Klos für Indien
29. Dezember 2008Rund 600 Millionen Menschen, etwa die Hälfte der indischen Bevölkerung, haben keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Die allermeisten von ihnen leben auf dem Land. In der Regel bedeutet das, dass sie ihre Notdurft im Freien verrichten – zum Beispiel in den Feldern oder entlang von Bahnlinien. Allerdings hat sich in den letzten Jahren einiges getan, seit die Regierung eine neue Kampagne zur Sanitärversorgung für alle gestartet hat. 1984 hatten nur acht Prozent der ländlichen Bevölkerung in Indien Zugang zu sanitären Einrichtungen. Bis 2008 ist die Zahl auf 32 gestiegen. "Aber die Kampagne zur Sanitärversorgung für alle hat effektiv erst im Jahr 2000 begonnen. Die Haupterfolge sind in den letzten acht Jahren zu verzeichnen gewesen", sagt Prakash Kumar, Consultant und Sanitärexperte bei UNICEF.
Bei diesem Tempo ist es wahrscheinlich, dass die indische Regierung ihr Versprechen, die ganze Bevölkerung mit Toiletten zu versorgen, bis zum Jahr 2015 erfüllen kann. Doch im Gegensatz zu früheren Kampagnen legt die laufende Kampagne großen Wert auf Überzeugungsarbeit und bindet die lokale Bevölkerung stärker mit ein. Sie muss eine Eigenleistung erbringen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es wenig Sinn hat, wenn die Regierung einfach Toiletten baut, denn die wurden oft als Lagerräume verwendet, weil das Bewusstsein fehlte.
Schmollend auf dem Klo
Shobha Yadav ist eine Dorfbewohnerin im westindischen Bundesstaat Maharashtra. Ihre Familie von Tagelöhnern hat sich vor zwei Jahren selber eine Toilette gebaut. Sie erinnert sich, wie es früher war: "Bei Regen hatten wir Probleme: Wie konnten wir da nach draußen gehen? Jedes Mal waren Hände und Füße schmutzig. Jetzt haben wir das nicht mehr. Auch die Kinder gehen auf die Toilette. Meine Schwiegermutter fand es am Anfang komisch. Sie sagte: Ich kriege da Bauchschmerzen! Ich war wirklich sauer auf sie - und sie saß schmollend auf dem Klo. Aber inzwischen ist sie froh, dass wir eine haben."
Das Problem
Es wird sich noch zeigen müssen, wie nachhaltig die Toiletten-Nutzung wirklich sein wird, wenn wirklich die gesamte Bevölkerung ausgestattet ist. Und Nachhaltigkeit ist noch in einem anderen Sinne ein drängendes Thema, gibt Prakash Kumar zu bedenken – denn weite Teile Indiens leiden jetzt schon unter Wassermangel: "Wir können in gewisser Weise froh sein, dass 600 Millionen Inder im Freien ihre Notdurft verrichten. 2015 werden fast 1,2 Milliarden Inder konventionelle Toiletten benutzen. Die brauchen alle Wasser. Woher soll das kommen?" Man müsse deswegen jetzt anfangen, nachhaltige Sanitärsysteme zu fördern. "Sonst brauchen wir wieder eine neue Kampagne, um die Toiletten mit Wasserspülung auf irgendeine Form von nachhaltigen oder Klos umzustellen."
Toiletten-Psychologie
Es gibt verschiedene Modelle von nachhaltigen Sanitärsystemen. Sie beruhen darauf, dass Urin und Fäkalien gesammelt und dann vor Ort wiederverwertet werden: Entweder als Dünger in der Landwirtschaft oder für Biogas-Anlagen. Andere Länder sind in diesem Punkt schon wesentlich weiter als Indien: In China etwa werden schon über eine Million solcher nachhaltiger oder Ecosan-Toiletten benutzt. Ein Hauptproblem in Indien, wo es bislang nur kleinere Modellprojekte gibt, sind Tabus und psychologische Vorbehalte gegen die Nutzung menschlicher Fäkalien. Der Arzt Subhas Vithal Mapuskar hat bereits vor Jahrzehnten in einem Dorf bei Pune in Maharashtra Ecosan-Toiletten zur Biogas-Erzeugung eingeführt. "Am Anfang haben sie das Gas nur verwendet, um Wasser warm zu machen. Und dabei löste sich dann ihr erster Eindruck auf, dass dieses Gas ‚schmutzig’ sei", erinnert erinnert sich. "Mit der Zeit, ohne dass sie es selber merkten, wurde dann der Wassereimer durch den Schnellkochtopf ersetzt."
Umdenken ist also möglich – aber es braucht seine Zeit. Auch in der indischen Regierung, die sich erst langsam für die alternativen Toiletten engagiert, vermutlich zu langsam, um das Zeitfenster bis 2015 wirklich zu nutzen. Auch über das "Internationale Jahr der sanitären Grundversorgung" hinaus werden Toiletten ein wichtiges Thema in Indien bleiben.