Kämpfer für Meinungsfreiheit
15. Dezember 2010Nur vier Tage nach der Verleihung des Friedensnobelpreises gibt es am Mittwoch (15.12.2010) erneut eine Preisverleihung mit einem leeren Stuhl: der Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments wird in Straßburg in Abwesenheit des Preisträgers verliehen. Trotz massiven Drucks des Europaparlaments hatte der diesjährige Preisträger, der kubanische Psychologe und Journalist Guillermo Fariñas keine Ausreisegenehmigung von der kubanischen Regierung bekommen. Der Psychologe und Journalist wurde bekannt für seinen Hungerstreik aus Solidarität für politische Häftlinge in Kuba. Das Europa-Parlament vergibt den mit 50 000 Euro dotierten Preis “für die geistige Freiheit“ seit 1988. Benannt ist er nach dem sowjetischen Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow.
Hungerstreik aus Solidarität
Der 49-jährige Guillermo Fariñas hat in den letzten Jahren mit mehr als 20 Hungerstreiks gegen Unterdrückung und Unfreiheit in Kuba protestiert. Mit seinem bislang letzten Hungerstreik, der 138 Tage dauerte, trug er dazu bei, dass die Regierung die Freilassung
von 52 politischen Häftlingen zusagte. Insgesamt war er mehr als elf Jahre lang inhaftiert.
Er beendete den Streik, nachdem die katholische Kirche Kubas der Regierung das Versprechen abgerungen hatte, die politischen Gefangenen nach und nach freizulassen. Sie gehören zu den 75 Dissidenten, die während der als "Schwarzer Frühling“ bekannt gewordenen Verhaftungswelle im März 2003 inhaftiert worden waren.
Als im Juli die Freilassung der Häftlinge und ihre Ausweisung nach Spanien begann, brach Fariñas den Streik ab. Europaparlaments-Präsident Buzek hatte sich in einem persönlichen Brief an Staatschef Raúl Castro um eine Ausreise des Dissidenten bemüht. Falls die kubanischen Behörden hart blieben, “sollte die hohe Außenvertreterin (der EU) Catherine Ashton dies bei der zukünftigen Gestaltung der Beziehungen zu Kuba berücksichtigen“, sagte Buzek.
Ausschlaggebend für Fariñas’ letzten Hungerstreik war der Tod des politischen Häftlings Orlando Zapata Tamayo, am 23. Februar dieses Jahres. Tamayo war ein einfacher Handwerker, der ebenfalls 86 Tage lang gehungert hatte, um für bessere Haftbedingungen zu demonstrieren.
Zaghafter Wandel
Trotz allem ist der Gesellschaftskritiker der Meinung, dass auf Kuba bereits ein Wandel stattfindet. "Die Regierung ist in der Defensive", so der 49-Jährige. Das liege in erster Linie an den Forderungen der "immens großen Pro-Demokratie-Bewegung auf Kuba", die für die Befreiung der politischen Häftlinge gekämpft hat. "Die wird nun schrittweise erreicht", so Fariñas. Zur Bedeutung des Sacharow-Preises sagte der Oppositionelle, es handele sich nicht um “eine Auszeichnung für Guillermo Fariñas, sondern für den Widerstand des kubanischen Volkes.“ Er sei zugleich eine Verpflichtung, endlich die vollkommene Demokratisierung Kubas zu erreichen.
Das EU-Parlament forderte Fariñas gleichzeitig auf, sich stärker für eine Demokratisierung Kubas einzusetzen. Die Abgeordneten sollten klarmachen, dass es nicht ausreiche, politische Gefangene freizulassen, sagte der Sacharow-Preisträger der in Berlin erscheinenden “Tageszeitung“. Auch die Gesetze, die zu ihrer Verhaftung geführt hätten, müssten verändert werden.
"Wir sind keine bezahlten US-Söldner"
Fariñas, der in Santa Clara - dem Herzen der Insel - geboren wurde, ist einer der bekanntesten Regierungsgegner – zuerst gegen die Regierung Fidel Castros, später gegen die seines Bruders Raúl. Als Sohn eines Revolutionärs, der an der Seite von Che Guevara während der Kongo-Krise 1965 gekämpft hatte, begann er zunächst seine Laufbahn mit Waffen wie sein Vater und verteidigte in seiner Jugend die Kubanische Revolution. 1988 machte er seinen Abschluss zum Psychologen. Ein Jahr später führte die Erschießung des wegen Drogenhandels und Hochverrats angeklagten Generals Arnaldo Ochoa zum Bruch Fariñas’ mit der kubanischen Führungsspitze.
Hungerstreik für Meinungsfreiheit
Im selben Jahr noch verließ er den Kommunistischen Jugendverband und reihte sich in die Reihen der Opposition ein. Seitdem hat er wegen Waffenbesitzes und anderer Anschuldigungen elfeinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. Zum Schweigen gebracht haben ihn diese Repressionsmaßnahmen nicht.
2005 forderte Fariñas einen Internetzugang für alle Kubaner und verlieh seiner Forderung mit einem sieben Monate dauernden Hungerstreik Nachdruck, was schwere gesundheitliche Schäden bei ihm hinterließ. Dafür verlieh ihm die Organisation Reporter ohne Grenzen 2006 den Menschenrechtspreis. Im selben Jahr erhielt er von der Stadt Weimar einen Menschenrechtspreis, der mit 2500 Euro dotiert war, die er vollständig politischen Gefangenen auf Kuba zukommen ließ.
Der ehemalige Chef der Nachrichtenagentur Cubanacan Press engagiert sich weiter, denn bisher haben sich die Gesetze noch nicht geändert, die die kubanischen Gefängnisse jederzeit wieder füllen könnten. Die USA fordert der Journalist auf, ihre Staatsbürger auf die Insel reisen zu lassen, denn, so glaubt er, die Einreise von Millionen US-amerikanischer Touristen würde mit Sicherheit die politischen Verhältnisse ändern.
"Die Leute kennen die Amerikaner einfach nicht"
Die kubanische Regierung habe das Volksempfinden und die Aggressivität der US-amerikanischen Bevölkerung gegenüber Kuba stark beeinflusst, meint Fariñas. "Die Leute kennen die Amerikaner einfach nicht. Wir glauben, dass mit der Ankunft der Amerikaner die Regierung ideologisch erschüttert wird, unabhängig davon, dass sie wirtschaftlich davon profitieren kann." Dabei, so glaubt der Kubaner, würde eine Annäherung den Wandel beschleunigen. "Wenn die Kubaner erst einmal erkennen, dass die Amerikaner uns Wohlstand bringen könnten, kann es zu einem Meinungswandel bei den Menschen kommen, die noch immer von der staatlichen Propaganda getäuscht werden.“
In seinem 2009 erschienenen Buch “Radiografía de los miedos en Cuba" (zu Deutsch etwa: Eine Röntgenaufnahme der Ängste auf Kuba) beschreibt Guillermo Fariñas die kubanische Gesellschaft im Zustand der Unterdrückung und Bedrückung, von der Angst Fidels vor einem Sturz bis hin zu den Ängsten eines einfachen Bürgers. "Das kubanische Volk lebt in einem ständigen Zustand der Angst“, stellt er fest.
Autorin: Eva Usi
Redaktion: Mirjam Gehrke