Auf der Anklagebank
13. Februar 2008Bis zum Ausbruch der Finanzmarktkrise genossen Branchenriesen wie Standard & Poor's und Moody's aus den USA noch den Nimbus der Unbestechlichkeit und des geballten Expertenwissens. Ein halbes Jahr später sind sie deutlich in die Defensive geraten: Am Mittwoch (13.2.2008) befasste sich auch der Finanzausschuss des Bundestages in einer Experten-Anhörung mit der Rolle der Rating-Agenturen und ihrer Schuld am Ausbruch der Finanzmarktkrise. Diese hätten sich dabei durchaus einsichtig gezeigt, sagt der Frankfurter Rating-Experte Oliver Everling nach der Anhörung im Gespräch mit DW-WORLD.DE. Die Rating-Agenturen hätten die Notwendigkeit, ihre Kriterien weiterzuentwickeln, schon lange erkannt.
Nichtsdestotrotz versuchen die Agenturen immer noch, einen Großteil der Verantwortung auf die anderen Marktteilnehmer abzuschieben. Auch Everling ist überzeugt: "Die Agenturen tragen definitiv nicht die Alleinschuld an der Subprime-Krise." Schuld seien vielmehr auch die Banken, die Risiken in Produkte gesteckt hätten, deren Komplexität sie selber nicht mehr Herr wurden.
Kreative Verpackungskünste nicht durchschaut?
Tatsächlich war es die Finanzmarktindustrie und allen voran die Banken, die Kredite an US-Kunden von äußerst zweifelhafter Bonität, ihrerZahlungsfähigkeit, schön verpackt und zu neuen kunstvoll strukturierten Finanzprodukten wie etwa "Collateralized Debt Obligations" (CDOs) zusammengeschnürt hatten.
Doch selbst als diese Schrottanleihen bereits massiv an Wert verloren hatten und die Warnungen der Experten vor dem Platzen der Blase auf dem US-Hypothekenmarkt nicht mehr zu überhören waren, vergaben die Rating-Agenturen immer noch die Topnote AAA für Hypothekenderivate. Erst im Juli 2007 stuften sie ihre Bewertungen herab. Ihrer Rolle als "Frühwarnsystem" der Finanzmärkte wurden die Rating-Agenturen so bei Weitem nicht gerecht: Risiken aus dem Geschäft mit Ramschhypotheken ("Subprime") konnten sie nicht rechtzeitig benennen.
Von wegen unabhängig
Zudem müssen sich die Rating-Agenturen gegen den Vorwurf des Interessenskonfliktes und der Bestechlichkeit wehren. Laut Kritikern bewerteten die Bonitätswächter nicht nur die komplexen Finanzprodukte, sondern berieten auch die Emittenten, die die Produkte verkaufen wollten.
Dagegen betonte Branchenriese Moody's, es sei ein "Irrglauben", dass Moody's Beratungsleistungen erbringe. Man sei weder an der Strukturierung noch an der Entwicklung von Verbriefungsprodukten beteiligt. Es könne aber zu "analytischen Gesprächen" mit den Emittenten oder deren Beratern kommen. Rating-Experte Everling betont: "Die Grenze zwischen Dialog und Beratung ist hier fließend."
"Sonst wird die Keule rausgeholt"
Trotzdem warnt Everling vor einer voreiligen Regulierung: Die Konsequenz aus dem Versagen der Agenturen müsse nicht weniger, sondern mehr Rating sein - aber bei mehr Wettbewerb. Denn ein Hauptproblem ist die marktbeherrschende Stellung von zwei Unternehmen: Rund 80 Prozent des globalen Marktes werden von Standard & Poor's und Moody's dominiert. Nationale Alleingänge der Politik sind so von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Everling sieht deshalb die Hauptaufgabe der Politiker weltweit vor allem darin, Standard & Poor's und Moody's, die bislang bei Regulierungsgesprächen wie etwa bei der Internationalen Organisation für Normung (IOS) nur mit Abwesenheit glänzten, an den Tisch zu holen nach dem Motto: "Fangt endlich an, euch mit den Marktbeaufsichtigungsbehörden auf gemeinsame Normen und Standards zu verständigen, oder wir müssen tatsächlich die Keule rausholen und euch dazu zwingen!"
Mathematik oder Meinung?
Denn zumindest den Vorwurf der Intransparenz müssen sich die Rating-Agenturen gefallen lassen: Oft bleibt unklar, wie die Bonitätseinstufungen (Ratings) zustande kommen, was Mathematik und was Meinung ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte schon während der Turbulenzen 2007, es dürfe "keine schwarze Box sein, wo etwas herauskommt, das keiner nachvollziehen kann".
Dass die vielbeschworene Transparenz bei den Bonitätsprüfern nun auf Druck der Politiker einkehrt, wird vom Würzburger Wirtschaftswissenschaftler Ekkehard Wenger allerdings bezweifelt. "Solange Rating-Agenturen von denen bezahlt werden, die die Papiere verkaufen, wird sich nichts wirklich ändern."
Ohnmächtige Platzhirsche
Doch selbst wenn Wenger Recht behalten sollte: Die Märkte scheinen längst die Konsequenzen aus dem Versagen der Rating-Agenturen gezogen und ihnen das blinde Vertrauen entzogen zu haben. Das Geschäftsvolumen sinkt, Stellenkündigungen nehmen zu. Selbst die Rating-Agentur Fitch musste unlängst zugeben, "dass das Vertrauen des Marktes in Kredit-Ratings aufgrund der aktuellen Ereignisse gelitten hat".
Nach Meinung von Kritikern gibt es somit vor allem eine Konsequenz aus den Turbulenzen: Banken und Anleger müssen künftig wieder selbst genauer hinschauen, wem sie ihr Geld anvertrauen. "Die traditionelle Kreditanalyse wird wieder einen größeren Stellenwert bekommen", sagt DekaBank-Chef Franz Waas. "Was es nicht mehr geben wird, ist das blinde Kaufen nur auf Rat der Rating-Agenturen hin."