Die 15 ist keine runde Zahl. Doch wenn ein Staatsoberhaupt zum 15. Mal seine jährliche Rede zur Lage der Nation hält, dann hat das schon fast den Charakter eines kleinen Jubiläums. Es hat aber auch etwas von langweiliger Routine. So muss es auch dem russischen Präsidenten Waldimir Putin bei seiner heutigen (20.02.) Rede vor der russischen Föderalversammlung ergangen sein: Routiniert, aber ohne wirklich großen Enthusiasmus spulte Putin seinen Vortrag ab.
Im Unterschied zum vorangegangenen Mal konnte er das Publikum auch nicht mit ergreifenden Computersimulationen über neuartige russische Wunderwaffen begeistern. Entsprechend stoisch ertrug die politische, wirtschaftliche und religiöse Elite Russlands die Ausführungen ihres Präsidenten und klatschte ebenfalls routiniert an den richtigen Stellen.
Putins Verheißungen und die bittere Realität
Der Kern der rund 90-minütigen Rede war - wie schon so oft in Putins früheren Reden – das Versprechen, dass die soziale und ökonomische Lage der Menschen verbessert werden soll. Dabei spielte er die altbekannte Rolle des sich sorgenden und kümmernden Landesvater: hier eine Erhöhung sozialer Leistungen, dort neue Vergünstigungen.
Doch nach vielen Jahren wirtschaftlicher Stagnation und sinkender Realeinkommen werden die neuen sozialen Verheißungen die Stimmung im Lande trotzdem nicht verbessern. Selbst das staatlich kontrollierte Meinungsforschungsinstitut WZIOM stellte im Januar sinkendes Vertrauen für Putin fest: Nur noch rund ein Drittel aller Russen vertraut Putin - ein historischer Tiefstand seit 2005. Die Ursache dafür ist in der von Putin im vergangenen Jahr beschlossenen Erhöhung des Renteneintrittalters zu sehen. Die Folge waren für Russland verhältnismäßig große Proteste.
Die nun neu versprochenen Wohltaten werden den Unmut über das höhere Renteneintrittsalter nicht vergessen machen. Denn wieviel Putins Versprechungen wert sind, offenbart gerade ein Projekt seines schärfsten politischen Widersachers Alexej Nawalny: Er nutzt aus, dass Putin in seinen Präsidenten-Erlassen vom Mai 2012 genau festgelegt hatte, dass viele Millionen russischer Staatsangestellte - insbesondere Ärzte, Professoren, Lehrer, Dozenten, Krankenschwestern - Gehälter in einem bestimmten Verhältnis zum jeweiligen regionalen Durchschnittseinkommen erhalten sollen. Solch ein konkretes Versprechen Putins lässt sich natürlich nachprüfen: Auf einer von Nawalnys Team eingerichteten Website können russische Staatsangestellte nun kontrollieren, ob ihr von Putin versprochenes Gehalt der Realität entspricht - oder eben nicht.
Die russische Wirklichkeit macht Putin aber nicht nur in der sozialen Sphäre einen Strich durch die Rechnung. Während der russische Präsident ein besseres Geschäftsklima und eine verbesserte Rechtsordnung verspricht, sitzt der amerikanische Top-Investor Michael Calvey seit ein paar Tagen in Moskau in Haft. Dass dieser politisch völlig konforme US-Geschäftsmann, der seit etwa 25 Jahren mit dem Private-Equity-Fonds Baring Vostok Milliarden in Russland und der Region investiert hat, nun ein solches Schicksal ereilt, hat die Moskauer Geschäftswelt erschüttert. Nur wenige Unternehmer dürften Putins Worten jetzt noch vertrauen.
Putins eigene Weltsicht
Damit zerschellen Putins Versprechungen an der von ihm seit Jahren verantworteten Realität. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn er heute (20.02.) selbst feststellen musste, dass er in früheren Reden erhebliche Missstände angemahnt hatte, aber es bislang keine Verbesserungen gegeben habe.
Auch in außenpolitischer Hinsicht enthielt Putins Rede keine wesentlichen Überraschungen: Dass der russische Präsident die massive russische Aufrüstung nur für eine Verteidigungsmaßnahme hält, war bekannt, wird dadurch aber nicht glaubhafter. Es ist im Westen Konsens, dass der Kreml verantwortlich ist für Desinformationskampagnen, den Einsatz des Nervengifts gegen den früheren russischen Agenten Skripal, die Annexion der Krim, den Abschuss des Passagierflugzeuges MH17, die verdeckte militärische Intervention in der Ukraine und die Missachtung des INF-Vertrages. Daher sind Putins neuerliche Rüstungsdrohungen gegen den Westen bedauerlich, aber längst in die politischen Berechnungen eingepreist - und ohne neue Computersimulationen auch nicht mehr so schaurig schön anzuschauen.