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Schwangerenprotest in der Türkei

Senada Sokollu28. Juli 2013

Neue Runde im Kampf zwischen Religiösen und Säkularen in der Türkei. Nachdem ein islamischer Gelehrter Schwangere in der Öffentlichkeit als "Schande“ bezeichnet hat, ist die Empörung groß. Der Druck der Straße wächst.

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Türkische Schwangere protestieren in Izmir mit Transparenten gegen die Regierung Erdogan. (Foto: Meryem Gülbudak/DW)
Bild: Meryem Gülbudak

"Es ist mein Körper. Es ist meine Entscheidung." Unter diesem Motto gingen Hunderte Frauen in Istanbul, Izmir und anderen türkischen Städten auf die Straße. Sie zeigten sich hochschwanger. Auch Nicht-Schwangere und Männer übten Solidarität und stülpten sich Luftballons unter ihre Hemden. Auf Twitter wurde die Protestaktion unter dem Hashtag #direnhamile ("#widerstehtschwanger") organisiert. Auch auf Facebook veröffentlichten Hochschwangere aus Protest Fotos von sich und ihrem Bauch.

Grund für die Protestaktion war ein vom staatlichen Sender TRT ausgestrahltes Interview mit Ömer Tugrul Inancer. Der türkische Anwalt und islamische Gelehrte hatte darin schwangere Frauen aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Es gehöre sich nicht, dass sie sich in der Öffentlichkeit zeigten. Das Präsidium für Religionsangelegenheiten, die höchste islamische Autorität des Landes, widersprach Inancer indes und betonte, dass der Islam keine Isolation von Frauen vorsehe und dass es ein Geschenk sei, Mutter zu sein.

"Erdogan ist schlimmer als seine Vorgänger"

Und doch ist die Wut groß bei Türkinnen wie Beyhan Güngör. Die 57-Jährige ist selbst Mutter und Ehefrau und will sich vom Staat nicht den Umgang mit ihrem Körper vorschreiben lassen. "Vor allem unter der AKP-Regierung werden wir Frauen seit rund zehn Jahren unterdrückt. Es wird versucht, jedes Detail unseres Lebens zu organisieren. Es wird gesagt, dass Frauen zu Hause bleiben und einfach nur Kinder kriegen sollen. Mindestens drei Kinder, wie es Premierminister Recep Tayyip Erdogan sagte", so Güngör im DW-Gespräch.

Die aktive Demonstrantin und "Feministin", wie sie sich selbst bezeichnet, hat bereits viele Regierungen in der Türkei erlebt, doch der seit 2003 regierende Erdogan sei schlimmer als seine Vorgänger: "Aufgrund seiner islamischen Wurzeln versucht er die Gesellschaft aus seiner islamischen Sichtweise zu formen. Das engt die Freiheiten für die Frau ein."

"Druck kommt von allen Seiten"

Die Proteste der Frauen fanden am Wochenende auch vor dem TRT-Gebäude in Izmir statt - die drittgrößte Stadt in der Türkei gilt als besonders modern und fortschrittlich. "Es sieht so aus, als wäre ich hier frei. Ich kann meine kurzen Hosen und Röcke tragen, aber von allein Seiten hat man den Druck zum Heiraten", beklagt die 32 Jahre alte Günes Akcay, stellvertretende Sprecherin der Zukunftspartei der Grünen und Linken in Izmir.

Porträt Günes Akcay (Foto: Meryem Gülbudak/DW)
Kämpft für eine liberale türkische Gesellschaft: Grünen-Politikerin Günes AkcayBild: Günes Akcay/Meryem Gülbudak

Ab 30 Jahren werde Frauen immer wieder gesagt, dass sie doch endlich ein Kind kriegen und heiraten sollten, so Akcay gegenüber der Deutschen Welle. "Das sagt dir deine Mutter, dein Nachbar und deine Arbeitskollegen. Sogar dein Chef kommentiert dein Privatleben." In der Türkei fühle man sich nicht als Individuum, sondern nur als Ehefrau und Mutter. "Vor allem Erdogan redet ständig über das Leben der Frauen. Er spricht sich gegen Abtreibung und gegen den Kaiserschnitt aus. Wir gehen gegen diese Art von Politik der Regierung ständig auf die Straße", so Akcay.

"Es gibt nicht die eine türkische Frau"

Ganz so dramatisch sieht die deutsche Frauenrechtsaktivistin Karin Ronge die Lage der Frauen in der Türkei nicht. Es gebe keine einheitlich definierte Frauenrolle im Land. "Die Türkei ist ein vielfältiger Staat. Es gibt nicht die eine türkische Frau", so die 52-Jährige im DW-Gespräch. Ronge verweist auf den hohen Anteil gut ausgebildeter Frauen, die im Bankensektor, in Schulen und Universitäten arbeiten.

Porträt Ministerpräsident Erdogan (Foto:ATTILA KISBENEDEK/AFP/Getty Images)
Im Zentrum der Kritik: der autoritär regierende Ministerpräsident ErdoganBild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

Seit 18 Jahren engagiert sich Ronge bei der Nichtregierungsorganisation "Women for Women's Human Rights" in Istanbul. In Erdogans Politik sieht sie auch die positiven Entwicklungen für muslimisch-konservative Frauen in der Türkei. "Man kann nicht sagen, dass die AKP-Regierung alles nur zum Schlechten verändert hat. Religiöse Frauen haben beispielsweise für ihre Freiheiten gekämpft, ein Kopftuch tragen zu dürfen. Natürlich kommt es darauf an, wie es die Leute von außen beurteilen. Aber es sollte doch nicht verboten sein, für Frauen mit Kopftüchern Universitäten zu besuchen. Das spricht gegen ihr Recht auf Bildung."

Nachholbedarf bei den Institutionen

Kritik übt Ronge vor allem an den Aussagen des Regierungschefs zur Abtreibung. "Das Verbot der Abtreibung ist nicht durchgesetzt, aber der moralische Druck wird verstärkt. Jetzt haben wir Doktoren, die nun behaupten, sie könnten aufgrund ihres religiösen Gewissens keine Abtreibung mehr durchführen." Für die Frauenrechtlerin hat diese Einstellung allerdings nichts mit dem Islam zu tun. "Es gibt im Islam ganz unterschiedliche Interpretationen zu diesem Thema. Einige Gelehrte sagen, dass die Seele erst nach 40 Tagen in den Körper gelangt", so Ronge.

Die 52-Jährige erklärt, dass die Frauen in europäischen Ländern einen besseren Zugang zu unterstützenden Institutionen fänden. "In der Türkei ist das unterentwickelt." Viele Frauen, die Gewalt in der Familie erlebt haben, hätten sich an die Polizei gewandt. "Doch die Polizei setzt die Gesetze in der Türkei nicht immer um. Sie schicken die Frauen wieder nach Hause." Und dort gehe dann für viele Frauen das Martyrium weiter. Hier hätten die staatlichen Institutionen noch einen großen Nachholbedarf.