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Politisches Erwachen in Eriwan

Aschot Gasasjan / Markian Ostaptschuk25. Juni 2015

Aufruhr in Armenien: Steckt hinter den Massenprotesten mehr als die Wut über geplante Strompreiserhöhungen? In Armenien probt die junge Generation den Aufstand gegen das politische Establishment.

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Proteste gegen Strompreiserhöhung in Armenien (Foto: DW)
Bild: DW/A. Gazazyan

Seit Tagen gehen in Armenien tausende von Menschen auf die Straße, um gegen eine geplante Erhöhung der Strompreise zu protestieren. Die Polizei ging in der Hauptstadt Eriwan gewaltsam gegen Demonstranten vor. Mehr als 200 Aktivisten und Unterstützer der gesellschaftlichen Bewegung "Nein zum Raub!" wurden vorübergehend festgenommen.

Dennoch ebbt die Protestwelle nicht ab. Immer wieder kommen Menschen zusammen, auch in der Nähe des Präsidentenpalastes. Staatspräsident Sersch Sargsjan steht seit längerem bereits wegen einer geplanten Verfassungsreform in der Kritik. Er will ein parlamentarisches Regierungssystem einführen. Vermutet wird, dass er sich so als Ministerpräsident die Macht sichern will.

Nach seiner laufenden zweiten Amtszeit darf Sargsjan 2018 nicht erneut kandidieren. Im Oktober 2014 unterzeichnete er den Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion, ein vom russischen Präsidenten Wladimir Putin vorangetriebenes Gegenmodell zur EU. In der Folge kam es deswegen zu Demonstrationen gegen Sargsjan. Auf ein Assoziierungsabkommen mit der EU hat Eriwan verzichtet.

Abhängig von Moskau

Ohne eigene Öl- und Gasreserven ist Armenien auf Russland angewiesen. Der Stromanbieter des Landes, die "Elektrischen Netze Armeniens" (ESA), gehören zu 100 Prozent dem russischen Energieunternehmen "Inter RAO". ESA hat angekündigt, die Preise um rund 17 Prozent zu erhöhen.

Als Gründe für die Preiserhöhung wurden die Trockenheit im vergangenen Jahr genannt, die lange Reparatur des Atomkraftwerks Mezamor, etwa 30 Kilometer westlich der Hauptstadt Eriwan, sowie die Abwertung der Landeswährung Dram.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Armeniens Präsident Sargsjan (Foto: ITAR TASS)
Sersch Sargsjan und Wladimir Putin sind Partner in der Eurasischen WirtschaftsunionBild: imago/ITAR-TASS

Doch der Vorsitzende des armenischen Soziologenverbandes, Geworg Pogosjan, warnt vor den Folgen. Die Hauptlast der Strompreiserhöhung trage die Bevölkerung. "Vom 1. August an werden Waren, Dienstleistungen und Transport spürbar teurer", sagte Pogosjan der DW.

Schon heute befinde sich die Wirtschaft in einer Krise, so Pogosjan. Einkommen würden schrumpfen, Arbeitslosigkeit und Auswanderung zunehmen. Fernen würden sich die Sanktionen des Westens gegen Moskau negativ auswirken.

"Wir sind eng mit der russischen Wirtschaft verbunden", so Pogosjan. Armeniens Exporte würden unter dem Abschwung in Russland leiden. Auch Geldüberweisungen armenischer Arbeiter aus Russland würden zurückgehen. Einen Zusammenhang zwischen der Wirtschaftslage und der Entscheidung Armeniens zu Gunsten der Eurasischen Wirtschaftsunion sieht Pogosjan nicht. "Europa erlebt auch nicht die besten Zeiten", sagte er.

Geopolitischer Hintergrund?

Die Frage einer "pro-russischen oder pro-westlichen Ausrichtung" werde bei den Protesten nicht diskutiert, sagt Mikael Soljan vom "Zentrum für regionale Studien" in Jerewan. Einen geopolitischen Hintergrund hätten die Proteste in Armenien nicht.

"Die Menschen sind gegen Preissteigerungen, Korruption und Misswirtschaft", erklärt Soljan. Berichte in russischen Medien, wonach die Strompreiserhöhungen nur ein Vorwand für die Proteste seien und es sich in Wirklichkeit um eine vom Westen inszenierte "bunte Revolution" handele, weist der Politologe deswegen scharf zurück.

"Die Firma ESA ist zwar eine Tochter der russischen Inter RAO, aber jeder weiß doch, dass die Verantwortung letzlich bei den armenischen Behörden liegt. Und die Forderungen der Demonstranten richten sich gegen sie", so Soljan.

Armenien Protest Strompreise (Foto: REUTERS/Vahram Baghdasaryan)
Gegen die Demonstranten wurden Wasserwerfer eingesetztBild: Reuters/V. Baghdasaryan

Er ist überzeugt, dass die armenischen Behörden selbst dazu beitragen, dass sich die Ereignisse nach einem "Maidan-Szenario" entwickeln, da nicht auf die Forderungen der Demonstranten eingegangen werde. "Als die Demonstranten gewaltsam auseinandergetrieben wurden, kamen immer mehr noch entschlossenere Menschen hinzu", sagt er.

Eine neue Generation tritt an

Der Soziologe Geworg Pogosjan weist in diesem Zusammenhang auf die Auswirkungen des Generationenwechsels in der armenischen Gesellschaft hin. "Während ältere Menschen sich beschweren und die Korruption in der Regierung beklagen, ziehen es die jungen Menschen vor, zu handeln und für ihre Rechte zu kämpfen", erläuterte er. Das sei einer der Hauptgründe für die Konfrontation.

Ähnlich sieht es der Wirtschaftsredakteur Aschot Aramjan: "Die jungen Menschen sind auf den Geschmack des Sieges gekommen, als es ihnen gelang, die städtischen Behörden davon abzuhalten, die Preise für die öffentlichen Verkehrsmittel zu erhöhen und hässliche Kioske im Herzen der Hauptstadt aufzustellen." Jetzt seien sie überzeugt, auch weitere Probleme lösen zu können.