"Pulse of Europe": Sichtbare Europafreunde
14. März 2017Deutsche Welle: Herr Röder, Sie haben im November zusammen mit zwei Freunden die Bewegung "Pulse of Europe" ins Leben gerufen. Am vergangenen Wochenende sind in mehr als 40 Städten in Deutschland und Europa Tausende Menschen auf die Straßen gegangen. Was war für Sie ausschlaggebend, um aktiv zu werden?
Daniel Röder: Zwei Ereignisse des letzten Jahres waren ausschlaggebend: Das Brexit-Referendum, mit dem die Briten gegen einen Verbleib in der EU gestimmt haben, und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Der Austritt Großbritanniens war für mich ein undenkbares Szenario und ich hätte nie damit gerechnet, dass es passiert. Ich konnte mir eine EU ohne Großbritannien nie vorstellen und empfinde den Gedanken noch immer als sehr befremdlich.
Die Wahl von Donald Trump hat gezeigt, dass das Unmögliche möglich wird: Ein Mensch ohne Wahlprogramm, der im Wahlkampf sehr spalterisch und verächtlich auftritt, gelangt an die Spitze eines Landes, das bislang ein Musterbeispiel einer Demokratie war. Das ist alles schwer zu ertragen und hat uns gezeigt: Die Welt scheint eine andere geworden zu sein. Auf die Wertegemeinschaft, die immer als selbstverständlich galt und auf die wir uns jahrzehntelang verlassen konnten, ohne groß etwas dafür tun zu müssen, kann man sich nicht mehr verlassen. Es braucht eine Zivilgesellschaft, die für diese Werte eintritt.
Der erste Gedanke war nicht, eine Bewegung zu gründen, sondern Freunde und Bekannte zu aktivieren. Wir wollten pro-europäische Demokraten auf die Straße bringen, um das zu bewahren, was uns wichtig ist.
Bisher brachten Bewegungen in Deutschland und Europa wie etwa Pegida eher Europafeinde auf die Straße. Innerhalb kürzester Zeit waren viele Tausend Menschen aktiv. Finden Sie es schwer, Europafreunde zu bewegen?
Am Anfang schien es so. Aber wir sind jetzt schon viel mehr Menschen, als Pegida jemals hatte. Wir haben am vergangenen Wochenende über 25.000 Menschen in ganz Europa bewegt und wir sind erst zwei Monate alt. Insofern scheint es nicht so zu sein, dass Pro-Europäer weniger zu bewegen sind. Tatsächlich verzeichnen wir einen unglaublichen Zuwachs an Menschen und unglaubliche Sympathiebekundungen. Es gibt diese schweigende Mehrheit. Es ist wichtig, genau dieses Potenzial sichtbar und hörbar zu machen. Wir sind aber fest davon überzeugt, dass es mehr Demokraten, überzeugte Rechtsstaatler und Pro-Europäer gibt als Menschen, die dagegen sind.
Europa wird zunehmend als Gegenstand der Kritik wahrgenommen. Eurozone, Flüchtlingspolitik oder Bürokratie sind Schlagworte, die viele Europäer mit der EU verbinden. Schwindet die Unterstützung für die Wertegemeinschaft?
Ich glaube tatsächlich, dass sich in den vergangenen 20 Jahren ein Europabild etabliert hat, das eher EU-skeptisch, -kritisch oder auch -feindlich war. Das lag aber auch daran, dass die, die jetzt Pro-Europa demonstrieren, gar nicht sichtbar waren. Ich glaube auch, dass viel Kritik mit der EU assoziiert wird, die da nicht hingehört.
Die Flüchtlingsthematik hätten wir unabhängig von der EU. Aber dann würde sich die Kritik an den einzelnen Mitgliedsstaaten festmachen. Natürlich hat die EU auch Probleme. Das wollen wir nicht verneinen. Es gilt auch, gemeinsam diese Probleme anzugehen. Die Demonstranten rund um "Pulse of Europe" sind keine EU-Romantiker. Wir sind aber davon überzeugt, dass viel mehr besser ist als schlecht. Deswegen muss die EU vor einem Zerfall bewahrt werden. Nur dann kann man sie reformieren.
Bei den Wahlkämpfen in den Niederlanden, Frankreich und auch in Deutschland drängeln sich Nationalisten und Populisten in den Vordergrund. "Pulse of Europe" setzt ein Zeichen für Demokratie und für die EU. Wie groß schätzen Sie Ihren Einfluss auf diese Wahlen ein?
Irgendeine Form von Einfluss gibt es. Wir senden positive Zeichen. Wir haben mit allen Demonstrationen in den letzten Wochen eine Freundschafts-Kampagne in Richtung Niederlande gefahren. Das wird dort gesehen. Die niederländischen Medien haben es aufgegriffen. Wir hatten eine "Pulse of Europe"-Demonstration in Amsterdam und haben gestern über Facebook über 800.000 Niederländer erreicht.
Ich bin mir sicher, dass das eine Auswirkung hat. Es schafft eine Form von Reaktion und Bewusstsein. Bei unseren Demonstrationen werden Ängste, Sorgen und Nöte in Hoffnung, Zuversicht, Solidarität und Vertrauen umgewandelt. Das gibt den Leuten Kraft. Dieser Veränderungsprozess hat viel Potenzial. Ich glaube, dass die Nationalisten in der Minderheit sind und nur in den Vordergrund treten, wenn die Demokraten die Situation verschlafen. Dagegen wollen wir uns wehren und demokratische Kräfte reaktivieren. Wenn uns das gelingt, haben wir einen großen Beitrag geleistet.
Ist Ihre Bewegung "Pulse of Europe" ein Zeichen für politisches Engagement oder für Politikverdrossenheit?
Es geht um politisches Engagement in der Zivilgesellschaft. Zu uns kommen Menschen, die noch nie demonstriert haben. Sie nutzen diese Plattform als einfachen Einstieg. Sie müssen nicht in eine Partei eintreten und keine Formulare ausfüllen. Sie gehen da einfach hin. Diese Menschen werden so politisiert und haben die Möglichkeit, ihrer Stimme auch außerhalb des Wahllokals Gewicht zu verleihen. Das ist eine klare Re-Politisierung.
Wir machen in gewisser Form Druck auf die Politik, indem wir sagen: "Wir haben eine Masse von 25.000, vielleicht bald 40.000 Menschen, die machen ihre Wahl auch davon abhängig, welche Europapolitik ihr betreibt, wie ihr diskutiert." Europa wird im Moment - wenn man sich die nationalen Wahlkämpfe anschaut - sehr stiefmütterlich behandelt und nur von denen thematisiert, die die EU abschaffen wollen. Da sind wir ein sinnvolles Gegengewicht.
Daniel Röder hat zusammen mit mehreren Initiatoren die Bewegung "Pulse of Europe" gegründet. Der Jurist ist Richter am Hessischen Anwaltsgerichtshof und Lehrbeauftragter der Justus-Liebig-Universität Gießen.