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Äthiopien Entführung

24. Januar 2012

Nach der Entführung zweier Deutscher und ihrer äthiopischen Begleiter übernimmt eine Rebellengruppe die Verantwortung für die Tat.

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Vulkan Erta Ale in der Afar-Region. EPA/JOSEF FRIEDHUBER
Vulkan Erta Ale in der Afar-RegionBild: picture-alliance/dpa

Der Tod der fünf Europäer - zwei Deutsche, zwei Ungarn und ein Österreicher – wird in dem vom "Militärkommandozentrum" der Revolutionären Demokratischen Einheits-Front Afars (Arduf) unterzeichneten Papier äthiopischen Sicherheitskräften zugeschoben. Diese hätten nahe des Dorfes Xoxom das Feuer auf eine Streife der Arduf eröffnet. Bei dem anschließenden Gefecht seien "16 äthiopische Soldaten" gefallen und "Dutzende verwundet" worden, so Arduf. Die Europäer seien im Kugelhagel der Regierungstruppen ums Leben gekommen. Die Äthiopische Regierung hat den Vorwurf postwendend zurückgewiesen.

Die Deutsche Welle konnte bislang nicht verifizieren, ob das Schreiben tatsächlich der Arduf zuzuordnen ist. Der Arduf-Vorsitzende Muhamuda Ahmed war auch am Dienstag(24.01.2012) nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

"Sicher und bei guter Gesundheit"

Das Auswärtige Amt in Berlin wollte gegenüber der Deutschen Welle am Montag (23.01.2012) nur die Kenntnis des Bekennerschreibens bestätigen. Auch Medienberichte über ein Einsatzkommando der GSG 9-Spezialkräfte in der Grenzregion wollte Berlin nicht kommentieren. Zwei Reisegruppen mit europäischen Touristen und Forschern aus Ungarn waren in der Nacht vom 16. auf den 17.01.2012 am Fuße des Vulkans Erta Ale in der landschaftlich reizvollen Arta-Provinz überfallen und offenbar auf brutale Weise mit Kopfschüssen hingerichtet worden. Die sechs Deutschen unter den Überlebenden sind inzwischen in die Heimat zurückgekehrt.

Bekennerschreiben der "Afar Revolutionary Democratic Unity Front" (ARDUF) Copyright: Arduf 21.01.2012
Bekennerschreiben der "Afar Revolutionary Democratic Unity Front" (ARDUF)Bild: ARDUF

In dem Bekennerschreiben bestätigt Arduf die Entführung der vier Vermissten, darunter zwei Deutsche. Sie seien "sicher und bei guter Gesundheit". Ihre Freilassung werde nach Verhandlungen mit Ältesten der Afar gewährleistet. Die Behörden sowohl in der Hauptstadt als auch im Bundesstaat Afar im Nordosten des Landes werden vor einem "Abenteuer" gewarnt, das das Leben der Geiseln aufs Spiel setzen könnte.

Der Fall erinnert an 2007, als Arduf die Verantwortung für die Entführung von fünf Europäern und 13 Äthiopiern in der Danakil-Wüste übernommen, alle Geiseln jedoch später wohlbehalten in Eritrea freigesetzt hatte.

Afar-Region gilt als ärmste Region Äthiopiens

In dem aktuellen Bekennerschreiben beschuldigt die Rebellenorganisation die äthiopische Regierung, die "politische Marginalisierung" und "wirtschaftliche Beraubung" der Afar zu betreiben. Dies ist ein durchgängiges Motiv vieler in Sultanaten organisierter Afar-Nomaden, die der föderalistischen Bundesregierung eher ablehnend gegenüberstehen. Die Lokalregierung in der Hauptstadt Semera gilt vielen Afar, zumal in der Diaspora, als Marionette Addis Abebas. Die Afar-Region mit ihren 1,5 Millionen Einwohnern ist eine der am wenigsten entwickelten Landesteile des ohnehin sehr armen Äthiopiens.

Afar Siedlungen am Rande des Awash Flusses (via Ariadne Van Zandbergen/Africa Imagery/africanpictures.net)
Afar Siedlungen am Rande des Awash FlussesBild: picture-alliance / africamediaonline

In der Erklärung versichert Arduf, Eritrea habe "nichts zu tun mit dem Zwischenfall". Falls sich diese Aussage bestätigt, würde dies die Schuldzuweisungen der äthiopischen Regierung als Propaganda entlarven. Immer wieder beschuldigt Äthiopien Eritrea der Destabilisierungsversuche, Eritrea hat dies wiederholt zurückgewiesen.

Politische Vereinigung aller Afar gefordert

Arduf oder "Revolution" in der Afar-Sprache wurde 1993 als Zusammenschluss verschiedener politischer Interessengruppe der Afar gegründet. 2003 trat Arduf der Oppositionskoalition der "Vereinigten Äthiopischen Demokratischen Kräfte" (UEDF) bei, um für die Wahlen 2005 zu kandidieren. Sie wurden vom Tod von knapp 200 Demonstranten überschattet. Die UEDF wiederum ging später in der Allparteien-Koalition Medrek auf, die derzeit die führenden Oppositionskräfte des Landes bündelt.

Wie die Rebellengruppe der Afar jenseits der Grenze in Eritrea (Red Sea Afar Democratic Organisation, RSADO) kämpft Arduf für die politische Vereinigung aller Afar, die mehrheitlich als Nomaden zwischen Äthiopien, Dschibuti und Eritrea wandern. Es gibt freilich verschiedene Denkrichtungen, wie genau diese Zusammenführung aussehen soll. Etwa in einer autonomen Region auf dem Staatsgebiet Äthiopiens, oder in einem separaten Afar-Staat. Auch die Frage einer Vereinigung Äthiopiens und Eritreas scheint umstritten.

Gut vorbereitete Aktion

Bereits seit längerem gibt es Warnungen an Ausländer, in die zwischen Äthiopien und Eritrea umstrittene Grenzregion zu reisen. Diese Warnung wurde in der aktuellen Arduf-Verlautbarung auf "Ausländer, Investoren und Firmen" ausgeweitet.

Überlebende nach dem Überfall in der Afar-Region. (Foto:Elias Asmare/AP/dapd)
Überlebende nach dem Überfall in der Afar-RegionBild: AP

Trotz des Bekennerbriefes herrscht bei Äthiopienkennern Rätselraten über den brutalen Überfall, der in Planung und Ausführung von früheren Übergriffen abweicht. In dem Bekennerschreiben weist Arduf darauf hin, dass von den vergangenen "mehr als sieben" Geiselnahmen alle ohne Blutvergießen beendet worden seien. Augenzeugen sprechen von einer offenbar gut vorbereiteten Aktion einer Gruppe Nichtuniformierter mit einem großen Waffenarsenal. Ein Raubüberfall kann demnach ausgeschlossen werden, zumal Wertgegenstände zurück gelassen wurden. Dies passt zu früheren Arduf-Aktionen. Warum aber die Hinrichtungen mit Kopfschuss?

Hat sich die Arduf womöglich durch professionelle Ausbildung Dritter oder den Zusammenschluss mit einer anderen Rebellengruppe radikalisiert, wie der Äthiopienforscher Wolbert Smidt spekuliert? Oder ist der Überfall am Fuße des Vulkans ein Vergeltungsschlag für einen Überfall auf eine Gruppe von Afar kurz vor dem 16. Januar?

Weiterer verschleppter Deutscher in Somalia?

Während die Suche nach den deutschen und äthiopischen Vermissten auf diplomatischen Kanälen sowie durch Afar-Ältestenräte auf Hochtouren läuft, prüfen das Krisenreaktionszentrum in Berlin und die Botschaft in Nairobi Berichte über einen in Somalia entführten Amerikaner mit angeblicher deutscher Doppelstaatsbürgerschaft. Der seit 2006 in Berlin ansässige Journalist Michael Scott Moore befand sich zu Recherchen in der Region Galmudug in Mittelsomalia, als er am Samstag (21.01.2012) von Bewaffneten verschleppt wurde. Berichte über eine Freilassung am Sonntag waren offenbar nicht zutreffend.


Autor: Ludger Schadomsky
Redaktion: Lina Hoffmann