Was wir über Russlands nukleare Wunderwaffe wissen
14. August 2019Erstmals erwähnte Russlands Präsident Wladimir Putin seine neue Wunderwaffe bei der Rede zur Lage der Nation am 1. März 2018. Er zeigte ein Animationsvideo, auf dem ein lenkbarer Marschflugkörper zu sehen ist, der zunächst auf dem Atlantik Luftabwehrsystemen ausweicht, dann um Kap Horn herumfliegt, um am Ende ein Ziel in Hawaii zu zerstören. Der staatsnahe Sender "Russia Today", präsentiert die vermeintliche neue Waffe namens "9M730 Burevestnik" im Rahmen eines ganzen neuartigen Waffenarsenals auf Youtube.
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Zunächst stellt sich die Frage: Sind die von Putin und Russia Today präsentierten Bilder im Stile eines Computerspiels eher Science Fiction oder gibt es die Waffen wirklich?
Indizien für Waffenexperimente
Am 8. August kam es in Sewerodwinsk bei Archangelsk auf einem Militärgelände zu einer heftigen Explosion. Laut der russischen Atomenergiebehörde Rosatom wurden fünf Mitarbeiter durch eine Explosion beim Test eines Flüssigtreibstoffraketenantriebs getötet. Drei weitere Rosatom-Mitarbeiter erlitten Verbrennungen.
Die Mitteilung von Rosatom wirft Fragen auf, denn die Meldung unter anderem auf "Isotope" Bezug. Die meisten Isotope sind allerdings radioaktiv – ein unüblicher Treibstoff für eine Flüssigtreibstoff-Rakete.
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Die Umweltschutzorganisation Greenpeace berichtet unter Berufung auf das russische Katastrophenschutzministerium, dass nach der Explosion die Strahlungswerte in Sewerodwinsk um das zwanzigfache angestiegen seinen, so die Agentur Reuters. Auch das würde also auf eine Freisetzung radioaktiver Stoffe hindeuten.
Was für ein Antrieb war es?
Da flüssigkeitsgetriebene Raketen selbst keine Radioaktivität abgeben, liegt die Vermutung nahe, dass der getestete Flugkörper eine Kombination eines konventionellen und eines nuklearen Antriebs gehabt haben könnte.
Zwar hatte Vladimir Putin beteuert, dass der neue Marschflugkörper schon 2017 erfolgreich getestet worden sei, Beweise dafür gibt es indes nicht. Der US-Sender CNBC hatte Ende März 2019 unter Berufung auf Geheimdienstkreise berichtet, der Marschflugkörper sei ab Februar 2018 fünf mal getestet worden und dabei jedes Mal abgestürzt.
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Nukleare Abschreckung muss neu gedacht werden
Sollte die Waffe indes tatsächlich existieren, wäre es die erste Interkontinentale Cruise Missile der Welt. Strategisch wäre sie Interkontinentalen Ballistischen Raketen (ICBM) überlegen, deren Flugbahn sich nach dem Start nicht mehr ändern lässt und die theoretisch durch Raketenabwehrsysteme getroffen werden könnten.
Praktisch sind ICBMs allerdings schon seit den 1980er Jahren kaum aufzuhalten, weil ihre Geschwindigkeit zu hoch ist. Amerikanische und Russische Atomraketen sind zudem mit Mehrfachsprengköpfen ausgestattet, so dass ihre Feuerkraft jegliche Luftabwehr schon zahlenmäßig überwindet.
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Wie könnte der nukleare Antrieb funktionieren?
Ein nuklearer Raketenantrieb nutzt nicht die Energie der Verbrennung, um eine Düse anzutreiben, sondern die Hitze, die bei einer laufenden Kernspaltung entsteht. Bereits kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges begannen Forscher in den USA und der Sowjetunion an solchen Nuklearantrieben für Flugzeuge und Trägerraketen zu tüfteln, jedoch stets erfolglos.
Entsprechende Flugzeuge, die von beiden Weltmächten gebaut wurden, flogen zwar, allerdings nie unter Nutzung der dafür vorgesehenen Nuklearantriebe, sondern ausschließlich mit konventionellen Düsenantrieben.
Sinn der Versuche war es stets, die Abschirmung der Flugzeugbesatzungen gegen die Radioaktivität des Nuklearantriebs zu testen.
Austretende Radioaktivität dürfte auch eine der großen Gefahren einer nuklearangetriebenen Rakete sein. Zwar gilt es hier nicht, die Crew zu schützen. Aber angesichts der Tatsache, dass eine atomare Kettenreaktion abläuft, die genug Hitze produziert, um die Rakete auf mehrfache Überschallgeschwindigkeit zu beschleunigen, könnte ein Absturz lokal verheerende Folgen haben.
Möglicherweise nehmen die Militärs und Ingenieure im Falle eines nuklearen Schlagabtausches einen solchen nuklearen Kollateralschaden auch auf befreundetem Territorium ohne weiteres in Kauf. Andererseits könnte der Vorfall bei Archangelsk auch ein Indiz dafür sein, welche Gefahren von solch einer Technik selbst im Friedensfall ausgehen.
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