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Ruth Weiss - eine deutsch-afrikanische Jahrhundertzeugin

Claus Stäcker10. September 2014

In ihrem Geburtsland Deutschland kennen sie nur wenige. Im südlichen Afrika aber ist die 90-jährige Autorin und Journalistin Ruth Weiss eine Größe. Das Jüdische Museum Kapstadt ehrt sie nun mit einer Ausstellung.

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Schriftstellerin Ruth Weiss
Bild: public domain

"My very first question…" - so begann Ruth Weiss oft ihre Interviews. Musiklegende Miriam Makeba, Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer: Ruth Weiss hat sie alle getroffen. Mit Henry Kissinger, der damals noch "Heinz Kissinger" hieß, ging sie im fränkischen Fürth zur Schule. Nelson Mandela saß mit ihr am Küchentisch. Robert Mugabe traf sie in dessen Garten, und Sambias Ex-Präsident Kenneth Kaunda hielt ihr das Radiomikrofon. "Ich habe viele dieser späteren Führungspersönlichkeiten kennengelernt, als sie noch im Widerstand waren. Das hat mir diese Möglichkeit gegeben, eine andere Beziehung, fast auf Du und Du. Ich hatte einfach Glück", sagt die 90-Jährige.

Glück war es im Rückblick auch, dass ihr Vater gleich nach der Machtübernahme der Nazis 1933 arbeitslos wurde. Weil er Jude war, fand er nirgendwo in Deutschland mehr einen Job. Drei Jahre später verlässt die Familie ihre Heimatstadt Fürth in Bayern und wandert nach Südafrika aus, ans Kap der Guten Hoffnung. Ruth Weiss wird mit zwölf Jahren Südafrikanerin.

Im jüdischen Kulturverband trifft sie linke und liberale Intellektuelle - auch ihren späteren Ehemann, den Journalisten Hans Weiss, und Nadine Gordimer. Während die Schriftstellerin mit den Männern über Politik, Rassentrennung und Literatur streitet, freundet sie sich mit der stillen, fast untertänigen Ehefrau Ruth erst viel später an. Sie sei einmal gefragt worden, ob sie mit ihrer Freundin Gordimer über Literatur oder über deren Bücher geredet hätte, erinnert sich Weiss. "Nie! Das war nicht unser Thema. Es war eine typische Frauenfreundschaft, die sich dann auch durch die Jahrzehnte erhalten hat."

Foto: Archiv der Basler Afrika Bibliographien
Ruth Weiss um 1980 mit Simbabwes Präsident Robert Mugabe und der späteren Nobelpreisträgerin Nadine GordimerBild: Archiv der BAB

Mit dem Sohn zum Interview

Gordimer erkennt, wie sehr sie die schüchterne Freundin unterschätzt hat: Ruth Weiss veröffentlicht Kurzgeschichten, später Romane, Krimis, Kinderbücher. Ehemann Hans Weiss redet ihr das Jura-Studium aus, seine journalistische Arbeit überlässt er ihr aber gern. So kommt sie zu ihrer ersten Recherchereise nach Tanganijka, wie das ostafrikanische Tansania damals hieß. "Ich wusste gar nicht, dass ich das konnte", gesteht sie. "Ich hatte wahnsinnige Angst. Ich musste natürlich furchtbar viel lesen vorher. Tansania war für mich kein Begriff."

Aber Weiss erledigt den Job exzellent. Bald sagt sie sich vom dominanten Ehemann los. Sie schreibt gegen die Apartheid an und wird vom weißen Regime auf die schwarze Liste gesetzt. Sie arbeitet für die Financial Times und andere renommierte Zeitungen. Sie lebt in Harare und Lusaka.

Ihren Sohn Sascha zieht Weiss allein auf. Zu Interviews nimmt sie ihn einfach mit. Auch zum Flughafen Lusaka, wo Sambias Präsident Kenneth Kaunda gerade mit Salutböllern einen Staatsgast empfängt. Der kleine Sascha ist ganz vorn dabei. "Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist. Plötzlich ist er losgerannt über diesen Flugplatz - auf die Kanonen zu. Kaunda hat das gesehen und hat einen seiner Sicherheitsbeamten nachgeschickt." Der habe den Jungen aufgehalten und zu Kaunda getragen. "In einem europäischen Land wäre das doch ein Fiasko gewesen!“, sagt Weiss amüsiert.

Mit dem sambischen Staatschef Kenneth Kaunda, der wie sie 1924 geboren ist, verbindet sie bis heute eine Freundschaft - und weitere gemeinsame Anekdoten. Bei einem Radiointerview in den 1970er Jahren führt der Präsident gerade einen Gedanken aus, als Weiss wohl versehentlich das Mikrofon umstößt. Kaunda wartet geduldig. "Ich helfe Ihnen, ich halte es selbst", bietet er an. Weiss akzeptiert.

Basler Afrika Bibliographien Buchcover Ruth Weiss A Pass through Hard Grass. A Journalist's Memories of Exile and Apartheid
Ruth Weiss' Autobiographie "A Pass through Hard Grass" erschien 2014 im Verlag Basler Afrika Bibliographien

Glückwünsche von Kissinger

Nicht nur Kaunda erinnert sich an Ruth Weiss. Neulich, zu ihrem 90.Geburtstag, gratulierte auch Henry Kissinger: Ex-US-Außenminister, Friedensnobelpreisträger und Weiss' alter Freund aus Schultagen im bayerischen Fürth. Er gratulierte via Facebook. Mit dem sozialen Medium sei sie zwar nicht so vertraut, sagt Weiss. "Ich habe aber vor ein paar Tagen mal die Seite aufgemacht und da war so'n Glückwunsch von Kissinger. 'From one Fürther to another' - das fand ich doch sehr schön.“

Auf einen anderen 90-Jährigen ist Ruth Weiss weniger gut zu sprechen: Robert Mugabe. Auch ihn hat sie früh kennengelernt, war mit seiner ersten Frau Sally befreundet. Als Mugabe 1980 erster schwarzer Ministerpräsident von Südafrikas Nachbarland Simbabwe wird, wartet Ruth Weiss mit Mugabes Familie und einigen Freunden im Garten auf ihn, um zu feiern. "Es war eine sehr, sehr schöne Stimmung. Und dann kam Mugabe - und der Chef hat nicht mal jedem die Hand geschüttelt, nur ein paar. Dann ging er in sein Zimmer - allein."

Bis heute erscheint ihr das wie eine Schlüsselszene für die Persönlichkeit des Autokraten. Ein einsamer, berechnender Mann ohne Charme und Charisma, sagt sie. Schon kurz nach der Unabhängigkeit 1980 verbreitet Mugabe ein Klima der Angst. Junge Journalisten, die Ruth Weiss ausbilden soll, trauen sich nicht mehr, die Wahrheit zu schreiben. Sie legt das Mandat nieder und muss das Land bald verlassen.

Mandela bricht das Eis

1990 aber taucht ein Mann anderen Kalibers in Simbabwes Hauptstadt Harare auf: der gerade aus seiner Jahrzehnte währenden Gefängnisstrafe entlassene Nelson Mandela. Auch hier gibt es eine Anekdote: Die Exilführung des Afrikanischen Nationalkongresses ANC will am Flughafen die ersten Teilnehmer eines neuen Bildungsprogramms begrüßen. Man erwartet junge schwarze Parteikader - doch stattdessen kommen zwei junge Burinnen: hübsch, blond, weiß. "Betretene Stille. Es war wirklich eine eisige Stimmung. Dann ging die Tür auf, Mandela kam rein, guckt sich um und setzt sich genau zwischen die beiden Frauen. Und guckt erst die eine an und dann die andere. Und sagt: 'Welkom. Welkom na Simbabwe.', auf Afrikaans. Und das hat einfach das Eis gebrochen", erinnert sich Weiss und fügt hinzu: "Das war Mandela."

Die Journalistin kann stundenlang solche Anekdoten erzählen. Trotz ihrer 90 Jahre ist sie immer hellwach und zu fast jedem afrikanischen Thema auskunftsfähig. Ihr journalistisches Werk würdigen jetzt das Jüdische Museum und der Verlag "Basler Afrika Biographien", der gerade auch Weiss' Autobiographie veröffentlicht hat, mit einer Ausstellung in Kapstadt.

Ruth Weiss im Gespräch mit der Sängerin Miriam Makeba

Mit Deutschland macht die Jüdin erst spät ihren Frieden. Mitte der 1970er Jahre, als sie für die Deutsche Welle arbeitet, hat sie noch große Schwierigkeiten mit den selbstzufriedenen Deutschen, die die Nazizeit gerne vergessen möchten. Erst im Jahr 2002 hält sie es wieder dauerhaft in Deutschland aus und zieht ins westfälische Lüdinghausen. Drei Jahre später wird sie für den Friedensnobelpreis nominiert.

Inzwischen ist eine Aschaffenburger Realschule nach Ruth Weiss benannt, und ihre Bücher stehen auf der Lektüreliste vieler deutscher Schulen. Ruth Weiss sieht eine neue Generation vor sich: Vom beschaulichen Lüdinghausen aus klärt sie unermüdlich Kinder und Jugendliche über Rassenhass, Antisemitismus, Apartheid und Nationalsozialismus auf. Ihre Motivation? "Für einen jungen Menschen ist es doch wichtig, jemanden fragen zu können, der damals gelebt hat. Aus diesem Grund bin ich bereit, das auf mich zu nehmen, solange ich das noch kann."

Sie versuche, das Richtige zu tun, sagt Ruth Weiss. So wie sie es in ihrem ganzen Leben versucht habe.