Rainer Rother: Bergman neu entdecken
31. Januar 2011Deutsche Welle: Bei der Retrospektive zu Ingmar Bergman könnte man zunächst einmal denken, das ist doch ein ganz bekannter, überall eingeführter Regisseur. Warum muss man den denn noch einmal zeigen?
Rainer Rother: Wim Wenders hat gesagt, unter allen Regisseuren wäre für ihn Bergman derjenige, bei dem man doch noch einmal hinschauen sollte. Man solle nicht glauben, man habe alles begriffen. Das wäre jemand, den man immer wieder sehen kann. Es ist auch mir während der Vorbereitung der Retrospektive so gegangen, dass ich wirklich noch mal überraschend Neues entdeckt habe. Wir hatten diesmal auch die glückliche Situation, dass wir eine Retrospektive haben, die mit der Ausstellung verbunden ist. Seit Januar zeigen wir Ingmar Bergman bei uns hier im Museum und zwar auch mit Materialien, die nie zuvor zu sehen waren von der Ingmar Bergman-Foundation, aus der American Academy of Motion Picture Arts and Sciences und auch vom schwedischen Filminstitut. Das ist für uns ein Gesamtpaket.
Entdeckungen beim Früwerk
…und Ingmar Bergman ist ja einem heutigen, jungen Publikum auch nicht unbedingt so bekannt.
Wir denken natürlich auch immer an unser internationales Publikum. Wir haben das schon festgestellt, als wir die Retrospektive zu Luis Buñuel gemacht haben, wo man auch gesagt hat, großer Name, kennt man alles. Erstens kennt man dann doch nicht alles. Man kennt vor allem bei den großen Regisseuren die frühe Zeit nicht, die dann zum Teil sehr überraschend ist. Und richtig, wir haben ein junges Publikum. Das heißt ein Publikum, das Bergman, wenn überhaupt, dann nur aus dem Fernsehen kennt und die Filme am originalen Ort im Kino zu sehen mit guten Kopien, das ist dann wirklich eine Entdeckung.
Sprechen wir mal über das Frühwerk. Was sind das für Filme? Und was zeichnet die aus? Was kann man da Neues entdecken im Gegensatz zu den Klassikern, die mehr Menschen kennen?
Es sind Filme, die noch einem Genre verhaftet sind. Die sind auch zum Teil nach Drehbüchern entstanden, die gar nicht Ingmar Bergman selbst verfasst hat. Ein ganz früher Film von ihm ist zum Beispiel "Die Hörige". Da geht es um einen Schüler, der sich in eine junge Frau verliebt und feststellt, dass der Lehrer, der ihn tyrannisiert, eben auch dieses junge Mädchen tyrannisiert und schließlich in den Selbstmord treibt. Das ist kein klassischer Bergman-Stoff. Aber es ist schon unheimlich viel filmisches Gespür zu sehen. Auch von der Figurenzeichnung. Man merkt schon, da ist jemand, der hat mit Film noch nicht viel Erfahrung, der tastet, der sucht seinen Weg. Eigentlich kommt Bergman mit den Filmen in den frühen fünfziger Jahren zu sich selbst. Wenn man so will, ist der erste ganz große Bergman-Film, wo er vollständig da ist, "Sommer mit Monika", für mich jedenfalls. Der gilt ja auch zu Recht als Meisterwerk.
Zusammenspiel von Form und Inhalt
Sie haben während der Vorbereitung zur Retrospektive die Bergman-Filme noch einmal gesehen. Gab es für Sie bestimmte persönliche herausragende Erfahrungen? Bei denen Sie gedacht haben, Ach ja, das ist tatsächlich mal wieder etwas Neues?
Ich war sehr überrascht als ich "Schande" gesehen habe. Das ist ein Film, der altert eigentlich gar nicht. Da geht es ja um ein Paar auf einer Insel - das ist für Bergman typisch -, das große, persönliche Schwierigkeiten miteinander hat. Es ist auch wieder ein Künstler, der da im Zentrum steht, Max von Sydow spielt neben Liv Ullmann. Und dann kommt der Krieg auf diese Insel. Wie Bergman das gefilmt hat! Wie er versucht hat, die Auswirkungen kriegerischer Handlungen auf eine Sozialstruktur zu zeigen, mit allem was dazu gehört. Wie die persönlichen Zerwürfnisse radikalisiert werden. Aber auch, wie eine Gesellschaft sich verhält. Macht man mit? Ist man Kollaborateur oder nicht? Das ist sehr genau gezeichnet. Und was man bei Bergman ja auch nicht ímmer als erstes im Sinn hat, die Landschaft. Wie er Landschaft filmt, ist toll. Wirklich toll!
Sprechen wir noch über die großen Bergman-Themen. Die Suche des Menschen nach sich selbst. Die Frage nach Gott. Das sind Themen, bei denen man auch sagen könnte, die veralten nicht. Zeichnet das Bergman auch aus, dass es eben grundlegende Themen sind?
Das ist in der Tat so. Die Ernsthaftigkeit, mit der er das macht und das große Vertrauen, das er in Schauspieler setzt, geben diesen Filmen sozusagen eine solide Grundlage, dass sie wirklich nicht veralten. Wenn man an "Licht im Winter" denkt, wo der Pfarrer an sich selber zweifelt. Er hat eine Liebesbeziehung, aber kann sich diese Liebe nicht eingestehen. Es kommt jemand zu ihm in seelischer Not. Man weiß, der Mann ist selbstmordgefährdet. Der Pfarrer kann ihm nicht helfen. Das ist ein ganz kleiner Film, der im Grunde zwei Schauplätze hat, einmal die Kirche und dann eine Szenerie draußen, wenn man es jetzt stark reduziert. Aber das ist so überzeugend und so klar präsentiert, dass man einen solchen Film heute eigentlich auch nicht viel anders machen kann. Man kann viel mehr Brimborium machen. Aber der Kern des Problems, der Kern der Story, der Kern des Konfliktes ist so herausgeschält, dass man sagt: Ja, mehr braucht es nicht!
Das Gespräch führte Jochen Kürten
Redaktion: Cornelia Rabitz