Schwerer Kampf für Frauenrechte in Indien
8. März 2014"Ein Bericht in der Zeitung wird auf jeden Fall nichts ändern", meint Flavia Agnes mit ironischem Unterton auf die Frage der Deutschen Welle, ob die Protestwellen der jüngsten Zeit gegen Vergewaltigungen in Indien eine Verbesserung der Lage der Frau gebracht hätten.
Agnes ist Frauenrechtlerin und Leiterin der in Mumbai im Bundesstaat Maharashtra ansässigen Organisation "Majlis", die für umfassende Änderungen im juristischen Verfahren für Vergewaltigungsopfer kämpft.
2013 gab es allein in Neu Delhi offiziell 1.330 Vergewaltigungsfälle, fast doppelt so viele wie die 706 Fälle des Jahres 2012. Im Dezember jenes Jahres wurde die indische Öffentlichkeit durch die besonders brutale Vergewaltigung und Misshandlung einer 23jährigen aufgerüttelt, die wenige Tage später ihren Verletzungen erlag.
Es entstand eine breite Bewegung für den besseren rechtlichen Schutz von Frauen, vor allem getragen von Inderinnen. Neue Gesetze wurden verabschiedet und den Opfern wurde Gerechtigkeit versprochen.
"Kaum Verbesserungen im Alltag"
Es habe sich trotzdem nicht viel verändert, meint Rohini Lakshane, Frauenaktivistin und Jury-Mitglied beim DW-Wettbewerb "Best of Online Activism" ("Bobs") 2014. "Medienkampagnen haben dafür gesorgt, dass viel mehr Menschen die Probleme von Frauen bewusst geworden sind, aber wenn es um die alltäglichen Fälle von sexueller Belästigung geht oder von Gewalt, auf der Straße oder zu Hause, glaube ich nicht, dass die Lage sich erheblich verbessert hat."
Dabei spiele die Selbstwahrnehmung der indischen Frau eine große Rolle, so Rohini Lakshane. Die meisten Frauen würden niemals über solche Belästigungen oder Angriffe reden, geschweige denn, sie bei der Polizei anzeigen. "Über häusliche Gewalt wird von Frauen so gut wie nie berichtet. Sie haben Angst, dass die Familie zerbricht, dass die Kinder davon betroffen werden. Viele Frauen sind außerdem von ihren Männern finanziell abhängig. Selbst Frauen in den sogenannten 'power jobs' geben ihr Gehalt beim Ehemann ab. Die meisten wissen nicht, wo sie hingehen sollen, wenn sie von ihren Männern vergewaltigt oder geschlagen werden."
Licht und Schatten im Rechtswesen
Die Einstellung der Justizbehörden ist eine weitere Hürde für Frauen, die sich gegen Übergriffe und Gewalt wehren wollen. "Die Polizei nimmt es nicht ernst, wenn eine Frau eine Anzeige wegen einer Vergewaltigung erstatten will", meint Rechtsanwältin Flavia Agnes. "Die Polizei will erst den Fall überprüfen, bevor sie etwas zu Protokoll nimmt, was zu unangenehmen Fragen für das Opfer führt. Die betroffene Frau hat dann Angst, dass sie ihren Ruf ruiniert."
Allerdings sieht die Aktivistin auch Hoffnungszeichen. Das System ändere sich allmählich. So hätten die Frauen inzwischen Anspruch auf ein Gerichtsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Agnes‘ Organisation Majlis kümmert sich außerdem um Rechtschutz und psychologische Betreuung für Frauen, die ein gerichtliches Verfahren angestrengt haben, zumindest im Bundesstaat Maharashtra. Rohini Lakshane sieht auch in der Verabschiedung von schärferen Gesetzen einen Fortschritt. Dadurch werde jetzt auch häusliche Gewalt und sexuelle Belästigung im Internet unter Strafe gestellt.
Immer wieder schockierende Gewalt
Aber aller öffentlichen Debatten und Verschärfung von Gesetzen zum Trotz kommt es immer wieder zu schockierende Vorfällen, die zeigen, wie schwer der Kampf für die Rechte der Frauen in Indien noch ist. So kam es im Januar zu einer Gruppenvergewaltigung einer jungen Dorfbewohnerin im Bundesstaat West-Bengalen – auf Befehl des Dorfrates und zur "Strafe" für die Liebesbeziehung der Frau mit einem Mann aus der "falschen" Volksgruppe. Kann man denn überhaupt von einem Wandel der Einstellung zur Gewalt gegen Frauen in Indien sprechen? "Man kann die Mentalität der Menschen nicht einfach per Knopfdruck ändern", sagt Flavia Agnes.