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Politik

Mildere Strafe für häusliche Gewalt

Yulia Vishnevetskaya | Roman Goncharenko
27. Januar 2017

Das russische Parlament verabschiedete das umstrittene Gesetz, das Strafen für häusliche Gewalt mildert. Wer zum ersten Mal zu Hause gewalttätig wird, muss keine strafrechtliche Verfolgung mehr fürchten.

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Eine Faust
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Wenn ein Mann seine Frau schlägt und sie mit blauen Flecken, Hautabschürfungen aber "ohne kurzzeitige Gesundheitsstörung" davon kommt, ist das in Russland bald keine strafrechtliche Tat mehr, sondern eine Ordnungswidrigkeit. Die Staatsduma, das Unterhaus des russischen Parlaments, billigte am Freitag in der dritten Lesung den entsprechenden Gesetzentwurf. Wenn auch das Oberhaus und Präsident Wladimir Putin zustimmen, würden bei "milden Fällen häuslicher Gewalt" auch milde Konsequenzen eintreten. Vorgesehen ist eine Geldstrafe von umgerechnet bis zu 470 Euro, eine Haft von bis zu 15 Tagen oder soziale Arbeit. Die Milderung gilt nur für Ersttäter, bei Wiederholung greift das bisherige Strafrecht, bei dem auch eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren möglich ist.

Klaps als Erziehungsmethode akzeptiert

Das neue Gesetz ändert die Regelung, die erst 2016 vom Parlament verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet wurde. Damals wurden die Strafen für sogenannte "Poboi" (Schläge) insgesamt entschärft und als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Doch für Fälle in der Verwandtschaft waren doch strafrechtliche Konsequenzen vorgesehen.

Das löste Kritik aus. Es gab Befürchtungen, das neue Gesetz würde Beziehungen zwischen Eltern und Kindern "kriminalisieren". In Russland kommt es häufiger vor, dass Kinder von Eltern oder Großeltern gezüchtigt werden. In der Gesellschaft gilt das bei einigen als eine effektive, wenn auch rustikale Erziehungsmethode.

Der jetzt verabschiedete Gesetzentwurf wurde unter anderem von Elena Misulina eingebracht, einer für ihre streng konservativen Ansichten bekannte Abgeordnete der Partei "Gerechtes Russland". Denn Misulina hält Klapse für eine "leichte Erziehungsmaßnahme" und möchte Ungleichheit abschaffen. "Wenn man seinem ungehorsamen Kind einen Klaps verpasst, drohen einem bis zu zwei Jahren Haft", empörte sich Misulina in der Duma Anfang Januar. "Wenn aber ein Nachbar es tut, wird nur eine Ordnungsstrafe verhängt."

Jelena Misulina Partei Gerechtes Russland
Elena Misulina hält Klapse für eine "leichte Erziehungsmaßnahme"Bild: picture-alliance/dpa

Tausende Opfer häuslicher Gewalt

Die Menschenrechterin Anna Riwina, Leiterin des Projekts "Nasiliju.Net" (Nein zur Gewalt) hält eine solche Ungleichheit für begründet. "In einer verwandtschaftlichen Beziehung ist die Lage der Opfer schwieriger, als wenn es um eine Schlägerei auf der Straße geht", sagt Riwina. "Wenn es um Verwandtschaft geht, kann man nicht nach Hause laufen und sich verstecken. Nicht selten gibt es psychologischen und wirtschaftlichen Druck."

Der im Westen verbreitete Begriff "häusliche Gewalt" existiert in der russischen Gesetzgebung nicht, doch das Phänomen ist weit verbreitet. Rund 40 Prozent aller Schwerverbrechen passieren in Familien, sagt Riwina und bezieht sich auf Polizeistatistik. Allein 2013 seien rund 9.100 russischer Frauen in Folge häuslicher Gewalt gestorben. Weitere 11.300 erlitten schwere Gesundheitsschäden. Es sei jedoch die Spitze des Eisbergs, so Riwina. Die Statistik erfasse nur ein Drittel der Fälle und vor Gericht würden nur drei bis sieben Prozent landen.

Ermunterung für Gewalttäter in Familien?

Das bestätigt eine Frau, die anonym bleiben möchte. "Ich habe mehrmals die Polizei gerufen, als mein betrunkener Ehemann mich und die Kinder prügelte", sagt sie. "Am Ende habe ich jedes Mal eine Erklärung gegen die Einleitung eines Strafverfahrens geschrieben." Sie habe es so gewollt und schaltete die Polizei nur ein, damit sich ihr Ehemann "sofort beruhigt". Das habe funktioniert. Das neue Gesetz würde für sie keine Änderung bringen, sagt die Frau. 

Für Natalia Nusinowa aus Moskau - schon. 2014 habe ein Mann, mit dem sie zusammen lebte, sie geschlagen. Er habe gedroht, sie von einem Hochhaus herunterzuwerfen. Natalia glaubt, dass mildere Strafen die Gewalttäter entfesseln würden: "Sie werden sich straffrei fühlen". Die Frau plädiert für ein Gesetzt, das Täter härter bestrafen und Opfer besser beschützen soll. Denn als sie sich mit einem Messer wehrte, verletzte sie den Angreifer. Nun drohen der Frau bis zu zehn Jahre Haft wegen schwerer Körperverletzung.

Bisher sei es sehr schwer, häusliche Gewalt nachzuweisen. In Krankenhäusern werde eine Frau mit Vorbehalten empfangen, als würde sie aus einer Problemfamilie kommen. Dabei könne häusliche Gewalt jeden treffen.

Kritik aus Ausland unerwünscht

Kritik löste der Gesetzentwurf nicht nur von Menschenrechtlern in Russland aus, sondern auch im Ausland. Nach der Verabschiedung in der ersten Lesung schickte der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, einen Brief an die Führung des russischen Parlaments. Er äußerte sich besorgt und appellierte, Familien und Frauen vor Gewalt zu schützen.

Der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin lehnte den Appell als Einmischung in innere Angelegenheiten ab. Er bezog sich auf eine Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM, wonach rund 60 Prozent der Russen mildere Strafen bei häuslicher Gewalt unterstützen.

Die meisten Befragten (79 Prozent) sprachen sich generell gegen jegliche Form von Gewalt in Familien aus. Doch jeder Fünfte fand es unter bestimmten Bedingungen akzeptabel. 

Russland ist einer der vier Mitglieder des Europarats, die die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt weder unterzeichnet, noch ratifiziert haben.