Rätselraten nach Referendum
7. Dezember 2015Wie die Wahlleitung am Montag mitteilte, wollten 63 Prozent der Armenier die Änderung, 32 Prozent der Wahlberechtigten lehnten sie ab. Damit werden die Befugnisse des Staatsoberhauptes der Republik im Südkaukasus künftig auf den Regierungschef übergehen. Der Präsident bekommt demnach eher protokollarische Aufgaben.
Kritiker werten das als Versuch des Präsidenten Sersch Sargsjan, seine Macht aufrechtzuerhalten. Wenn seine zweite Amtszeit 2018 endet, kann er nicht erneut als Präsident kandidieren. Bekannte Regierungsgegner boykottierten das Referendum. Auch Sargsjans Vorgänger, Robert Kotscharjan. "Armeniens Probleme sind nicht mit der Verfassung verbunden. Ich sehe keinen Sinn in der Reform", sagte der ehemalige Präsident. Der amtierende Präsident Sargsjan bestritt die Vorwürfe.
Das Referendum wurde im Vorfeld und am Wahltag von Protesten begleitet. Der Führer der Oppositionspartei "Erbe", Armen Martirosyan, klagte "umfassende Verstöße" in Wahllokalen an. Das Wählerverzeichnis sei mangelhaft, Wähler seien entweder bestochen oder eingeschüchtert worden. Die Behörden erhielten rund 200 Hinweise auf Verstöße, teilten aber mit, es handele sich nach erster Einschätzung nicht um massive Vergehen.
Parallelen zu Putin und Erdoğan
Auf den ersten Blick scheint die Entwicklung in der Region nicht neu zu sein, wie an den Beispielen Russland und Türkei zu sehen ist. Laut russischer Verfassung sind mehr als zwei Amtszeiten in Folge als Präsident nicht möglich. Wladimir Putin wertete 2007 zum Ende seiner zweiten Amtszeit den Posten des Ministerpräsidenten auf – um ihn dann selbst zu übernehmen. Ebenfalls 2007 brachte in der Türkei die AKP, die Partei des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, eine Verfassungsänderung voran, dass der Präsident künftig direkt vom Volk gewählt wird, somit stärker legitimiert ist und mehr Macht hat. Erdoğan konnte nach seiner dritten Amtszeit als Ministerpräsident ebenfalls nicht erneut antreten – und ist seit August 2014 Präsident der Türkei.
Sargsjan: "Keine Absicht, Ministerpräsident zu werden"
Sargsjan widespricht den Spekulationen, zumindest einmal. Er habe keine Absicht nach seiner Präsidentschaft Ministerpräsident zu werden; ein Amt, das er schon vor seiner Wahl zum Präsidenten ein Jahr lang inne hatte. Vier Tage vor der Abstimmung wollte er seine Aussage nicht wiederholen. Die Regierung warb, die Verfassungsänderung bringe mehr Demokratie durch ausgeglichene Machtverhältnisse und eine stärkere Justiz. Richter würden künftig nicht mehr vom Präsidenten, sondern dem Parlament ernannt. Vor der Wahl sagte Sargsjan: "Die Änderungen werden die Zusammenarbeit der verschiedenen Teile der Regierung effektiver machen und wirtschaftliche Entwicklung und den Schutz der Menschenrechte fördern."
Auf dem Weg zur Demonkratie
Rückenwind bekommt Sargsjan von der Venedig-Kommission des Europarats, die unter anderem Staaten in verfassungsrechtlichen Fragen berät. Nach Angaben der Kommission ist das Referendum für Armenien ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratie. Der Nachrichtenagentur Associated Press zufolge hatten auch Oppositionsparteien im Parlament das Referendum unterstützt, in der Hoffnung mehr Einfluss in Armenien zu bekommen.
Nach Angaben der Wahlleitung nahm die Hälfte der Wahlberechtigten an der Abstimmung teil. Damit das Referendum gültig ist, musste mindestens ein Viertel die Stimme abgeben. Eine einfache Mehrheit reicht für das Ergebnis. Die Verfassungsänderung soll nach den Parlamentswahlen im Mai 2017 in Kraft treten
Wirtschaftlich hängt Armenien stark von Russland ab, etwa über billiges Gas. Die Regierung sucht aber auch eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union.
ust/wl (dpa, ap, afp, rtr, Archiv)