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Serbien in der Krise

Ejub Stitkovac 17. Dezember 2003

Die regierende Koalition in Serbien ist zerfallen, das Parlament aufgelöst, Neuwahlen gibt es am 28. Dezember. Die Stimmung im Lande schwankt zwischen Galgen-Humor und Resignation.

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Die Präsidentschaftskandidaten Serbiens konnten zu wenige Serben begeisternBild: AP

Aus den Worten eines Belgraders klingt die pure Verbitterung: "Für mich ist es am wichtigsten, dass die Ampeln funktionieren!" Nachdem in Serbien auch beim dritten Anlauf die Präsidentschaftswahlen wegen zu geringer Wahlbeteiligung gescheitert sind, überlegt so mancher Bürger, ob es überhaupt zwingend notwendig ist, das Amt des Präsidenten zu besetzen.

"Ein wundersames Land"

So sieht die aktuelle politische Situation aus: Ein Staat, der nur dem Anschein nach funktioniert. Den politischen Analysten Vladimir Vuletic wundert es da gelegentlich, dass die Ampeln funktionieren, die Parkanlagen gepflegt werden und der öffentliche Verkehr reibungslos abläuft. Seiner Einschätzung nach sind die Durchschnitts-Bürger viel verantwortungsbewusster und gewissenhafter als die Politiker.

"Häufig werden Fehler in der Politik der angeblich unsoliden Bevölkerung, der fehlenden demokratischen Kultur zugeschrieben. Auf diese Weise werden die eigenen Fehler auf die Allgemeinheit übertragen", beschreibt Vuletic den gesellschaftlichen Automatismus. "Die Gesellschaft funktioniert einfach, es gibt bestimmte Ämter und Dienste, die Gott sei Dank auch arbeiten. Die Menschen sind im Grunde verantwortungsbewusst. Das Problem besteht jedoch darin, dass es niemanden gibt, der die Organisation übernimmt", sagt er.

Manche haben ihren Humor noch nicht verloren – so kommentiert eine Belgraderin die Situation: "So etwas gibt es auf der ganzen Welt nicht. Das ist hier ein wundersames Land."

Rückblick

Das demokratische Regierungsbündnis DOS aus 18 Parteien wurde 2000 mit dem Ziel des Siegs über Milosevic und dessen Sozialistischer Partei bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen gegründet. Ihr Kandidat Vojislav Kostunica erzielte bei der Präsidentenwahl im September 2000 mehr Stimmen als Milosevic. Ein Jahr später lieferte das regierende Bündnis Milosevic an das Kriegsverbrechertribunal nach Den Haag aus.

Danach kam die erste Zerreißprobe: Einer der DOS-Führer, der letzte jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica, sah in der Auslieferung einen Verstoß gegen die Verfassung und verließ aus Protest mit seiner Demokratischen Partei Serbiens (DSS) und zwei weiteren Parteien die Koalition.

Das verbliebene 15-Parteien-Bündnis litt in der Folgezeit unter politischen Meinungsverschiedenheiten, persönlichen Streitigkeiten sowie Korruptions- und Mafiavorwürfen. Nach der Ermordung von Ministerpräsident Zoran Djindjic im Frühjahr 2003, dessen Demokratische Partei (DS) die Koalition dominierte, verschärften sich die Konflikte.

Gegen das Regierungsbündnis unter Djindjics Nachfolger Zoran Zivkovic beantragte die Opposition schließlich ein Misstrauensvotum. Die Regierung wurde der Geldwäsche und des Machtmissbrauchs beschuldigt. Durch die Auflösung des Parlaments im und die Ansetzung einer Neuwahl blieb der Regierung das Misstrauensvotum jedoch erspart.

Vorwürfe gegen die Regierung

Der Chefredakteur der Zeitschrift "Neues serbische politische Denken", Djordje Vukadinovic, erhebt schwere Vorwürfe: "Die Regierung war sich durchaus bewusst, dass sie das Vertrauen im Parlament verliert und dass ein Misstrauensvotum stattfinden wird", sagt er. "Um dies zu verhindern, hat die Regierung das Parlament aufgelöst. Wenn sie dies nicht getan hätte, würde wenigstens eine Institution funktionieren. Die aktuelle Regierung hat den gleichen Schritt unternommen wie seinerzeit, 1993, Slobodan Milosevic." Für Milosevic war es jedoch damals ein Schritt, um seine Macht zu festigen. Das ist bei der heutigen Regierung eher nicht der Fall.