Zusammenhalten gegen Druck von außen
31. Oktober 2019Von Montag bis Donnerstag dieser Woche tagt in Peking das vierte Plenum des 19. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Es ist die wichtigste Konferenz des Jahres, bei der die rund 370 höchsten Kader der Partei die Weichen für Chinas Zukunft stellen.
Auch wenn es eher die Ausnahme als die Regel ist, wurden dabei in der Vergangenheit bahnbrechende Entscheidungen bekanntgegeben. Die wohl wichtigste für China und die Welt: Beim Plenum von 1978 wurde die Reform- und Öffnungspolitik auf den Weg gebracht, die Chinas Wirtschaftsboom begründete. 2013 wurde nach 34 Jahren erstmals die Ein-Kind-Politik gelockert. Und beim jüngsten Plenum im Februar 2018 wurden die Statuten der Kommunistischen Partei dahingehend geändert, dass Xi Jinping potenziell auf Lebenszeit an der Macht bleiben kann, statt nur zwei aufeinanderfolgende Wahlperioden zu regieren.
Kurzfristiger Termin und reichlich Spekulationen
Erst vergangene Woche wurde bekannt gegeben, dass die vierte Plenarsitzung in dieser Woche tagt - wie immer hinter verschlossenen Türen. Seit dem vorangegangenen Treffen sind 20 Monate vergangen - die längste Unterbrechung seit Jahrzehnten. Das hat natürlich Anlass zu Spekulationen gegeben: Waren innerparteiliche Grabenkämpfe der Grund für die Verzögerung? Oder wollte man nur bis nach dem 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik warten? Wächst hinter den Kulissen der Widerstand gegen den Staatspräsidenten und KPCh-Generalsekretär Xi Jinping und seine immer größere Machtfülle? Oder ist er so mächtig, dass das Plenum gar nicht mehr regelmäßig tagen muss?
Die einen sagen, die Tonlage der staatlichen Medien spreche für die erste Variante. Andere interpretieren die gleichen Sätze als Zeichen für große Stabilität. "Die gesamte Partei" habe "die wichtige strategische Aufgabe die Modernisierung des chinesischen Systems und die Regierungsfähigkeit voranzubringen". Dafür müsse "eine starke Parteiführung und eine rechtsstaatliche Führung des Landes aufrechterhalten werden". Ist das nun die Aufforderung an Xis Widersacher zusammenzuhalten oder lässt Xi damit schlicht verlauten: Alles im Griff! Oder ist es sogar beides? Wir wissen es leider nicht. Und wahrscheinlich ist es Kalkül, dass wir es nicht wissen.
Eins ist jedoch offensichtlich: Xi möchte seine Macht ausbauen. Und klar ist auch: Die große Mehrheit der Bevölkerung sehnt sich eher nach mehr Ordnung - man könnte auch sagen: nach einer harten Hand - und steht hinter Xi. Wenn heute freie Wahlen standfinden würden, hätte nicht etwa ein chinesischer Barack Obama die größten Chancen, sondern ein Politiker, der vielleicht noch härter wäre als der jetzige Staats- und Parteichef. Deswegen empfinden auch weit weniger Chinesen als wir im Westen glauben, zum Beispiel die am vergangenen Sonntag (27.10.) von der Partei herausgegebenen neuen "Richtlinien zur moralischen Erziehung der Bürger für eine neue Ära" als Gängelung. Dort wird unter anderem betont, dass "China in Ehren" gehalten werden müsse, ob "beim Reisen, beim Essen oder bei sportlichen Veranstaltungen".
Trump hilft Xi mehr als er ihm schadet
Das heißt konkret: Wer zum Beispiel im Ausland herumpöbelt, schadet nicht nur sich selbst, sondern auch Chinas Ruf und muss deshalb befürchten, dass ihm der Staat auf die Füße tritt. Nützlich ist dabei der von US-Präsident Donald Trump angezettelte Handelskrieg: Diesen begreifen viele Chinesen mittlerweile als eine Art Belagerungszustand, um den Aufstieg Chinas abzuwürgen. Die Proteste in Hongkong mit gewalttätigen Tendenzen werden mehrheitlich abgelehnt. Das patriotische Gemeinschaftsgefühl von "Mit uns oder gegen uns" ist in China momentan so ausgeprägt wie lange nicht. Und es wird durch die chinesischen Staatsmedien noch befeuert: Wir Chinesen müssen bei Druck von außen zusammenhalten! Insofern hilft Trump Xi mehr als er ihm schadet.
Das alles ist wichtig angesichts der großen Herausforderungen: Chinas Wirtschaft wächst nicht so schnell, wie es wünschenswert wäre. Die Profite der Industrie sind im September um 5,3 Prozent zurückgegangen. Allerdings ist der Konsum zwischen Januar und September um 8,2 Prozent gewachsen. Die Autoindustrie stagniert, weil Kunden wegen der Umstellung auf E-Mobilität den Kauf ihres Neuwagens aufschieben. Eine Schweinepest hat die Schweinefleischpreise verdoppelt. Das merken die Chinesen unmittelbar in ihrem Geldbeutel, was jedoch noch kein Grund für soziale Unruhen ist. Chinas Staatsschulden wachsen weiter, das Land hat aber kaum Auslandsschulden und kann deshalb nicht von ausländischen Gläubigern unter Druck gesetzt werden. Im Land selbst merkt man das nicht. Inflation spielt keine Rolle.
China braucht weiteres Wachstum
International ist es jedoch eine Zeit "bedeutender Umbrüche, wie sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen wurden", schreibt die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Dazu kommen Langzeit-Herausforderungen wie die Versorgung der alternden Bevölkerung, weniger Arbeitsplätze für immer mehr Universitätsabsolventen und die Kluft zwischen wohlhabenden Küstenregionen und armen Provinzen wie Guizhou oder Gansu - allesamt Mammutaufgaben in einem Land mit 1,4 Milliarden Menschen, die kaum je abgeschlossen sein werden. Deshalb wird es bei diesem Plenum sicher um Wirtschaft - besser gesagt: um Wachstum - gehen.
Und Wachstum kann Peking auch erzielen, indem es China weiter öffnet. Restriktionen für ausländische Investment-Banken, Wertpapierfirmen und Vermögensverwalter sollen vollständig aufgehoben werden. Zudem dürfen ausländische Investoren in noch mehr Bereichen mehrheitliche und hundertprozentige Beteiligungen halten. Die Deregulierung des Marktes und der Abbau von Negativlisten könnte nach dem Plenum weiter voranschreiten. Und dies nicht zuletzt auch, um den Handelsstreit mit den USA zu deeskalieren und ausländischen Investoren, aber auch Privatunternehmern in China zu zeigen, dass der Staat seine strategischen Interessen nicht über den Markt stellt.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.