem Jahr Strafen von bis zu 2000 Euro fällig sind. Nach ihrer Party liegen Zigarettenreste, Bierdosen und Plastikverpackungen auf dem Boden. Aber am nächsten Morgen ist wieder alles sauber, deswegen hält sich der Ärger der Bürger darüber in Grenzen.
Sauberkeit ist den Spaniern sehr wichtig, aber die Reinigung des eigenen Drecks können andere übernehmen. Am Morgen fährt der Kehrwagen durch die Madrider Innenstadt, die Müllabfuhr war schon um Mitternacht unterwegs, die Reinigungskolonen haben die Parks vom Abfall der Nacht befreit und nach Diesel stinkende Laubsauger dröhnen auf allen Wegen.
Spaniens Städte sind ohne Zweifel sauberer als viele deutsche. Aber das hat seinen Preis: Nach Berechnungen der Zeitung "El Diario" betragen die Ausgaben für die Madrider Müllabfuhr und Stadtreinigung heute 70 Prozent mehr als vor der Pandemie. "Die Erziehung der spanischen Gesellschaft wird noch einige Zeit dauern," befürchtet Mateu.
Denn die Sache mit dem neuen Abfallgesetz ist vielen Spaniern ein Graus, auch die Opposition wettert nach Kräften. Die konservative Chefin der Madrider Regionalregierung, Isabel Díaz Ayuso, verglich Sánchez' Politik jüngst mit Sektiererei und Kommunismus.