Wenn Helfer fremdgehen....
16. Februar 2018Ein Helfer, sollte man meinen, handelt vor allem im Sinne derer, die dringend auf seine Hilfe angewiesen sind. Doch das Bild des selbstlosen Helfers in Krisengebieten ist offenbar ein Mythos. Denn wer hilft, hat Macht - und manche nutzen diese aus.
Mitarbeiter der britischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Oxfam sollen nicht nur nach dem schweren Erdbeben in Haiti 2010 in der Dienstvilla der Organisation regelrechte Sexorgien mit Prostituierten gefeiert haben. Auch bei Hilfseinsätzen im Tschad 2006 hat es wohl solche Sexpartys gegeben. Im Südsudan sollen Oxfam-Mitarbeiter sogar Frauen vergewaltigt haben.
Es ist nicht der erste Sexskandal, der die Welt der internationalen Hilfe erschüttert. "Mitarbeiter oder auch Partner von Hilfsorganisationen in Einsatzgebieten haben sich immer wieder der sexuellen Ausbeutung der Bevölkerung vor Ort mitschuldig gemacht", konstatiert Burkhard Wilke, Geschäftsführer des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen, im DW-Gespräch. Was nun ans Tageslicht rückt, sei kein Einzelfall.
Andere aktuelle Beispiele: Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" meldet jüngst 24 Fälle von Missbrauch oder sexueller Belästigung im vergangenen Jahr. Die Hilfsorganisation "International Rescue Committee" (IRC) räumt ein, bei Einsätzen in der Demokratischen Republik Kongo habe es drei Fälle sexuellen Missbrauchs gegeben.
Bordell auf dem Balkan
Etwas länger zurück liegen Verfehlungen von Helfern während des Jugoslawienkriegs in den 1990er Jahren. Auch in den Kriegswirren auf dem Balkan kam es zu sexueller Ausbeutung von Mädchen und Frauen durch internationale Helfer. UN-Blauhelmsoldaten und humanitäre Helfer - sie alle sollen regelmäßig Prostituierte aufgesucht haben.
Um betroffenen Frauen vor Ort zu helfen, hat die deutsche Frauenrechtsorganisation "Medica Mondiale" bereits während des Balkankonflikts traumatisierte Frauen in Bosnien unterstützt. Noch heute hilft die Kölner NGO Mädchen und Frauen in Kriegs- und Krisengebieten.
Ara Stielau, Leiterin der Internationalen Programme, beobachtet: Lange habe die Szene es als "Kavaliersdelikt und Privatvergnügen" betrachtet, wenn Helfer während ihrer Einsätze Prostituierte aufsuchten, sagt sie der DW. Stielau erinnert sich dabei noch gut an die Worte einer Führungskraft einer deutschen Hilfsorganisation: Mit dem sexuellen Fehlverhalten einiger seiner Mitarbeiter konfrontiert, hätte der geantwortet: "Ich kann meinen Männern ja nicht unter die Decke gucken."
Die Hemmschwelle sinkt
Bei den Frauen sei die wirtschaftliche Not ausschlaggebend, in die Prostitution zu gehen. Die Übergänge seien dabei fließend, gibt Stielau im DW-Gespräch zu bedenken. Die Not sei oftmals so groß, dass die Hemmschwelle sinkt, Nahrung oder Geld gegen Sex entgegen zu nehmen. So entstehe eine Dynamik zwischen notleidenden einheimischen Frauen und männlichen Helfern aus dem Ausland. Die verfügen schließlich über Ressourcen - und über die Macht, Hilfsgüter zu verteilen.
Doch wie kann es sein, dass Helfer ihre Machtposition derart ausnutzen? Unbestritten ist: Der Einsatz in einem Katastrophengebiet ist eine Ausnahmesituation. Idealerweise sind die Helfer sich ihrer Verantwortung bewusst und werden rund um ihre Arbeit psychologisch begleitet. Doch natürlich entsteht automatisch ein Machtgefälle zwischen Helfern und Hilfsbedürftigen.
"Mitarbeiter einer Organisation verfügen über Geld und damit über den Einfluss, dem einen zu helfen und dem anderen nicht - und das schafft Versuchungen", erklärt Burkhard Wilke. Diese Gefahren seien den meisten internationalen Hilfsorganisationen bewusst. Spezielle Verhaltenskodizes sollen auch alle Mitarbeiter daran erinnern. "Der Fall Oxfam offenbart jedoch: Nicht immer werden die notwendigen Konsequenzen gezogen, wenn es zu sexuellen Verfehlungen kommt", sagt Wilke.
In der Vertrauenskrise
"Die Dienste von Prostituierten in Anspruch zu nehmen, mag nicht unbedingt gegen die jeweiligen Landesgesetze verstoßen, aber es widerspricht allen Verhaltenskodizes, die Hilfsorganisationen erlassen haben", sagt Burkhard Wilke. Organisationen wie Oxfam riskieren, ihren guten Ruf verspielen.
Der Vertrauensverlust kann enorm sein. In der Welt der Wohlfahrt ist Glaubwürdigkeit eine wichtige Währung. Nicht-staatliche Hilfsorganisationen sind auf Spenden angewiesen - und auf das Vertrauen der Spender. Die wollen schließlich wissen: Landet mein Geld auch wirklich bei den Notleidenden?
Deshalb müsse die Öffentlichkeit auch"schonungslos" über Verfehlungen informiert werden, rät DZI-Geschäftsführer Wilke. Oberstes Gebot dabei: Transparenz. Wilkes Institut vergibt in Deutschland das Spendensiegel an Organisationen, die ethisch korrekt und transparent handeln. Bei Verfehlungen können NGOs das Gütesiegel wieder verlieren.
Spenden brechen ein
Wie empfindlich Spender regieren, musste Unicef erfahren. Nach der Finanzaffäre 2007 trat der damalige Geschäftsführer Dietrich Garlichs zurück und Unicef verlor das DZI-Siegel. Die Spendeneinnahmen brachen von 81 Millionen im Jahr 2007 auf 55 Millionen 2008 ein.
In Großbritannien hingegen gibt es ein solches einheitliches Label nicht. Und im Fall von Oxfam mangelte es ganz offenkundig auch an Transparenz. So hat Oxfam zwar 2011 in einer Pressemitteilung eingeräumt, man habe das Führungsteam in Haiti entlassen. Als Gründe wurden jedoch Machtmissbrauch und Regelverstöße genannt. Kein Wort von Prostitution und Sexpartys.
Klar ist: Machtmissbrauch kann überall stattfinden, wo es Macht zu missbrauchen gibt. In der Politik, der Wirtschaft, der Kirche, bei öffentlichen Institutionen - und eben auch bei Hilfsorganisationen. Der Großteil der Helfer mag verantwortungsbewusst handeln. Doch die Skandale erschüttern die Welt der Hilfsorganisationen. Und schaden letztlich denen, die auf Hilfe so dringend angewiesen sind. Prostitution in Krisengebieten - das ist eben kein Kavaliersdelikt.