Rekonstruktion jüdischer Gotteshäuser
19. August 2005Von den etwa 3000 Synagogen und Bet-Räumen, die es im Deutschen Reich gab, sind über 2000 in der Nazi-Zeit zerstört oder geschändet worden. Genaue Zahlen gibt es nicht. Selbst nach 1945 wurden Synagogen oder deren bauliche Reste in Deutschland abgetragen.
Das Rekonstruktions-Projekt ist eine studentische Initiative. "Wir haben 1994 mit drei Synagogen in Frankfurt begonnen", erzählt Manfred Koob von der TU Darmstadt. Der Professor leitet das Fachgebiet "Informations- und Kommunikationstechnologie in der Architektur". "Bis heute sind es mehr als 20 Synagogen. Die Studenten wollen mit der Rekonstruktion ein Zeichen setzen, das nicht nur technischer und kultureller Natur ist, sondern auch politischer Art", sagt Koob.
Computergestützte Erinnerungskultur
Wer Zerstörtes rekonstruieren will, muss in Archiven recherchieren, um alte Pläne und Bauunterlagen ausfindig zu machen. Die Darmstädter Architekturstudenten forschen aber nicht nur dort, sondern auch im Internet. So konnten sie Details, die in den Archiven nicht zu finden waren, ans Licht bringen. "Wir haben die Pläne angeschaut, Fotografien gesammelt und dann die Gebäude, soweit wir es konnten, rekonstruiert", erzählt Marc Grellert. "Über die Farbe der Innenräume wussten wir wenig, die Fotografien waren meist schwarzweiß. Da war das Internet eine große Hilfe, weil die vielen Zeitzeugen uns Hilfe geben konnten, die heute nicht mehr in Deutschland leben", sagt der Ingenieur.
Das Rekonstruieren mit Hilfe des Computers - Computer added Design, kurz CAD - gehört seit Jahren zum Handwerkszeug der Architekten. Aber gerade beim Rekonstruieren alter Gebäude ist diese Technik besonders hilfreich. "Wir haben mit der CAD-Technologie zweidimensionale Pläne und Fotografien dreidimensional im Raum umgesetzt", erklärt Koob. "Die dritte Dimension transportiert sehr viel mehr Informationen als die zweidimensionale Zeichnung."
Informationen aus aller Welt
Die Darmstädter Wissenschaftler wollen mit ihrem interaktiven Archiv auch so etwas wie eine "immaterielle Gedenkstätte" schaffen. "Informationen, die sonst in Büchern und anderen Publikationen verstreut sind, können so zusammengetragen und gebündelt werden", erklärt Grellert die Vorteile. Den interaktiven Aspekt, dass jedermann an diesem Projekt mitarbeiten kann, hält auch Koob für das Wichtige. "Jeder kann die Informationen, die er zu einer Synagoge hat, dazugeben", sagt er. "Wir erhalten aus allen Teilen der Welt Informationen von Überlebenden des Holocaust, aber auch von den Söhnen und Töchtern derer, die damals die Synagogen zerstört haben."
Virtuelles Archiv für die nachfolgende Generation
Was die Möglichkeiten der Computertechnik angeht, sind kaum Grenzen gesetzt. "Es ist durchaus denkbar, dass man irgendwann dort, wo ehedem eine Synagoge gestanden hat, mit einem kleinen Gerät sich eine dreidimensionale Rekonstruktion anschauen kann", beschreibt Grellert das Potential der Technik. "Vielleicht erlaubt es die Technik in naher Zukunft, dass man sich in solchen virtuellen Synagogen mit Zeitzeugen trifft und die Zeitzeugen erzählen aus ihren Erinnerungen, wie sie in dem Gebäude gebetet haben, was sie dort erlebt haben." Erinnern, Bewahren und Kommunizieren könne man durch die modernen Technologien auf ganz neue Art. "Wir müssen im Internet für die zukünftigen Generationen nicht nur das, was jetzt läuft, und die Zukunft abbilden, sondern auch unsere Geschichte, unsere Kultur und unser Wissen", sagt Grellert.