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Schümann: "Dichter am Fliegen als am Segeln"

Olivia Fritz19. September 2013

Deutschlands bester Segler Jochen Schümann kritisiert im DW-Interview die aktuelle Entwicklung beim America´s Cup und revidiert einige seiner Vorhersagen.

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Portrait Jochen Schümann mit dem America's Cup, der ältesten Sporttrophäe der Welt. (Foto: ddp images/AP Photo/Herbert Knosowski).
Bild: AP

Der America's Cup ist das älteste und wichtigstes Segelrennen der Welt. Aber in diesem Jahr ist alles ein wenig anders: Das Rennen polarisiert. Milliardär Larry Ellison hat für das Oracle-Team viel Geld in die Hand genommen und spezielle Rennboote entwickelt, die noch schneller, dynamischer, aber auch gefährlicher sind. Das sorgt für gute Fernsehbilder und zieht die Massen in die Bucht von San Francisco. "Es sind lange Nächte", berichtet der dreimalige Segel-Olympiasieger Jochen Schümann, der die Rennen des America's Cup genau verfolgt.

DW: Der America's Cup ist fast zu Ende und es sieht ganz nach einem Herausforderer-Sieg aus. Es steht 8:3 für das Team aus Neuseeland, der Titelverteidiger Oracle muss also noch sechs Siege einfahren, um doch noch zu gewinnen. Hat Sie die Überlegenheit der Neuseeländer überrascht?

Jochen Schümann: Ja, durchaus. Obwohl ich es ihnen sehr gewünscht habe, bin ich doch sehr überrascht, dass sie von ihrer gesamten Entwicklungskonzeption so früh mit dem ersten Schiff draußen waren und nur mit einem Schiff fahren. Aber offensichtlich sind sie so gut, dass sie dem Verteidiger Oracle Team USA Paroli bieten können. Und mehr als das.

Eigentlich schien das Milliardär-Team des Titelverteidigers Oracle hoch überlegen zu sein, kaum ein anderes Team konnte bei der Entwicklung mithalten. Warum jetzt doch?

Offensichtlich sind die Techniker und Segler vom Team New Zealand doch sehr clever und haben vom ersten Tag die richtigen Wege und die richtige Konzeption an gehabt. Sonst hätten sie das zeitlich und kostenmäßig sicher nicht mit den begrenzten Möglichkeiten hinbekommen. Meine Vorhersage war ja eigentlich so, dass Oracle aufgrund der großen Potenziale den Cup wahrscheinlich verteidigt. Ich bin gespannt. Die haben viel dazugelernt. Die Rennen werden enger. Ich hoffe, dass sich das nicht komplett umdreht, denn noch sind die Kiwis nicht am Ziel.

"Wie ein Flugzeug"

Man hat es gesehen: Die Rennen sind spektakulär, schneller als je zuvor, die Boote fahren nicht mehr, sie fliegen über das Wasser. Wie funktioniert das genau?

Erst einmal sind es Katamarane, mit zwei Rümpfen. Dadurch sind sie stabiler, weil sie sozusagen auf zwei breiten Beinen stehen und mehr Segelfläche tragen können. Gleichzeitig sind auch die Segel optimiert. Es sind keine wirklichen Segel mehr, sondern starre Flügel wie beim Flugzeug. Ähnlich ist es bei den Schwertern [Anm. d. Red.: durch den Bootsrumpf geschobene Platte], die im Wasser wie Flügel wirken. Das sorgt dafür, dass durch den Wind extrem viel Vortrieb und Kräfte entwickelt werden. Wenn dann das Boot schnell genug wird. Es hebt aus dem Wasser ab, es verbleibt nur noch der Flügel im Wasser, der Rest des Bootes fliegt. Ich denke, wir sind dichter am Fliegen als am Segeln.

Das Boot des Team Oracle im Rennen vor der Golden Gate Bridge. (Foto: Josh Edelson/AFP/Getty Images)
Dramatische Szenen, spektakuläre Manöver: Die Boote scheinen über das Wasser zu fliegenBild: Getty Images

Bei diesem Rennen wurden neue Höchstgeschwindigkeiten erzielt und auch der Skipper des Oracle-Teams hat zugegeben, dass man wie in der Formel 1 permanent neu lernen müsse, wie die Geräte zu fahren sind. Im Vergleich zu früheren Rennen: Wie gefährlich sind hier einfache Fehler? Und sind die Boote überhaupt noch zu beherrschen?

Offensichtlich haben die Teams es mittlerweile gelernt, diese Schiffe gut zu beherrschen. Aber sie sind weit weg vom Segelsport. Weil es keine richtigen Segel mehr gibt, weil die Boote mehr fliegen als segeln. Trotzdem ist es Segeln. Das sieht man daran, dass all die Leute, die das entwickelt haben und in den Team sind, die besten Segler sind, die bisher auch mit normalen Segelschiffen unterwegs waren. Ob es das richtige Segeln ist, ist fragwürdig. Ich denke, normales Segeln findet mit weichen Segeln statt, die man setzen und bergen kann und wo manches ein bisschen langsam geschieht. Ob Geschwindigkeit das ultimative Charakteristikum ist für das Segeln, stelle ich mal infrage.

"Super Leistung der Kiwis"

Im achten Duell gab es eine Schrecksekunde: Der Katamaran der Neuseeländer wäre fast gekentert. Was geschieht in einem solchen Moment, wie müssen wir uns das vorstellen?

Es gibt Schiffe, die die beiden Race-Boote verfolgen. Man versucht immer, die größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Man sieht auch an den Anzügen der Segler, wie gut sie vorbereitet sind. Mit Schwimmwesten, mit Messern, mit Notausrüstung in jeder Hinsicht, um sich eventuell auch unter dem Boot aus dem Netz zu befreien, was immer auch passiert. Aber die Kiwis haben einen super Job gemacht und ihren Fehler auf Kosten eines Penaltys gerettet, weil sie die Wende ja nicht regelgerecht komplettiert haben. Aber sie haben in der letzten Sekunde verhindert, dass das Boot nicht komplett kentert und zu Schaden kommt. Man hat gesehen, dass außer den beiden, die auf dem Luv-Schwimmer [Anm. d. Red.: Rumpf auf der dem Wind zugewandte Seite] waren und in mehr als zehn Metern Höhe in der Luft geschwebt sind, keiner staunende Augen gemacht hat. Sie haben weiter geackert und dafür gesorgt, dass das Boot wieder in seine normale Lage zurückgekippt ist. Also aus dem Fehler heraus war das eine super Leistung, dass sie das Kentern noch verhindern konnten.

Wie gefährlich das für die Besatzung werden kann, hat man im Mai gesehen, als der britische Segelstar Andrew Simpson (Team Artemis) starb. Aus diesem tragischen Unfall hat man gelernt und bei starkem Wind Rennen abgesagt. Nun kritisieren Segelfreunde, dass man das perfekte Segelwetter verschenkt und fragen sich, ob das noch etwas mit Segeln zu tun hat?

Das ganze Format war sehr herausfordernd und abenteuerlich, wodurch es zu dem Unfall gekommen ist. Das, was danach geschehen ist, war ein Versuch, alle wieder ruhig zu stellen, die sehr heftig den America's Cup und das Format kritisiert haben. Dass jetzt die Regeln von der Windstärke so eng sind, ist natürlich schade. Ursprünglich waren alle darauf vorbereitet, Schiffe zu bauen, die irgendwo zwischen drei und 30 Knoten [Anm. d. Red.: gut 55 km/h] segeln sollten. Jetzt ist es um ein Drittel bis auf knapp über 20 Knoten eingeschränkt. Für uns Zuschauer wäre es spannender, wenn die beiden besten Teams auch bei höheren Windgeschwindigkeiten segeln würden.

Was denken Sie: Wie wird der Amerika´s Cup sich entwickeln, wie sieht die Zukunft aus?

Da kann ich mich gar nicht zu äußern. Das ist eines der verrückten Dinge beim America's Cup, dass es kein typisches Sportevent ist, das sich fortschreibt und feststehende, kontinuierliche Regeln hat. Sondern es ist so, dass derjenige, der den Cup gewinnt, auch alle Rechte gewinnt an der Austragung, am Veranstaltungsort, an der Bootsklasse. Im Prinzip werden alle Regeln durch den Sieger neu geschrieben. Wer also gewinnt, kann bestimmen: Geht es weiter mit den Katamaranen? Bleibt es weiter in San Francisco? Geht´s mit den Neuseeländern vielleicht zurück nach Auckland? Wenn die Kiwis gewinnen, haben wir gute Chancen, dass der Cup in gewisser Hinsicht wieder erneuert und zurückgebracht wird zu einem Leuchtturm des Segelsports. Wenn es Oracle macht, bin ich sicher, dass sie ihre Gesamtstrategie weiterverfolgen werden, die zu diesen Katamaranen und dieser Austragung führte. Aber das ist Spekulation.

Lange keine olympische Segel-Medaille

Deutsche waren nicht am Start, außer bei der Jugendversion, bei der das deutsche Team "All in racing" am Ende den neunten Platz belegt hat. Wegen des tödlichen Segelunfalls hatte die deutsche Nationalmannschaft das Team eigentlich zurückgezogen, aber Skipper Philipp Buhl und sein Team haben selbst Geld für die Teilnahme an dem Youth´s America's Cup organisiert. Sie waren gegen eine Teilnahme, warum?

Weil ich glaube, dass man keine reale Chance hat zu gewinnen, wenn man als Topathlet unvorbereitet in einen Wettbewerb steigt. Das haben die Resultate gezeigt. Unser Team war nur Neunter von zehn, was im Sport nicht gerade eine Auszeichnung ist. Trotzdem kann ich die Jungs verstehen, die emotional eine Chance sahen, dicht am Amerika´s Cup zu sein, auf der Miniatur der America's Cup-Boote gegen andere zu segeln. Auch mit dem Preis, dass sie unvorbereitet sind, auch mit dem Preis, dass sie nahezu 100.000 Euro aufbringen mussten. Das ist ein verdammt teurer Spaß. Was ich wirklich kritisiere und wofür ich wenig Verständnis habe, ist, dass sie soviel Geld für eine nichtige Chance ausgegeben haben. Wo doch ihre wahren Chancen eigentlich in der nächsten Olympiakampagne liegen, weil sie 2016 nach Rio de Janeiro und dort möglichst eine Medaille gewinnen wollen. Und wie schwer das ist, sehen wir seit einiger Zeit in Deutschland, weil wir seit langem keine Medaille mehr im olympischen Segeln haben.

Sie haben als einziger deutscher Segler jemals den America's Cup gewonnen – mit dem schweizerischen Team Alinghi. Wie sehen Sie die Chancen auf die Teilnahme eines deutschen Teams für die Zukunft?

Deutschland ist eine Industrienation und der Segelsport eine technische Sportart. Beides in einen Wettbewerb zu führen, ist eigentlich nur logisch. Ich glaube, es würde Deutschland gut stehen, in einem Technologieevent zu zeigen, was wir alles können und dass wir gute Segler haben. Ich hoffe, dass das Format des zukünftigen America's Cup vielleicht einladender ist, sodass deutsche Unternehmen, deutsche Forschungsinstitute, aber auch vor allem deutsche Segler eine Chance haben, gemeinsam für Deutschland an den Start zu gehen. Irgendwann wird es soweit sein, dass die Deutschen teilnehmen und vielleicht ist es sogar mal möglich, dass wir den Cup gewinnen und nach Deutschland bringen.

Jochen Schümann begann im Alter von zwölf Jahren zu segeln - und das mit Erfolg: Er gewann dreimal die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen und als einziger Deutscher zweimal die legendäre Segelregatta America's Cup.