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Missbrauchsvorwurf in Haitis Fußballverband

Jonathan Crane | Barbara Mohr
5. Juni 2020

Der Chef des nationalen Fußballverbands ist einer der mächtigsten Männer in Haiti. Nun wird ihm sexueller Missbrauch vorgeworfen. Er räumt ein, mit einer Ex-Spielerin ein Kind zu haben. Fehlverhalten aber sieht er nicht.

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Yves Jean Bart, der Präsident des haitianischen Fußballverbandes, steht an einem Rednerpult der FIFA (Foto: Getty Images/A. Schneider)
Bild: Getty Images/A. Schneider

Die Angst ist deutlich zu spüren. Angst bei Opfern und Zeugen, sich zu dem schweren Skandal zu äußern, der derzeit den Haitianischen Fußballverband (Fédération Haitienne de Football, FHF) erschüttert. Yves Jean-Bart, der bisherige Präsident, soll mehrere minderjährige Spielerinnen sexuell missbraucht haben.

Ein Trainer aus Haiti, der den Verband von innen kennt, hatte die Vorwürfe in einem ersten Gespräch mit der DW zunächst bestätigt und erzählt, dass auch Spielerinnen aus seiner eigenen Mannschaft direkt betroffen seien: "Man hat Dinge mit ihnen gemacht, die sie nicht wollten." Später zog er diese Aussage wieder zurück. Alles ein großes Missverständnis, sagt er inzwischen, seine Mädchen seien immer gut behandelt worden. Und er selbst wisse eigentlich auch von nichts.

Pascale Solages, eine führende Frauenrechtsaktivistin in Haiti, kennt das. "Oft schweigen die Opfer aus Scham," sagt sie. Besonders schwierig sei es, wenn die Täter Autoritätspersonen seien, wie im Falle des FHF-Präsidenten: "Jean-Bart hat Macht, deshalb kann er Opfer einschüchtern, er kann Familien einschüchtern, er kann Institutionen einschüchtern."

Ein Fußballverein außerhalb Haitis, bei dem bis vor kurzem auch eine haitianische Spielerin unter Vertrag stand, erklärte: "Wir sind sehr besorgt über die Situation. Wir finden diese Vorwürfe sehr verstörend." Der ehemaligen Spielerin würden sie Unterstützung anbieten.

Schwere Vorwürfe

Ende März machte die britische Zeitung "The Guardian" die Anschuldigungen erstmals öffentlich. Die DW führte zahlreiche Gespräche mit verschiedenen Quellen, um die Vorwürfe eigenständig zu überprüfen. Auch Jean-Bart wurde um ein Interview gebeten, ließ die Anfrage jedoch unbeantwortet.

Der "Guardian" beschreibt detailliert, wie Jean-Bart junge Spielerinnen am nationalen Trainingscenter dazu gezwungen haben soll, mit ihm Sex zu haben. Mindestens zwei Mädchen hätten ein Kind von ihm abgetrieben. In einem weiteren Artikel heißt es außerdem, dass Spielerinnen und ihre Familien nach den ersten Berichten über den Missbrauch Todesdrohungen erhalten hätten.

Die Polizei in Haiti ist nach eigenen Angaben dabei, die Vorwürfe zu untersuchen. In einer Stellungnahme wies Jean-Bart die Vorwürfe zurück. Sie seien ein Komplott, um ihn aus dem Haitianischen Fußballverband zu vertreiben. Die FHF stellte sich bislang hinter Jean-Bart.

Der Weltfußballverband FIFA suspendierte Jean-Bart indes für 90 Tage. In dieser Zeit soll die Ethik-Kommission den Fall untersuchen und mithilfe einer eigenen Arbeitsgruppe auch vor Ort Beweise sammeln. Entsprechend der FHF-Regeln ist für die Zeit der Suspendierung der längste amtierende Vizepräsident des Haitianischen Verbandes, Joseph Varieno Saint-Fleur, zum Interimspräsidenten gewählt worden.

Große Macht

Zwanzig Jahre lang hat Jean-Bart den Fußball in Haiti angeführt. Informanten zeichnen das Bild eines mächtigen Mannes mit Verbindungen in Politik und Medien, weit über den Fußball hinaus. Der ehemalige Journalist besitzt unter anderem einen eigenen kommerziellen Radiosender.

Ein Weg, über den Jean-Bart seine Macht ausüben konnte, ist die Vergabe von Visa - ein wertvolles Gut in einem der ärmsten Länder der Welt. Diese Visa, so erfuhr die DW in mehreren Gesprächen, sollen von Jean-Bart als Belohnung für loyales Verhalten eingesetzt worden sein, sowohl bei Spielerinnen als auch bei Journalisten. "Man hat wirklich eine große Macht, wenn man Menschen die Möglichkeit geben kann, zu reisen und das Land zu verlassen," so eine Quelle.

Ein weiterer Informant sagte der DW, dass es schlichtweg unmöglich gewesen sei, den Präsidenten zu kritisieren, weil man im Gegenzug mit Repressalien und dem Verlust von Privilegien rechnen musste. Aus diesem Grund wüssten die Opfer nicht, wem sie trauen könnten, und wären zu verängstigt, um auszusagen, wenn man sie auf die Vorwürfe anspricht.

"Keine Beweise" für die Vorwürfe

Für die Kommunikation während dieser Krise holte sich die FHF professionelle Unterstützung. Evan Niermann, der schon TED Talks über seine Arbeit gehalten hat, ist ein Spezialist in Sachen Krisenmanagement - und seit Kurzem auch Sprecher der FHF. Im Gespräch mit der DW sagte er, die Anschuldigungen entbehrten "jeder Wahrheit und Grundlage".

Nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe hatte der Verband sich selbst an das National Network for the Defense of Human Rights (RNDDH) gewandt, eine unabhängige Menschenrechtsorganisation in Haiti. Mehrfach wird von der FHF auf diesen Schritt hingewiesen - als Zeichen für den Willen zur Aufklärung und Transparenz.

FIFA-Präsident Gianni Infantino am Rednerpult drt FIFA (Foto: AFP/F. Fife)
Auch FIFA-Präsident Gianni Infantino ist in der PflichtBild: AFP/F. Fife

Die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung allerdings sind verheerend. Laut Zwischenbericht räumte Jean-Bart während der Befragung ein, mit einer ehemaligen Spielerin ein Kind zu haben. Das RNDDH beschreibt die Erkenntnisse aus den Interviews mit mehreren Personen als "inakzeptabel" und hält fest, dass der Präsident offenbar "mehrfach in sexuelle Skandale mit jungen Spielerinnen" verwickelt gewesen sei.

Die FHF kommt dennoch zu einer anderen Einschätzung: "Der Bericht hat keine konkreten Opfer oder Zeugen gefunden," schreibt der Verband in einem Statement und behauptet, dass einige der Interviewten entweder "langjährige Kritiker" von Jean-Bart und des Verbands seien oder eigene Interessen verfolgten. Auch die Berichterstattung über die Vorwürfe sei "ungenau, unausgewogen und sehr fehlerhaft". Krisenmanager Niermann weist zudem darauf hin, dass zahlreiche Quellen nur anonym und damit nicht glaubwürdig seien: "Stellen Sie sich vor, sie hätten ein Kind, das vergewaltigt und zur Abtreibung gezwungen worden ist. Würden Sie nicht zur Polizei gehen? Würden Sie sich nicht beschweren?"

Opfer in Gefahr

In Haiti, einem Land mit schwachem Justizsystem, wo Männer das tägliche Leben dominieren, zeigen Frauen Missbrauch grundsätzlich nur sehr selten an. Das erzählt auch Yolette Jeanty von der Frauenrechtsorganisation Kay Fanm, die kürzlich in Port-au-Prince einen Straßenprotest gegen Jean-Bart organisiert hat. Sie sagt, dass junge Spielerinnen besonders anfällig für Ausbeutung seien: "Die möglichen Opfer hier sind Minderjährige, die davon träumen, in die Nationalmannschaft berufen zu werden. Es ist sehr gut möglich, dass die Vorwürfe gegen Jean-Bart wahr sind. Aber die Athletinnen haben Angst etwas zu sagen, weil sie sich nicht mit der Person anlegen wollen, die die Macht hat, ihre Karrieren zu beenden."

Die polizeilichen Untersuchungen werden von der Abteilung für Kinderschutz geführt. Jean-Bart wurde bereits verhört, aber noch nicht angeklagt. "Was ich sagen kann ist, dass die Untersuchungen gut vorankommen,“ so Michel-Ange Loius Jeune, ein Sprecher der Haitianischen Polizei. "Um jemanden wegen Fehlverhaltens anzuklagen, braucht man Beweise. Das ist ein universelles Prinzip."

Versäumnisse der FIFA

Der Fall in Haiti zeigt viele Parallelen zum Missbrauchsskandal, der 2018 die afghanische Fußballnationalmannschaft der Frauen erschütterte und dessen Folge die Absetzung des Verbandspräsidenten und weiterer hoher Offizieller war. Die FIFA wurde damals hart dafür kritisiert, dass sie zu langsam reagiert und die Opfer zu spät vor den Tätern geschützt hatte.

Von den Vorwürfen in Haiti erfuhr der Fußball-Weltverband nach eigenen Angaben durch eine Medienanfrage im März 2020. Auf die Nachfrage, warum Jean-Bart erst zwei Monate später suspendiert wurde, erklärte ein FIFA-Sprecher, dass die ursprünglichen Informationen sehr "vage" gewesen seien und "für eine Untersuchung nicht ausreichten".

Minky Worden, Direktorin bei Human Rights Watch (HRW), verfolgt die Vorgänge ganz genau. Im Vergleich zu den Vorfällen 2018 habe die FIFA diesmal schon schneller reagiert, sagt sie. Aber nicht schnell genug. "Egal auf welchem Weg die FIFA von den Vorwürfen gehört hat, sie hätte sofort eine Untersuchung einleiten und die Spielerinnen und Whistleblower schützen müssen“, so Worden. Stattdessen soll die FIFA sogar den Verband in einem Telefonat über die ungeprüften Vorwürfe informiert haben. "Der Präsident hätte niemals die Möglichkeit bekommen dürfen, seine Taten zu verwischen."

Fürsorgepflicht

Eigentlich hatte die FIFA vorgesorgt. Nach den Vorfällen in Afghanistan wurde ein "Child Protection Officer" benannt und ein Schutzprogramm gestartet. Fünf Schritte werden dort beschrieben, mit deren Hilfe Verbände für den Schutz von Kindern sorgen sollten. Über ein anonymes Meldesystem können Opfer Missbrauch anzeigen. Die Effektivität der Maßnahmen ist jedoch fraglich. Das System lässt sich nur in den vier offiziellen FIFA-Sprachen bedienen. Viele der Spielerinnen in Haiti beispielsweise sprechen nur Créole.

Auch ist das Schutzprogramm nicht Teil der nationalen Statuten. Die FHF sagte auf Nachfrage, dass man gerade noch dabei sei, "die Richtlinien zu studieren und an der Umsetzung der Empfehlungen zu arbeiten". Die Unterlagen hätten man erst im Januar diese Jahres erhalten.

Worden sieht die FIFA in der Fürsorgepflicht: "Wenn etwas freiwillig ist, kannst du selbst entscheiden, ob du es anwenden möchtest. Es sollte aber niemals eine Wahl sein, Kinder zu schützen oder nicht", so die Direktorin von Human Rights Watch. "Solange es eine 'Mach’-es-wie-du-meinst'-Haltung gibt, werden Verbände darauf herumtrampeln."

Sophie Serbini von der DW trug zu diesem Bericht bei.