Kritik an Israels Internetzensur
18. Januar 2019"Widersteht, mein Volk, widersteht ihnen. In Jerusalem verdeckte ich meine Wunden und atmete meine Sorgen. Und ich trug meine Seele in meiner Hand. Für ein arabisches Palästina."
So lauten die ersten Zeilen von Dareen Tatours Gedicht "Widersteht, mein Volk". Nachdem sie es 2015 im Internet auf YouTube veröffentlichte - unterlegt mit Bildern von Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern - landete sie im Gefängnis. Der Vorwurf: Anstiftung zur Gewalt und Unterstützung einer Terrororganisation.
Die Dichterin und Aktivistin Tatour ist eine von Hunderten Palästinensern, die Israel jedes Jahr wegen ihrer Social Media-Posts festnehmen lässt. In den vergangenen Jahren nutzten immer mehr Palästinenser die sozialen Netzwerke, um ihrer Meinung über die Lebensbedingungen unter der israelischen Besetzung Luft zu machen. Seitdem überwacht und zensiert Israel die Online-Posts noch stärker als zuvor.
Mehr digitale Rechte für Palästinenser
Um dem entgegen zu wirken, hat 7amleh, das Arabische Zentrum zur Förderung sozialer Medien, ein dreitägiges Forum für palästinensischen Digital-Aktivismus in Ramallah organisiert. Damit will 7amleh die schwindende Meinungsfreiheit in Palästina ansprechen und digitale Rechte vorantreiben. Die DW-Akademie unterstützt das Forum finanziell und schickt ebenso Trainer in die Region, die über digitale Themen sprechen.
Omar Shakir ist Direktor von Human Rights Watch für Palästina und Israel. Er ist überzeugt: Die sozialen Medien haben Israel die Möglichkeit gegeben, die grundlegenden Bürgerrechte der Palästinenser einzuschränken. "Israel überwacht die Plattformen massiv und nutzt sie, um die Rechte der Palästinenser zu überwachen, die sich für Meinungsfreiheit engagieren", sagt Shakir der DW.
2015 hat Israel eine Cyber-Abteilung geschaffen, die der Staatsanwaltschaft untersteht. Die Mitarbeiter dieser Einheit beschäftigen sich mit den "Herausforderungen der Überwachung des Cyberspace" indem sie Posts in sozialen Medien zensieren. Auf eine Interviewanfrage der DW reagierte die Cyber-Einheit nicht. Laut 7amleh arbeitet die Abteilung mit Internetriesen wie Facebook und YouTube zusammen, um Inhalte zu entfernen und Nutzer sperren zu lassen.
Für Meinungsfreiheit verhaftet
Die Dichterin Tatour war eine der ersten Palästinenser, die von der Einheit ins Visier genommen wurde. Neben dem Gedicht, wurde ihr vorgeworfen, Posts auf Facebook veröffentlicht zu haben, mit denen sie mutmaßlich zu Gewalt aufgerufen habe. An einem frühen Morgen im Oktober 2015 wurde Tatour bei einer Razzia festgenommen. Anschließend wurde sie drei Monate zwischen verschiedenen israelischen Gefängnissen hin und her geschickt, bis sie schließlich unter Hausarrest gestellt wurde. Im Mai 2018 verurteilte sie ein Gericht wegen Anstiftung zur Gewalt zu fünf Monaten Gefängnis. "Ich habe nie damit gerechnet, dass ich jemals dafür verhaftet werden würde, dass ich ein Gedicht geschrieben und veröffentlicht habe", sagt Tatour.
Mit ihrem Gedicht wollte Tatour das Leiden ihres Volkes ausdrücken, unter der Besetzung leben zu müssen. "Ich wollte sagen, dass es unser Recht ist, gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung Widerstand zu leisten", sagt Tatour.
Soziale Medien: Ort der Meinungsfreiheit
Laut 7amleh sind rund 350 Palästinenser 2018 in ähnlichen Fällen verhaftet worden. Allerdings ist es schwer, diese Zahl zu überprüfen. Die israelische Regierung verweigert regelmäßig den Zugang zu solchen Daten. "Social-Media wird immer mehr zum wichtigsten Ort, an dem sich die Menschen ausdrücken können. Das gilt vor allem für das Westjordanland, wo sich die Palästinenser nicht frei bewegen können", sagt Omar Shakir von Human Rights Watch.
Dareen Tatour bestätigt diese Beobachtung. Die Online-Netzwerke seien ihre Möglichkeit, ihrer Stimme auch außerhalb des Landes Gehör zu verschaffen: "Mein Zugang zur Außenwelt ist durch die Besatzung eingeschränkt, genauso wie durch die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen", sagt sie.
Aber jetzt, wo sie weiß, dass sie auch auf den Online-Plattformen ständig überwacht wird, hat Tatour Angst. Angst, dass sie jederzeit wieder verhaftet werden könnte. "Israel will nicht, dass Palästinenser über Politik und die Realität der Besetzung sprechen", ist die Dichterin überzeugt. "Sie haben Angst vor der Wahrheit."
Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat ein hochproblematisches Gesetz zur Ahndung von Cyber-Straftaten durchgesetzt. Es reicht, etwas auf Websites oder in anderen sozialen Medien zu veröffentlichen, das angeblich gegen die öffentliche Ordnung verstößt, um im Gefängnis zu landen.
lgorithmus überwacht Online-Aktivitäten
All dem schließt sich jetzt noch ein neues Polizeisystem in Israel an - in Form eines Computer-Algorithmus. Er überwacht Tausende Online-Accounts und identifiziert "Verdächtige", die Israel möglicherweise angreifen könnten. Dieser Algorithmus bereitet Shakir von Human Rights Watch große Sorgen: "Der Algorithmus basiert auf Prinzipien, die nicht internationalen Gesetzen entsprechen."
Als Besatzungsmacht ist Israel an das Völkerrecht gebunden und muss Bürgerrechte gewährleisten. Dazu gehört auch die Meinungsfreiheit, aber auch dass Bürger Kritik gegenüber der Politik äußern dürfen. Jede Einschränkung muss auf einen bestimmten Kontext beschränkt sein - diese Unterscheidung könne ein Computer nicht leisten.
Facebook und Twitter akzeptieren die meisten Anfragen Israels
Sahar Francis ist Vorsitzender der Organisation Addameer, die sich für die Rechte palästinensischer Gefangener einsetzt. Er hält die Überwachung der Social-Media-Aktivitäten für illegal, genauso wie die daraus folgenden Verhaftungen: "Wir haben das Recht die Besatzung zu kritisieren und gegen sie Widerstand zu leisten."
Auch die Social-Media-Unternehmen sind dazu angehalten, die Rechte ihrer Nutzer zu gewährleisten. "Im Falle Palästinas müssen sie die Anfragen nach Nutzerdaten genau prüfen. Sie müssen verstehen, welche Folgen das haben kann und zu welchen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen das führen könnte", sagt Omar Shakir. Die Medienrechtsorganisation 7amleh berichtet, dass Unternehmen wie Facebook und Twitter im Jahr 2017 mehr als 85 Prozent der israelischen Anfragen akzeotierte, "Inhalte zu entfernen, die als schädlich oder gefährlich eingestuft wurden".
Sahar Francis sagt, sie kenne eine ganze Reihe Posts, die entfernt wurden und für die Palästinenser im Gefängnis gelandet seien: "Wenn du ein Bild eines Märtyrers teilst und du einen Satz schreibst wie 'Möge Gott ihn segnen', reicht das schon. Das wird bereits als terroristische Unterstützung und Anstiftung zu Gewalt betrachtet."