Lachende Frauen in der Türkei
30. Juli 2014Lachen ist gesund. Das sagt zumindest die Medizin. Der türkische Vize-Premier Bülent Arinc sieht das etwas anders. Frauen sollen "nicht vor allen Leuten laut lachen", sagte Arinc, einer der führenden Vertreter der religiösen Flügels der Regierungspartei AKP. In einer Rede zum Fest des Fastenbrechens nach dem Ramadan (28.07.) sprach er über den angeblichen moralischen Verfall in der Türkei und meinte: "Die Frau weiß, was Anstand ist und was nicht. Sie soll nicht in der Öffentlichkeit lachen".
Züchtigkeit sei wichtig, es handele sich da nicht nur um ein Wort. "Wo sind unsere Mädchen, die leicht erröten, ihren Kopf senken und die Augen abwenden, wenn wir in ihre Gesichter schauen, und somit zu einem Symbol der Keuschheit werden?", zitierte die "Hürriyet Daily News" den Politiker.
Der Vize-Premier kritisiert die Gesellschaft im allgemeinen. Teenager würden durch Fernsehserien zu "Sexsüchtigen". Außerdem kritisiert er den übertriebenen Umgang mit Handys: "Frauen reden über unwichtige Dinge am Telefon". Damit spielt Arinc auf Kochrezepte und Hochzeiten an und fordert die Frauen auf, sich persönlich zu treffen, statt stundenlang am Telefon zu plaudern.
"Hahaha" ist die einzige Antwort
Der aktuelle Präsidentschaftskandidat Ekmeleddin Ihsanoglu der größten Oppositionspartei CHP, hält dagegen auf Twitter: "Die Türkei braucht Frauen, die lachen und ganz allgemein alle Menschen, die lachen, mehr denn je". Und der stellvertretende Vorsitzenden der CHP, Burhan Senatalar, kündigte an: "Von nun an werden wir auf alle Aussagen von Arinc mit einem Lachen antworten."
Die Sozialen Medien machen es möglich. Tausende türkische Frauen teilten ihre Fotos im Internet, auf denen sie laut lachend oder gekrümmt vor Lachen und heulend vor Lachen zu sehen sind. Auf Twitter gab es sogar eigene Hashtags dafür, nämlich #kahkaha (deutsch: "hahaha") und #direnkahkaha (deutsch: "widerstandhahaha").
Eine Twitter-Nutzerin rief zum Morgengruß auf: "Haha, starte deinen Tag mit einem Lachen. Wir türkischen Frauen sagen #lol (Abkürzung für den englischen Ausruck "laugh out loud" – deutsch: laut loslachen) zu Bülent Arinc!"
Weitere Twitter-Kommentare zu Arinc´s Aufforderung lauteten: "Sorry, ich habe gerade gelacht", "Arinc sollte sich verschleiern" oder "Heute hat es geregnet und ich war etwas traurig, aber der türkische Vize-Premier hat mich richtig zum Lachen gebracht". Und die Fernsehjournalistin Banu Güven rief zu wöchentlichen Lach-Kundgebungen von Frauen auf. Daraufhin gingen Hunderte Türkinnen auf die Straßen und lachten laut aus Protest.
Nicht zum Lachen, eher zum Heulen zumute
Auch Günes Akcay nimmt an dem Lach-Protest teil. Sie postet Fotos und Videos, auf denen sie laut lacht. "Eigentlich finde ich das überhaupt nicht mehr lustig. Als ich das hörte, musste ich fast weinen", sagt Akcay im DW-Gespräch. Nun geht die 33-jährige Feministin in der Türkei auf die Straße um gegen eine "schwachsinnige" und "unverschämte" Bemerkung der AKP-Männer zu demonstrieren. "Diese Politik geht schon seit Jahren so. Letztes Jahr wollte man schwangeren Frauen untersagen, sich öffentlich auf der Straße zu zeigen, jetzt will man uns das Lachen verbieten. Es ist wirklich frustrierend. Wo führt das noch hin? Leben wir im Mittelalter?", kritisiert die Aktivistin. Die AKP-Männer sähen die Frauen als Schmuckstück, das auf der Couch zu sitzen habe. "Das ist ihre Mentalität. Sie sehen uns als etwas Minderwertiges an."
Die Grünen-Politikerin ist frustriert: "Ich habe das Gefühl, nichts verändern zu können. Es wird immer schlimmer".
Akcay freut sich trotz allem auf die Präsidentschaftswahlen im August. "Wir offenen, westlichen und selbstbewussten Frauen werden sicherlich nicht den Präsidentschaftskandidaten der islamisch-konservativen AKP wählen. Wir werden jemanden wählen, der uns Frauen angemessen repräsentiert und als gleichberechtigtes Geschlecht respektiert. Dann sehen wir mal, wer zuletzt lacht!"