Reform der Sportförderung als Weg aus der Krise?
17. September 2023Die Misserfolgsmeldungen deutscher Sportlerinnen und Sportler häufen sich in letzter Zeit. So blieben Deutschlands Leichtathleten bei den Titelkämpfen in Budapest im vergangenen Monat erstmals seit der Einführung von Weltmeisterschaften im Jahr 1983 ohne Medaille.
Die deutschen Fechterinnen und Fechter gingen bei ihrer WM im Juli ebenfalls leer aus. Auch die Ruderer schnitten bei ihrer Weltmeisterschaft vor wenigen Tagen nicht so gut ab, wie erhofft.
Und auch die Hockey-Nationalmannschaften - Frauen und Männer - blieben bei der Heim-EM, die vor drei Wochen zu Ende ging, ohne Medaille und damit hinter den Erwartungen zurück.
Insgesamt bereiten die Erfolgsaussichten des deutschen Sports fast quer durch alle olympischen Sportarten weniger als ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Paris Sorgen - zumal der Bundestag gerade einen Haushaltsentwurf verabschiedet hat, der eine Kürzung des Sportetats um rund zehn Prozent vorsieht. Statt zuvor 303 Millionen Euro, soll es im Olympiajahr 276 Millionen geben.
Unabhängige Sportagentur
Auf diese sportliche Krise und die Kritik, die aus Sportkreisen laut wurde, haben der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Bundesinnenministerium (BMI), das unteren anderem für den Sport zuständig ist, nun reagiert. Am Freitag präsentierten sie gemeinsam neue "Maßnahmen für die künftige Spitzensportförderung in Deutschland".
Zentraler Baustein ist eine unabhängige Sportagentur, die künftig die Steuerung und die finanzielle Förderung des Spitzensports unter einem Dach vereinen soll. Dadurch soll Bürokratie abgebaut und Flexibilität erhöht werden. DOSB-Präsident Thomas Weikert sprach von einem "Meilenstein".
Zudem soll 2024 ein Sportfördergesetz verabschiedet werden und für eine kontinuierliche und in der Höhe festgelegte Förderung sorgen. "Wir sind uns mit dem BMI einig, einen Rechtsanspruch auf Förderung zu haben. Und wir wollen auch die Höhe der Förderung möglichst fixieren", sagte der DOSB-Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester. "Das Gesetz ermöglicht Konstanz, Planungssicherheit und mehr Flexibilität."
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte zudem in Aussicht, dass die geplante Kürzung möglicherweise doch nicht umgesetzt werde. "Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir das verhindern können", sagte sie im Rahmen der Sportministerkonferenz, bei der das neue Konzept vorgestellt wurde.
Harsche Kritik am Analysesystem PotAS
Die Reform der Spitzensportförderung war notwendig geworden, weil die vorherige Leistungssportreform von 2016 nicht zum gewünschten Erfolg geführt hatte. Eingeführt wurde damals auch das umstrittene Potenzialanalysesystem (PotAS), dass von vielen Aktiven und Verbänden stark kritisiert wird.
PotAS soll herausfinden und bewerten, in welchen Sportarten die Chancen auf olympische Medaillen am größten sind. Diese Sportarten werden dann anschließend besonders gefördert.
Bis 2021 bildeten die Selbsteinschätzung der Verbände und des DOSB die Grundlage der Förderung. Seit 2022 schätzt eine Kommission die Erfolgspotenziale für die kommenden vier Jahre "anhand von Wettkampfdaten und eigenen Algorithmen ein".
Kritisiert wird vor allem der hohe bürokratische Aufwand von PotAS, zudem die offensichtliche Fehlbarkeit des Systems. Ein Beispiel: Die Leichtathletik (null WM-Medaillen 2023) wurde bei der letzten Erhebung als die Sportart mit den höchsten Medaillenchancen angesehen und entsprechend gefördert. Der Basketball (EM-Bronze 2022, WM-Gold 2023) schnitt dagegen am schlechtesten ab und bekam am wenigsten Geld.
Dementsprechend fluchte Basketball-Präsident Ingo Weiss nach dem WM-Sieg der Männer-Nationalmannschaft über das "blödsinnige Bürokratiemonster" PotAS. Aber auch aus der Leichtathletik kam harsche Kritik. "Man kann Sport nicht im politischen Verwaltungsstil formen", monierte Robert Harting, Diskus-Olympiasieger von 2012. "Richtig krank ist in meinen Augen dieses PotAs System", so Harting, der auf Social Media dessen "Tod" forderte.
Bessere Bezahlung für Trainerinnen und Trainer
So weit wollen Politiker und Sportfunktionäre aber nicht gehen. PotAS soll nicht verschwinden, sondern stattdessen weiterentwickelt und in die unabhängige Agentur integriert werden.
"Wir haben bei der Veröffentlichung des Grobkonzepts im November 2022 gesagt, dass die Spitzensportförderung in Deutschland flexibler, digitaler, innovativer und weniger bürokratisch werden soll", sagte DOSB-Chef Weikert. "Diesem Ziel sind wir ein großes Stück nähergekommen."
Neben der Förderung der Athletinnen und Athleten, liegt vor allem die Bezahlung und Wertschätzung der Arbeit gut ausgebildeter Trainerinnen und Trainer in Deutschland im Argen. Fakt ist, dass im Ausland vielfach sehr viel besser bezahlt wird. Viele Trainer wandern daher ab und nehmen ihr Know-how mit zur direkten Konkurrenz.
Im neuen Konzept heißt es dazu, dass die bisherigen Gehaltsobergrenzen gestrichen und "leistungs- beziehungsweise erfolgsbezogene Gehaltskomponenten ermöglicht" werden sollen. Insgesamt soll die Trainerausbildung akademischer werden.
Anspruch und Ziel aller Maßnahmen sei, dass der deutsche Sport die "kontinuierliche Entwicklung von Weltspitzenleistungen" anstrebt und "die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands" gesichert wird.
Mitgliederzahlen in Sportverbänden gehen zurück
Ein wichtiger Baustein, um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen, ist der Nachwuchs. Kommen in einer Sportart keine oder weniger Kinder und Jugendliche nach, wird der Pool an Talenten, die es vielleicht mal zu den Olympischen Spielen schaffen könnten, logischerweise kleiner.
Und auch da sprechen die Zahlen in einigen Traditionssportarten nicht für eine rosige Zukunft im deutschen Sport: In der Leichtathletik geht die Zahl der Aktiven seit Jahren zurück. Hatte der Deutsche Leichtathletik-Verband 2006 noch 899.520 Mitglieder, waren es 2022 nur noch 766.424 - ein Rückgang um 15 Prozent in 17 Jahren.
In anderen olympischen Sportarten sieht es ähnlich aus: Wie die jährliche Bestandserhebung des DOSB zeigt, ging beim Deutschen Fechterbund die Zahl der Mitglieder nach einem Zwischenhoch im Jahr 2014 mit 25.943 Mitgliedern bis 2021 auf 22.474 zurück, der Deutsche Ringer-Bund fiel von 74.889 (2002) auf 62.108 Mitglieder (2022). Besonders dramatisch sehen die Zahlen beim Deutschen Judo-Verband aus, der zwischen 2002 (276.064) und 2022 (118.008) rund 58 Prozent seiner Mitglieder verlor.
Vorbilder dringend gesucht
Positives Beispiel sind auch hier wieder die Basketballer, die in den vergangenen Jahren entgegen dem allgemeinen Trend einen Mitgliederzuwachs verzeichnen konnten.
"Das ist eine sehr gute Nachricht für den deutschen Basketball", wird DBB-Präsident Weiss auf der Internetseite des Verbands zitiert. "Beim DBB, in den Landesverbänden und in den Vereinen wird hervorragende Arbeit geleistet, das macht diese positive Entwicklung möglich."
Der Erfolg der Männer-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft könnte einen weiteren Boom auslösen. Zuvor hatten schon die Frauen mit ihrem fünften Platz bei der EM für einen Überraschungserfolg.
Denn es sind Vorbilder wie Dennis Schröder und Co., die Kinder und Jugendliche zum Sport und in die Vereine bringen. Olympiasiege und Medaillen im Judo, Ringen, Fechten oder Rudern könnten ähnliches bewirken. Dafür bedarf es allerdings auch einer entsprechenden Förderung.