Schuldenerlass für Italien?
17. Mai 2018Derzeit wabern an den Kapitalmärkten meist ungreifbar, plötzlich aber umso stärker durchschlagende Sorgen umher. So in diesen Tagen mit dem Blick auf Italien. Denn dort hat sich, wie es aussieht, ein Regierungsbündnis gefunden. Im ausgehandelten Koalitionsvertrag allerdings war zumindest zeitweise die Rede davon, dass man erwäge, aus dem Euro auszutreten, mindestens aber europäische Verträge ändern wolle; und schließlich: Dass man italienische Staatsschulden, die bei der Europäischen Zentralbank liegen, annullieren werde. In Rede steht eine Summe von 250 Milliarden Euro. Das wäre definitiv eine schlechte Nachricht für die Steuerzahler im Euroraum.
"Unrealisitische Pläne"
Allerdings heißt es mittlerweile aus Rom, dass diese Forderung in keinem offiziellen Dokument des Programms der möglichen künftigen Regierung mehr auftauche. Die rechtsextreme Lega Nord hat sich mit der populistischen 5-Sterne-Bewegung zusammengerauft und einen Koalitionsvertrag ausgehandelt. In einem Entwurf, der am Mittwoch kursierte, ging es um die Frage, wie man gegen den gigantischen Schuldenberg Italiens künftig anzugehen gedenkt. "Ich habe mir das angesehen", sagt der Chefvolkswirt der ING-Diba, Carsten Brzeski gegenüber DW. "Griechenland lässt grüßen - das ist komplett unrealistisch."
Vor einigen Jahren hatte in Griechenland Syriza - die Partei des jetzigen Ministerpräsidenten Tsipras - ähnliche Ziele und den Austritt aus dem Euro verfolgt. In der Folge floss massiv Kapital aus dem Land. Eben das ist auch nun wieder geschehen - die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen sind sprungartig gestiegen, Investoren habe sie also aus ihren Depots geworfen. Am Devisenmarkt ist der Euro weiter abgerutscht - die Verunsicherung auf Seite der Investoren an den Kapitalmärkten ist also hoch. "Jetzt, wo sich die zwei extremen Parteien in Italien gefunden haben, haben die Ausschläge an den Anleihemärkten stark zugenommen", stellt Illona Korsch fest, Anleiheexpertin beim privaten Bankhaus Hauck und Aufhäuser in Frankfurt.
Schuldenabbau wäre nötig
Dass es für Rom gut wäre, die hohe Staatsverschuldung zu minimieren, steht außer Frage: Italien gehört zu den Ländern mit der höchsten Staatsverschuldung in ganz Europa, die Ausstände belaufen sich mittlerweile auf 2300 Milliarden Euro - das entspricht einer Schuldenquote von über 130 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt Italiens. "Vielleicht hätten die Verantwortlichen in Brüssel offene Ohren, wenn Rom mit einem vernünftigen Reform- und Wirtschaftsprogramm ankommen würde; eines, das Wachstum verspricht - und nicht komplett an den Haaren herbeigezogen ist", meint Carsten Brzeski.
Unrealistisch ist die Forderung nach einem radikalen Schuldenschnitt in mehrfacher Hinsicht. Erstens wäre ein Schuldenerlass durch die Notenbank im Grunde monetäre Staatsfinanzierung. Und die ist den Währungshütern in den Frankfurter EZB-Türmen durch die EU-Verträge untersagt. Zweitens hat zwar das System der Europäischen Zentralbank(en) im Rahmen ihres Anleihen-Kaufprogramms auch italienische Staatstitel kaufen lassen. Allerdings liegen die in erster Linie und zum Großteil bei der italienischen Zentralbank. "Wenn die also die Schulden annullieren wollen, wird das in erster Linie die Banca d'Italia treffen - und damit letztlich und vor allem den italienischen Steuerzahler."
Muss die EZB eingeifen?
Mit einer solchen Forderung tritt aber noch ein anders Problem zu Tage: Die Verunsicherung hat vor allem zur Folge, dass die Renditen der italienischen Schuldscheine steigen, weil Investoren davon dann lieber die Finger lassen. Damit wird die Aufnahme neuer Schulden für Italien teurer. Folglich hätte es die neue Regierung also gleich zum Start ihrer Amtszeit schwer, ihre Wahlversprechen zu finanzieren und umzusetzen. Und schließlich stellt sich dann noch die Frage, wer überhaupt in Zukunft Interesse daran hätte, die Staatsschuld von Italien zu finanzieren. Bis jetzt konnte vor allem Italien vom Ankaufprogramm des Systems der Europäischen Zentralbanken profitieren, weil die Zinsen durch die milliardenschweren Aufkäufe praktisch ausradiert waren.
Der Plan der EZB sieht aber vor, ab September oder Ende des Jahres damit anzufangen, aus dem Anleihekaufprogramm wieder auszusteigen. Spätestens dann suchen die derzeit bei den Zentralbanken liegenden Staatsanleihen wieder Käufer am Markt. Wenn sich keine finden, steigen die Zinsen umso stärker. "Die beiden italienischen Parteien sind sich offenbar nicht bewusst, was es heißt, solche Dinge hinaus zu posaunen", urteilt Carsten Brzeski. "So etwas kann erheblichen Schaden anrichten und kostet in jedem Fall Vertrauen."
Illona Korsch schließlich macht noch auf ein weiteres Umstand aufmerksam: Sollten derlei Querschüsse und unausgegorene Ideen aus Rom zunehmen, wird unweigerlich das Vertrauen schwinden und die Risikoaufschläge italienischer Staatspapiere noch weiter steigen. "Das würde die EZB zwingen, mit dem Anleihekaufprogramm weiter zu machen, weil sonst die Schuldenlast in Italien ernsthafte Schwierigkeiten bereiten dürfte." Hier spätestens beißt sich die italienische Katze also selber in den Schwanz.