Soll der 8. Mai Feiertag werden?
3. Februar 2020Der 8. Mai 1945 war der Tag, an dem die Waffen schwiegen. Mit der "bedingungslosen Kapitulation" der Deutschen Wehrmacht war der Zweite Krieg in Europa zu Ende. Adolf Hitler hatte sich wenige Tage zuvor das Leben genommen. Das Ende seines "Tausendjährigen Reiches" wollte er nicht miterleben. Für ihn und alle überzeugten Nationalsozialisten war der 8. Mai der Untergang ihrer Welt.
Ihre Ideologie hatte ungeheure Verwüstungen angerichtet: Der Krieg kostete mehr als 60 Millionen Menschen das Leben, über sechs Millionen Juden waren ermordet worden, weite Teile Europas zerstört. Wer bis dahin als politischer Gefangener oder Jude eines der Konzentrationslager oder als Soldat den Fronteinsatz überlebt hatte, für den war der 8. Mai im unmittelbaren Sinne eine Befreiung.
Doch nicht für alle. Rund 14 Millionen Deutsche wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Beim Vormarsch der Sieger kam es zu Vergewaltigungen, Plünderungen und Morden. Für viele deutsche Soldaten begann die Kriegsgefangenschaft, von der ein Teil nicht zurückkehrte. Im Einflussbereich der Sowjetunion, in der späteren DDR, blieb den Deutschen die Demokratie noch mehr als 40 Jahre lang verwehrt. Für viele war der 8. Mai daher erst der Beginn von neuem Leid. Der Rechtsphilosoph Christian Hillgruber spricht von einer "Ambivalenz dieses Tages". Erklärte man ihn offiziell zum "Tag der Befreiung", wäre das in seinen Augen "eine unangemessene Verkürzung seines Bedeutungsgehalts".
Wie die AfD heute
Von diesem sehr unterschiedlichen Erleben des 8. Mai 1945 hatte auch der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 in seiner berühmten Rede zum Gedenken an das Kriegsende gesprochen. Zu den Kriegsfolgen für die Deutschen mahnte er: "Wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte."
Weizsäcker sprach bereits von einem "Tag der Befreiung". Das war 1985 noch ungewöhnlich. Theodor Heuss hatte als Mitglied des Parlamentarischen Rates, aber noch nicht als Bundespräsident, am 8. Mai 1949 bei der Verkündung des Grundgesetzes gesagt, die Deutschen seien vier Jahre zuvor "erlöst und vernichtet in einem" gewesen. Aber noch Jahrzehnte nach Kriegsende überwog in der Bundesrepublik noch ganz der Aspekt der Niederlage statt der der Befreiung. In der DDR dagegen war die Deutung des Kriegsendes als Befreiung zwar von Anfang an Staatsräson. Doch das war von oben verordnet und kam nicht aus der Breite der Gesellschaft.
Auch die Weizsäcker-Rede 1985 erntete nicht ungeteilte Zustimmung: So schimpfte etwa der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß über die "ewige Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe". Für heutige Ohren klingt das ähnlich wie die radikalere Forderung des AfD-Politikers Björn Höcke nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad".
Welcher ist der passendste Tag?
Wie stark verankert in der Bevölkerung ist heute der 8. Mai als Befreiung vom NS-Regime? Christian Hillgruber meint, das empfinde heute zwar "die ganz überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland" so, aber dies geschehe "wenig reflektiert und beruht bei den jüngeren Generationen nicht auf eigener Erfahrung".
Seit 2002 ist der 8. Mai in Mecklenburg-Vorpommern offizieller Gedenktag, aber kein Feiertag, seit 2015 auch in Brandenburg. Einmalig soll er dieses Jahr im Bundesland Berlin ein gesetzlicher Feiertag sein.
Nach dem Wunsch der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano soll der 8. Mai in ganz Deutschland und auf Dauer ein Feiertag sein. Sie hatte in einem offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Mitglieder des Bundestages geschrieben, ein solcher Feiertag würde helfen, "endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes".
Für ihren Vorschlag bekam sie breite Unterstützung aus dem Bundestag. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sieht ihn als Tag, der das demokratische Deutschland erst möglich gemacht habe, und als Mahnung, die deutschen Verbrechen nicht zu relativieren. Ähnlich äußerten sich Politiker der Linkspartei. Michael Theurer von der FDP plädiert für einen europaweiten Feiertag. Dezidiert dagegen hat sich bisher kein ranghoher Politiker geäußert, allerdings auch kein hoher Politiker von Merkels CDU dafür.
Da es Bejarano vor allem um die Erinnerung an die Ermordung der Juden geht, hält Christian Hillgruber den 27. Januar, den Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, für das "passendere Datum", weil der Tag "symbolhaft für das steht, was tatsächlich uneingeschränkt als Befreiung angesehen und gefeiert werden kann: das Ende des NS-Terrors und der Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen". Ein Gedenktag ist der 27. Januar auch bereits seit langem, allerdings kein arbeitsfreier Tag.
Verordnetes Gedenken?
Hillgruber warnt in der Debatte vor der Versuchung des Staates, "Empfindungen zu verordnen; amtliche Geschichtsdeutungen können nur Deutungsangebote sein, deren Annahme jedem freigestellt ist". Der Jenaer Historiker Norbert Frei hatte bereits zum 70. Jahrestag des Kriegsendes angesichts von Forderungen der Linkspartei nach einem offiziellen Feiertag im Deutschlandfunk gesagt: "Ich glaube, wir sollten nicht immer noch neue gesetzliche Versuche machen, unser historisches Gedenken, unser Geschichtsbewusstsein festzuschreiben. (…) Ich würde insgesamt dazu raten, historische Reflexion, die wichtig ist, die aus der Gesellschaft auch kommen soll und muss, nicht in historische Gesetze zu gießen."
Christian Hillgruber sieht bei allem gebotenen Erinnern auch die Gefahr eines Überdrusses: "Wir haben inzwischen nach meiner Einschätzung deutlich zu viele Gedenktage, was die Bedeutung jedes einzelnen schmälert und viele Menschen des Ganzen überdrüssig werden lässt." Die Gefahr sei besonders groß, wenn die Botschaft "ständig und in einer schulmeisterlich-belehrenden Art vorgetragen wird".