Smolensk-Absturz spaltet Polen
10. April 2017Kranzniederlegungen, Gottesdienste, Kundgebungen: Polen gedenkt im ganzen Land des Flugzeugabsturzes in Smolensk im Westen Russlands vor sieben Jahren. Damals kamen Staatspräsident Lech Kaczynski und 95 weitere Personen ums Leben - darunter die Führung der polnischen Streitkräfte, Politiker, Geistliche und hohe Beamte. Sie waren auf dem Weg zu einer Gedenkfeier im russischen Katyn gewesen. Dort und an anderen Orten hatte die sowjetische Geheimpolizei im Zweiten Weltkrieg etwa 22.000 inhaftierte Polen erschossen.
Eine polnische Regierungskommission kam nach dem Absturz 2010 - ähnlich wie eine russische Kommission - zu dem Schluss, der wahrscheinlichste Grund des Absturzes sei gewesen, dass die Piloten trotz dichten Nebels hätten landen wollen.
Dennoch droht der innenpolitische Streit über Vor- und Nachgeschichte des Absturzes jetzt immer schärfer zu werden. Lechs Zwillingsbruder Jaroslaw ist Chef der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Bisher hatte er dem damaligen Premier und heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk eine moralische Mitschuld an der Katastrophe gegeben. Tusk hatte vor der Gedenkfeier darauf hingearbeitet, seinen Besuch und den von Lech Kaczynski getrennt zu organisieren. Für Tusks Kritiker barg dieser Umstand stets Raum für Spekulationen und Schuldzuweisungen.
Tusk wegen Landesverrats angezeigt
Nun aber muss auch die polnische Justiz aktiv werden: Verteidigungsminister Antoni Macierewicz hat wegen des Smolensk-Absturzes Anzeige gegen Donald Tusk erstattet. Der Vorwurf lautet: "diplomatischer Verrat", das entspricht ungefähr dem in anderen Staaten existierenden Straftatbestand des "Landesverrats". In Polen stehen darauf bis zu zehn Jahre Haft. Dabei geht es offenbar nur um den Zeitraum nach dem Flugzeugunglück. Die Regierung Tusk habe bei der Aufklärung des Absturzes gegenüber Russland schwere Fehler begangen und sei gegenüber Moskau nachgiebig gewesen, so der Vorwurf.
Tusk habe seine Pflichten nicht erfüllt und die Ermittlungen zur Unglücksursache leichtfertig in die Hände Russlands gegeben, so Macierewicz. Auch habe Tusk zu wenig unternommen, um die Rückgabe des Flugzeugwracks von Russland an Polen durchzusetzen, die der damalige Staatspräsident Dmitri Medwedew versprochen habe. Gleiches gelte für die Bemühungen um die Rückgabe der Flugschreiber: Wrack und Flugschreiber befinden sich bis heute in Russland.
Im März konnte Warschau einen Verbündeten gewinnen, der mithelfen soll, das Wrack aus Russland zurückzuholen: den Argentinier Luis Moreno Ocampo. Er war bis 2012 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Moreno Ocampo will, wie er der Zeitung "Dziennik" sagte, "ausschließlich als Experte und Berater im Kontext des internationalen Rechts" seinen Beitrag leisten. Er wolle eine "unabhängige Stellungnahme" vorlegen.
Seit 2015 arbeitet auch eine Untersuchungskommission der Regierung an dem Fall. Nach und nach sollen die Opfer exhumiert und auf Sprengstoffspuren untersucht werden.
Ex-Minister Sikorski soll als Zeuge aussagen
Bereits an diesem Dienstag muss in einem anderen Verfahren, in dem es um mögliche Pflichtverletzungen polnischer Diplomaten im Zusammenhang mit Smolensk geht, Tusks damaliger Außenminister Radoslaw Sikorski als Zeuge aussagen.
Außerdem beschuldigen die polnischen Behörden jetzt auch die russischen Fluglotsen; sie sollen das polnische Flugzeug bei dichtem Nebel vorsätzlich in die Katastrophe "gelockt" haben. Motiv soll nach dieser Logik gewesen sein, Lech Kaczynski auszuschalten. Der war stets ein lautstarker Kritiker des damaligen russischen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Wladimir Putin war.
Schon bisher war dank Mitschnitten des Funkverkehrs bekannt, dass die zwei Fluglotsen auf dem kaum genutzten Waldflugplatz bei Smolensk hoffnungslos überfordert waren, telefonisch bei Vorgesetzten Rat suchten und am Ende entschieden, die Präsidentenmaschine trotz dichten Nebels landen zu lassen, anstatt den Flugplatz zu sperren. Jetzt steht also der Vorwurf im Raum, die Beteiligten hätten "vorsätzlich" fehlerhaft gehandelt.
Und so spaltet die Smolensk-Aufarbeitung bis heute das Land: Viele sprechen deshalb auch von einer "Smolensk-Religion". Doch das Ereignis wird auch innenpolitisch genutzt: Mit der Schuldzuweisung an die eine oder andere Stelle will die Regierungspartei PiS dem tragischen Ereignis einen politisches Motiv geben. Und die Katastrophe so in eine Reihe mit früheren nationalen Tragödien stellen - etwa der von Katyn.