Restitution: Der Druck auf London steigt
3. Februar 2023Es war ein blutiger Überfall, den britische Soldaten 1897 auf den Königspalast im Königreich Benin, gelegen im heutigen Nigeria, verübten. Dabei raubten die Eindringlinge tausende kunstvoll gefertigte Skulpturen aus Elfenbein, Messing und Bronze. Die verschleppten Werke verkauften sie in ganz Europa. Noch heute sind die Benin-Bronzen - allesamt Zeugnisse einer alten und mächtigen Zivilisation - in Museen und Privatsammlungen rund um den Globus verstreut.
Meint es Europa ernst mit der Entkolonialisierung seiner Museen? Wenn ja, warum tut es sich dann so schwer mit der Rückgabe des in der Kolonialzeit geplünderten afrikanischen Kulturerbes? "Die Benin-Bronzen sind hier ein Prüfstein", sagt die Göttinger Historikerin Rebekka Habermas zur DW. "In der Restitutionsdebatte geht es um die Neubewertung europäischer Geschichte."
Vor allem das British Museum, das mit etwa 900 Exemplaren den Löwenanteil der Kunstschätze aus Benin verwahrt, lehnt bisher jeden Rückgabeanspruch ab. Das betrifft nicht nur die Benin-Bronzen.
Das britische Nein irritiert
Auch im Streit um den Athener Parthenon-Fries beruft sich London beharrlich auf ein rein britisches Gesetz, den "National Heritage Act", wonach die Objekte nationales Kulturerbe seien und das Land deshalb nicht verlassen dürften. Eine Position, die außerhalb des Königreichs auf wenig Verständnis stößt.
Tatsächlich wirkt die britische Haltung wenig zeitgemäß - aus Sicht von Restitutionsexpertin Habermas ist sie lediglich eine "Rückfallposition". "Gesetze sind dazu da, dass man sie auch verändern kann", sagt die Historikerin. Ganz anders als etwa in Frankreich, Spanien, Deutschland oder den Niederlanden hätten die Briten ihre Kolonialvergangenheit bis heute nicht bewältigt. "Großbritanniens Identität beruht nach wie vor in hohem Maße auf dem Empire", sagt die Historikerin. "Das irritiert ungeheuer, gerade wenn man Deutsche ist und ein etwas gebrochenes Verhältnis zur eigenen Vergangenheit hat."
Warum ist es überhaupt so wichtig, geraubtes Kulturgut zurückzugeben? "Es gibt einfach keine moralische Rechtfertigung für die Beschlagnahmung afrikanischer Artefakte in westlichen Museen", erklärte der kamerunische Philosoph Achille Mbembe noch 2021. Zwar werde es "die Zeit brauchen, die es braucht, aber die Bewegung lässt sich nicht aufhalten". Einen "symbolischen Schlusspunkt unter die Kolonialzeit" hält auch Rebekka Habermas für erforderlich - und zwar für die ehemaligen Kolonialreiche ebenso wie für die vormals kolonisierten Gebiete. "Schließlich leben diese Beziehungen auf einer ökonomischen wie einer kulturellen Ebene weiter."
Tatsächlich reicht die Restitutionsdebatte bis in die 1960er-Jahre zurück, als erste afrikanische Staaten im Gefolge des Zweiten Weltkrieges unabhängig wurden. Rückgabeforderungen aus Benin an das British Museum und an Frankreich liefen aber lange Zeit ins Leere. Neue Sprengkraft erhielt das Thema schließlich 2017 durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der in einer Rede in Burkina Faso die dauerhafte Rückgabe von Artefakten aus Subsahara-Afrika in Aussicht stellte.
Seither nahm die Debatte Fahrt auf, in Deutschland etwa im Zuge der Planungen für das Berliner Humboldt-Forum, in Belgien rund um die Eröffnung des Afrikamuseums in Terveuren, aber ebenso in den Niederlanden, in der Schweiz oder in Spanien. Was auffällt: Osteuropäische Länder halten sich dabei ebenso zurück wie die weltgrößte Kolonialmacht Großbritannien.
Als einen "Wendepunkt internationaler Kulturpolitik" wollten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth daher vor wenigen Wochen die Rückgabe von 20 Benin-Bronzen an Nigeria verstanden wissen. Die Artefakte gehörten lange Zeit zu den Beständen von Museen in Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart und Dresden/Leipzig. Die Rückgabe, so Baerbock während der Übergabezeremonie, zeige die "Bereitschaft, das eigene Handeln kritisch zu bewerten" mit einem "offenen Ohr für die Sorgen derjenigen, die Opfer kolonialer Grausamkeiten waren". Nigerias Bitte um Rückgabe sei lange Zeit ignoriert worden. Dies sei nun ein erster Schritt.
In Großbritannien, wo die Restituitionsdebatte kaum voran kommt, dürfte das deutsche Vorgehen kritisch beäugt worden sein. Das British Museum, an dessen Spitze der deutsche Kunsthistoriker Hartwig Fischer steht, hatte zuletzt in einer Stellungnahme erklärt: "Die Verwüstung und Plünderung, die im Zuge der britischen Militärexpedition von 1897 in Benin City angerichtet wurden, werden vom Museum voll anerkannt, und die Umstände des Erwerbs der Benin-Objekte werden in den Galerietafeln und auf der Website des Museums erklärt." Für die Historikerin Rebekka Habermas steht gleichwohl fest: "Der Druck auf das British Museum dürfte sich deutlich erhöht haben!"