Russland erhöht den Druck auf Syrien
18. November 2011Syrien stehe am Rande eines Bürgerkrieges und drohe zu zerfallen, sagte Sergej Lawrow mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Syrien. Der russische Außenminister forderte einen Dialog zwischen der syrischen Regierung und der Opposition sowie den Verzicht auf jegliche Gewalt. Nach Lawrows Treffen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Donnerstag (17.11.2011) wurde klar, dass Moskau das Regime in Damaskus nach wie vor nicht fallen lassen will. Doch diese Unterstützung hat möglicherweise Grenzen. Vieles werde davon abhängen, wie lange der Kreml den syrischen Machthaber Bashar al-Assad noch als handlungsfähig einstufe, meint der russische Politologe Michail Winogradow, Leiter der unabhängigen Moskauer Stiftung "Petersburger Politik".
Bereits im Sommer hatte der russische Präsident Dmitri Medwedew den syrischen Präsidenten sehr deutlich gewarnt. Wenn al-Assad sich nicht mit der Opposition versöhne und den Frieden wiederherstelle, erwarte ihn ein "trauriges Los", sagte der Kreml-Chef. Bislang lehnt die UN-Vetomacht Russland Sanktionen gegen Syrien ab. Noch im Oktober verhinderte Moskau gemeinsam mit China eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrates.
Russland will kein Szenario nach libyschem Vorbild
Russland befürchtet, dass eine UN-Resolution eine gewaltsame ausländische Einmischung nach libyschem Vorbild ermöglichen könnte. Trotzdem sei Syrien für den Kreml längst kein strategischer Partner mehr, meint der Leiter der kremlnahen Moskauer Stiftung "Polititika", Wjatscheslaw Nikonow. Russland sei vor allem besorgt um die Stabilität im Nahen Osten.
Das Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat gibt Russland derzeit die Möglichkeit, seine Muskeln als Großmacht zu zeigen. Aber auch als Wirtschaftspartner ist Syrien für Moskau wichtig. Syrien sei hier bedeutender als zum Beispiel Libyen, sagt der Experte Michail Winogradow. Dazu gehören auch Waffengeschäfte. Außerdem gibt es Zehntausende von Syrern, die in der früheren Sowjetunion studiert haben und die russische Sprache beherrschen. Die Kontakte im Bildungsbereich werden heute noch gepflegt - wenn auch nicht mehr so intensiv wie vor 1989.
Waffenpartnerschaft seit den 70er Jahren
Syrien ist noch immer einer der wichtigsten Abnehmer russischer Rüstungsgüter im Nahen Osten. Doch diese Geschäfte mit Damaskus spielten inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle und würden überschätzt, sagt der unabhängige Moskauer Militärexperte Alexander Golz. Seinen Angaben zufolge zahle Syrien heute vor allem für die Instandhaltung und Modernisierung der Rüstungsgüter aus sowjetischer Produktion.
Die größten Geschäfte zwischen Moskau und Damaskus kamen in den 1970er Jahren zustande, so Golz. Diese Deals waren für Syrien attraktiv. Über Kalaschnikows scherzte man damals, ihr größter Vorteil sei nicht die starke Schusskraft. Die Maschinengewehre waren deswegen so begehrt, weil die Sowjetunion sie ihren Verbündenten im Kalten Krieg zu Dumping-Preisen anbot. So bekam auch Damaskus viele Waffen faktisch geschenkt. Noch 2005 erließ Moskau Syrien Schulden in Höhe von fast zehn Milliarden Dollar, eben aus jenen Waffengeschäften in sowjetischer Zeit. Syrische Militärflugzeuge und Panzer vom Typ T-72, die von der Armee heute für die Niederschlagung der Proteste verwendet werden, stammen meist noch aus den Breschnew-Zeiten.
Wichtiger als Rüstungsgeschäfte scheint für Moskau heute dagegen der kleine Stützpunkt der russischen Marine in der syrischen Hafenstadt Tartus zu sein. Er wird Golz zufolge ausschließlich für die Versorgung genutzt. Auf dem Weg zum Indischen Ozean würden dort russische Kriegsschiffe aufgetankt und mit Lebensmitteln versorgt. Auch kleine Reparaturen würden durchgeführt.
Syrische Opposition in Moskau
Neben dem Interesse an diesem Stützpunkt gebe es auch emotionale Gründe für die Haltung Russlands, glaubt Michail Winogradow von der Stiftung "Petersburger Politik". Im russischen Establishment sei die Meinung sehr verbreitet, dass Russland in der Libyen-Frage zu viele Zugeständnisse gemacht habe. Die russische Polit-Elite befürchte zwar nicht, dass die Freiheitsbewegungen in der arabischen Welt Nachahmer in Russland finden könnte, doch weitere Präzedenzfälle wie in Libyen wünsche Moskau sich auf keinen Fall, so Winogradow.
Trotzdem entsteht der Eindruck, dass Russland politisch jetzt nichts mehr auszuschließen scheint. Die Gegner von al-Assads Regime waren schon mehrmals in Russland zu Besuch. Erst vor kurzem wurde der Vorsitzende des oppositionellen Nationalrates, Burhan Ghalioun, in Moskau empfangen. Er führte Gespräche mit Vertretern des Außenministeriums und des Föderationsrates. Der Kreml unterstützte die Forderung Ghaliouns nach einem Rücktritt des syrischen Präsidenten nicht. Aber ein Zeichen hat Dmitri Medwedew bereits im Oktober gesetzt: Wenn die syrische Regierung keine Reformen durchführe, müsse sie wohl gehen, sagte der russische Präsident.
Autor: Viacheslav Yurin
Redaktion: Bernd Johann