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Schielen als Hinweis auf Krankheiten

Gudrun Heise
8. Dezember 2021

Kinder finden es witzig, ihre Augen so zu verdrehen, dass sie schielen und dabei für so manchen Lacher sorgen. Aber Schielen ist nicht immer ein Spiel. Es kann Hinweis auf eine Krankheit sein.

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Eine Frau schaut auf ihre eigene Nasenspitze, beide Pupillen weisen stark nach innen.
Wer mit beiden Augen auf die Nase blickt, schielt gar nicht. Die Sichtachsen der Augen treffen sich nämlich. Bild: Norbert Schmidt/picture alliance

Rund vier Millionen Menschen in Deutschland haben eine Fehlstellung der Augen, so die Schätzung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), der Fachgesellschaft für Augenheilkunde. Beim Schielen sehen die Augen nicht in dieselbe Richtung, eines weicht vom Blickziel ab. Dieser sogenannte Strabismus führt dazu, dass die Eindrücke beider Augen nicht gleich sind und unser Gehirn sie nicht zu einem dreidimensionalen Bild verbinden kann. 

Um eine Person oder einen Gegenstand erkennen zu können, müssen unsere beiden Augen in dieselbe Richtung schauen. Die Bilder, die dabei aufgenommen werden, sind nahezu gleich. Der Sehnerv leitet die Bilder dann an das Gehirn weiter, das sie auswertet. Dazu fügt es die Bilder des rechten und des linken Auges zusammen. Unsere Augen sind also eigentlich nur ein Werkzeug, um unserem Gehirn die Informationen zu geben, die es zum Sehen braucht. 

Es gibt verschiedene Formen von Schielen

Schielen ist nicht gleich Schielen. Es werde nach verschiedenen Kriterien eingeteilt, sagt Michael Gräfvom Universitätsklinikum Gießen. "Häufigkeit und Richtung spielen dabei eine Rolle. Bei der Richtung etwa gibt es horizontales Schielen, vertikales Schielen und Verrollungsschielen.

Beim horizontalen Schielen unterscheiden Mediziner das Innenschielen (Esotropie) vom Außenschielen (Exotropie).

Beim Innenschielen weicht das Auge Richtung Nase ab. Das ist die häufigste Form. "Wenn Sie auf ihren Finger schauen, dann hat das nichts mit Schielen zu tun. Dann treffen sich die Sehlinien beider Augen am fixierten Punkt, also dem Finger. Schaut man aber weiter weg und die Augen stehen so, dann spricht man von Innenschielen. Diese Art ist in Westeuropa sehr häufig. In Asien hingegen kommt vor allem das Außenschielen vor", erläutert Gräf. "Bei dieser Schielform, der Exotropie,   weist die Sehlinie des schielenden Auges nach außen. Die geografisch bzw. ethnisch unterschiedliche Verteilung hat vermutlich genetische Ursachen", so der Experte. 

Vertikales Schielen - also nach oben oder nach unten - zeigt sich dadurch, dass entweder ein Auge höher steht als das andere (Hypertropie) oder auch dass ein Auge tiefer steht als das andere (Hypotropie). Beim Verrollungsschielen schließlich ist das Auge um die Sehlinie verkippt. 

Manche schielen, wenn sie betrunken sind

Schielen ist kein kosmetisches Problem. Es kann etliche körperliche Beschwerden verursachen, wenn es nicht erkannt und entsprechend behandelt wird. So kann es dauerhaft die Sehkraft verringern und das räumliche Sehen beeinträchtigen. Bei manifestem Schielen ist normales, räumliches (3-D-) Sehen nicht möglich. Es kann zu Doppelbildern mit erheblichen Orientierungsstörungen kommen, zu Lichtempfindlichkeit und zu Konzentrationsstörungen. 

Die Augenheilkunde kennt weitere Unterschiede: Latentes und manifestes Schielen. Latentes Schielen fällt meist in bestimmten Situationen auf. "Dabei entgleist die Augenstellung, beispielsweise bei Ermüdung oder auch unter diagnostischen Bedingungen, das heißt, wenn man ein Auge zuhält. Patienten kommen oft zu uns, weil sie etwa unter Kopfschmerzen oder roten Augen leiden, unter angestrengtem Sehen, das vor allem nachmittags auftritt oder bei lange andauernder Bildschirmarbeit", erläutert Gräf.

Infografik - Aufbau des Auges
Das Auge ist eines unserer kleinsten Organe, es ist kompliziert und empfindlich

Aber auch ein Glas zu viel kann bei manchen Personen Schielen auslösen. "Durch fehlende Fusionsreize, sehen diese Personen dann vielleicht zwei Monde am Himmel, nicht nur einen. Es fehlt der Fusionsrahmen, der im hellen Raum durch die Objekte im Gesichtsfeld beider Augen gegeben ist", sagt Gräf. 

Normalerweise - also in nüchternem Zustand - sorgen die Augenmuskeln dafür, dass Blickachsen stabil sind und parallel stehen. Unter Alkoholeinfluss aber können die Muskeln nicht schnell und präzise genug reagieren. Der Alkohol beeinträchtigt die Verarbeitung der Bilder im Kleinhirn. Die Folge: Die Person sieht doppelt oder unscharf. Das ist vorbei, wenn die Person wieder nüchtern ist.  

Schielen muss ernst genommen werden

Bei Menschen jeden Alters kann es zum sogenannten Lähmungsschielen kommen. Es tritt auf, wenn einer oder mehrere äußere Augenmuskeln nicht mehr richtig funktionieren, und es kann plötzlich auftreten, beispielsweise beispielsweise bei einem Schlaganfall.oder einer harmloseren Durchblutungsstörung, und es kann auch schleichend beginnen und mit der Zeit zunehmen. 

Lähmungsschielen kann ein erstes Anzeichen für intrakranielle Entzündungen sein, eine Hirnhautentzündung  beispielsweise. Es kann auf Verletzungen im Schädelinneren oder Einblutungen hinweisen. Wenn ein Kind oder ein junger Mensch plötzlich zu schielen beginnt oder Doppelbilder sieht, kann das harmlos sein und etwa durch eine Brille behoben werden, um die aufgefallene Fehlsichtigkeit zu beheben, aber es kann auch auf eine lebensbedrohliche Erkrankung hinweisen. 

Dazu gehören unter anderen Hirnblutungen oder intrakranielle Tumoren. Diese haben ein bestimmtes Volumen und erhöhen den Hirndruck. Steigt dieser Druck an, kann es sein, dass das Gehirn nicht mehr ausreichend durchblutet wird und es zu Sauerstoff- und Nährstoffmangel kommt. 

PET-Scan eines Hirntumors
Schielen kann ein Hinweis auf einen Hirntumor seinBild: Fred Tanneau/Getty Images

Wenn ältere Menschen plötzlich schielen

Tritt Schielen und somit Doppeltsehen bei Erwachsenen über 65 ganz plötzlich auf, liegt meist eine Durchblutungsstörungen zugrunde, vor allem Mikrodurchblutungsstörungen der Nerven vom Gehirn zum Auge (Mikroangiographie). Es gibt viele Diabetiker mit Mikroangiopathie, Hypertoniker - also Menschen mit hohem Blutdruck - oder Raucher, die dieses Problem haben.

"Wenn die feinen Gefäße ausfallen, leitet der Nerv die Steuerimpulse nicht mehr richtig oder gar nicht mehr weiter. Der entsprechende Muskel funktioniert nicht mehr so, wie er sollte, und das Gleichgewicht der Muskeln in der Augenhöhle gerät durcheinander", erklärt Gräf. 

Unsere Augen verfügen über je sechs verschiedene Muskeln. Bei einer Operation gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. "Man kann den Muskel bzw. seine Sehne Sehne anspannen oder lockerlassen. Wird die Sehne angespannt, zieht man das Auge mehr in die Wirkrichtung des betreffenden Muskels. Lasse ich locker, geht es in die Gegenrichtung.

Dabei können wir nur einen Muskel allein oder auch Muskelpaare verlagern, je nachdem wie stark das Schielen ist", sagt Gräf. So kann der Chirurg in den meisten Fällen erreichen, dass die Augen nach der Operation wieder parallel stehen, dass sie das Bild der Außenwelt entsprechend aufnehmen und an das Gehirn weiterleiten. 

Manche gleichen das Schielen durch ihre Kopfhaltung aus

Bei geringem Schielen nehmen manche Menschen unbewusst eine bestimmte Kopfhaltung ein, um die Fehlstellung auf diese Weise zu korrigieren. Das trifft zum Beispiel zu, wenn der Rectus lateralis ausfällt, der seitliche, gerade Augenmuskel, der das Auge nach außen bewegt. Innenschielen ist dann die Folge.

"Dieses Schielen ist am stärksten, wenn man in die Richtung schauen möchte, in die der Muskel eigentlich ziehen müsste. Beim Blick in die Gegenrichtung ist es am geringsten. Einige Patienten nehmen dann unbewusst eine kompensatorische Kopfhaltung ein, um das Schielen so ein wenig ausgleichen", so Gräf.

Babygesicht mit leichtem Schielen - Großaufnahme
Wenn Babys schielen, ist das kein Grund zur SorgeBild: imago images/Peter Widmann

Die meisten Babys schielen 

Bereits kurz nach der Geburt können Babys ihre Umgebung wahrnehmen, aber die kompletten Funktionen des Sehens müssen sich erst noch entwickeln. Häufig entsteht in den ersten Tagen und Wochen der Eindruck, dass das Baby schielt, denn seine Augenlider liegen zunächst noch ziemlich tief. Aber im ungünstigen Fall handelt es sich dabei tatsächlich um eine Fehlstellung der Augen.  

Schielen hat häufig genetische Ursachen. Schielt ein Elternteil, kann es durchaus sein, dass das Kind diese Fehlstellung entwickelt. Noch höher ist das Risiko, wenn beide Eltern schielen.  

Es ist wichtig, dieses Schielen früh zu erkennen, denn das kindliche Gehirn ist in der Lage, den Seheindruck eines Auges zu unterdrücken, um Doppeltsehen zu vermeiden. Wird nun ständig dasselbe Auge unterdrückt, bleibt dieses in der Sehentwicklung zurück, es entsteht eine so genannte Amblyopie 

Neben diesem häufigen, vergleichsweise noch relativ harmlosen primären Schielen kann Schielen auch sekundär entstehen, wenn der Seheindruck eines Auges aufgrund einer unentdeckten Linsentrübung (kindlicher Katarakt), eines Schadens im Sehnerv oder gar des hochgefährlichen Retinoblastoms oder anderer Augenerkrankungen gestört ist. Deshalb ist es unbedingt wichtig, das Kind bei Schielen umgehend augenärztlich untersuchen zu lassen. 

Meist wird der Augenarzt dem Kind eine Brille verschreiben, weil mit dem Schielen oft eine Fehlsichtigkeit verbunden ist. Falls eine unerkannte Weitsichtigkeit dadurch auffällt und mit der Brille ausgeglichen wird, kann das Schielen im günstigsten Fall allein dadurch behoben werden.  

Meist jedoch genügt die Brille allein nicht. Das Schielen lässt sich dann früher oder später durch einen kleinen Eingriff an den Augenmuskeln korrigieren. Die Korrektur der Fehlsichtigkeit ist vor allem auch deswegen wichtig, weil unkorrigierte Fehlsichtigkeit ein unscharfes Netzhautbild bewirkt. Im Gehirn kann dann mangels entsprechender Reizung die Fähigkeit zum Scharfsehen nicht reifen. Eine Amblyopie entsteht möglicherweise sogar beidseitig.  

Eine wichtige Möglichkeit, die einseitige Schielamblyopie zu behandeln, ist die sogenannte Okklusionstherapie. Diese Therapieform ist leicht zu erkennen, denn bei diesen Kindern ist ein Auge, das besser sehende, abgeklebt. So wird das Gehirn gezwungen, das andere Auge zu benutzen. So entwickelt sich auch an diesem Auge eine normale Sehschärfe. Das Schielen verschwindet dadurch nicht. Nicht alle Ursachen für Schielen sind bislang erforscht. Eines aber ist ganz klar. Die Warnung "Wenn du schielst, bleiben deine Augen so stehen", die ist definitiv falsch.