Hightech in Ruanda
25. Juni 2007"Nach den grausamen Massakern der letzten drei Monate traut kein Nachbar mehr dem anderen. Das Misstrauen, die Verzweiflung und Angst werden noch lange bleiben. Ruanda wird auf Jahrzehnte - auch wenn politischer Friede herrscht - eine instabile Gesellschaft bleiben." (Der ARD-Korrespondent Christoph Plate im Juni 1994)
13 Jahre später: Ruandas Hauptstadt Kigali breitet sich immer weiter über die sattgrünen Hügel aus. Die Landschaft erinnert an die Schweiz. Im Zentrum Kigalis fahren dunkle Geländewagen mit Allradantrieb über die gepflegten Kreisverkehre und frisch geteerten Straßen. In den teuren Wagen sitzen nicht nur hoch bezahlte Mitarbeiter ausländischer Organisationen und Firmen, sondern häufig auch Einheimische. Viele Ruander haben jahrelang im Exil gelebt. Dort haben sie studiert oder andere Ausbildungen gemacht.
Nach dem Völkermord hat sich die Regierung ihres Landes um die jungen Fachkräfte bemüht und viele von ihnen zurückgeholt. Das Ziel: Eine gebildete, friedliche Gesellschaft. Das Zauberwort lautete dabei IT, kurz für Informationstechnologie. Der Wunsch nach radikaler Modernisierung stieß aber auch auf Unverständnis. "Wir hatten Auseinandersetzungen mit unseren Entwicklungshilfepartnern. Die haben gesagt 'Glaubt ihr, ihr braucht IT für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung? Oder braucht ihr bessere Unterkünfte, besseres Essen, braucht ihr Trinkwasser?,'" erzählt der Minister für Kommunikation Albert Butare.
Mehr Gerechtigkeit durch Fernstudien
Die ruandische Regierung ließ sich nicht von ihrem IT-Kurs abbringen. In einem Land, das über so gut wie keine Bodenschätze verfügt und dessen Fläche viel zu klein ist, um die rund acht Millionen Einwohner allein von der Landwirtschaft zu ernähren, eine wichtige Entscheidung. Aber es geht um mehr als nur um die wirtschaftliche Zukunft des kleinen Landes. Das Internet kann in Ruanda auch für Stabilität sorgen, meinen viele.
So sorgen beispielsweise Fernstudienprogramme für mehr Gerechtigkeit beim Zugang zu Bildung. "Vor dem Genozid hatten die Tutsi kaum eine Chance, an der Uni angenommen zu werden. Sogar bei weiterführenden Schulen war es schon schwierig", sagt Paul Birungi Masterjerb, Direktor für Weiterbildung am Kigali Institute for Education. Aber nicht nur die Tutsi seien benachteiligt gewesen. Die Ausgrenzung habe auch auf Regionen basiert. "Die Gegend, aus der der alte Präsident kam, wurde bevorzugt. Das heißt, andere Hutu-Regionen wurden auch benachteiligt."
Gefährliche Ignoranz
Wenn es nach der ruandischen Regierung geht, hebt sich die Trennung zwischen Hutu und Tutsi ohnehin bald auf. Alle seien schließlich Ruander und sprächen mit Kinyaruanda eine Sprache - in Afrika eine Seltenheit. Trotzdem: Buchstäblich hinter vorgehaltener Hand spielt es dann doch immer noch eine Rolle, ob jemand zu den Hutu oder den Tutsi gehört.
"Einer der Gründe, warum der Genozid passiert ist, war die Ignoranz der Leute", sagt der ruandische Entwicklungsberater Nathan Rubangura. Die Menschen seien nicht in der Lage gewesen, zu kommunizieren und Ideen auszutauschen. "Ich denke, wenn man das Internet mehr nutzt, können die Leute auch Erfahrungen miteinander teilen. Das schafft Alternativen im Kopf. Jetzt haben die Menschen eine ganze Reihe an Sachen, die sie beschäftigen, anstatt daran zu denken, sich gegenseitig umzubringen."
Aufholbedarf auf dem Land
Während in Kigalis schicken Hotels und Cafés die Jeunesse d'Orée ihre schmalen Laptops auspackt und sekundenschnell und ohne Kabelverbindung Internetseiten abruft, E-Mails schreibt und Musik hört, sieht es auf dem Land noch anders aus. Selbst wenn es Internetzugänge gibt, sind die Übertragungsraten meistens miserabel. Die Regierung sieht das Problem. Der Zugang für die ländlichen Gemeinden sei eines der Hauptthemen, sagt Kommunikationsminister Butare. "Ein entscheidender Anteil der Leute lebt immer noch draußen in den ländlichen Gegenden. Diese Menschen brauchen Infrastruktur. Ein Rückgrat so gut wie das in der Stadt. Sie müssen ans Internet angeschlossen werden."
Onlinebanking und Kaffeebörsen
Die Anwendungsbereiche sind auf den ersten Blick vielleicht etwas überraschend: Die Kaffee-Bauern sollen die internationalen Märkte für ihre Ernte beobachten und die Menschen in den Dörfern sollen online ihre Bankgeschäfte erledigen. Und dann kommt wieder der Bezug zum Genozid: Der Justizminister und andere Experten sollen die Gacacas, die traditionellen Dorfgerichte, über das Internet bei der Aufarbeitung des Völkermords unterstützen. "Die Leute können Ratschläge geben, sie können die beruhigen, die leiden, aber sie können auch ihr Fachwissen über das Justizsystem zur Verfügung stellen", erklärt Butare.
Noch ist Ruanda von Satellitenverbindungen abhängig und muss dafür viel Geld zahlen. Das zentralafrikanische Land gehört zu den vielen afrikanischen Ländern, die nicht an ein Tiefseekabel angeschlossen sind. Im Moment verhandelt die ruandische Regierung allerdings mit Satelliten-Anbietern über Kostensenkungen. Eine wichtige Vorraussetzung für die gewünschte technologische Revolution.