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Rückkehr der Todesstrafe

Vera Möller-Holtkamp19. Februar 2008

Begnadigung oder Tod? Jahr für Jahr geht die Zahl der Staaten, die die Todesstrafe ausüben, zurück. Doch dieser Trend kennt Ausnahmen: In Guatemala ist die Todesstrafe wieder in Kraft. Ein Kardinal führt den Protest an.

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Rodolfo Quezada Toruño bei einer Messlesung (Archivbild, 28.09.2003, AP)
Protestiert stellvertretend für die katholische Kirche: Kardinal Rodolfo Quezada ToruñoBild: AP
Im Jahr 67 nach Christus im Colosseum Rom: Kaiser Nero konnte mit einem Fingerzeig alles klar machen. Zeigte sein Daumen nach oben oder nach unten entschied dies, ob ein Angeklagter begnadigt wurde, oder einen qualvollen Tod sterben musste. Mit dieser geschichtlichen Analogie für die Willkür der Staatsmacht untermauert der Kardinal und Erzbischof von Guatemala-Stadt Rodolfo Quezada Toruño seinen Protest gegen die erneute Inkraftsetzung der Todesstrafe. Seine Anklage machte er am Sonntag (17.2.2008) öffentlich - in Form eines offenen Hirtenbriefs, der in den katholischen Kirchen des Landes auslag. Warnung vor einer "Kultur des Todes" "Wir kehren zu den Zeiten Neros zurück", mahnt der Kardinal darin. In Guatemala erlebe er derzeit in der Politik eine "Demagogie", die "eine Kultur des Todes" befördere. Denn im Rechtssystem Guatemalas sei es "schwer, zwischen Justiz und Racheakt zu unterscheiden", klagt der Kirchenmann. Wenige Tage zuvor, am 12. Februar, hatte der guatemaltekische Kongress mit 140 Stimmen beschlossen, dem Präsidenten das Recht auf Begnadigung einzuräumen. Paradoxerweise wurde dadurch auch die Todesstrafe wieder in Kraft gesetzt. Das Begnadigungsrecht war dem Präsidenten im Jahr 2002 im Zuge eines Verfassungsstreits entzogen worden, weshalb seither keine Todesurteile mehr vollstreckt werden konnten. Die letzte Exekution durch eine Todesspritze war im Jahr 2000 im guatemaltekischen Fernsehen live übertragen worden. Seither wurden zwar Todesurteile gefällt, aber nicht mehr vollstreckt.
Álvaro Colom am Tag seiner Amtseinführung (14.01.2008, dpa)
Viele Hoffnungen verbinden sich mit seiner Amtszeit: Álvaro ColomBild: Picture-Alliance /dpa

Trotz der Proteste, die auch von Menschenrechtsorganisationen und EU-Ländern laut wurden, hält die Regierung an der wieder belebten Todesstrafe fest. Der seit dem 14. Januar amtierende sozialdemokratische Präsident Álvaro Colom kündigte bereits an, dass er keinen der derzeit 34 Todeskandidaten begnadigen werde. "Die Justiz existiert und das Gesetz wird angewendet", wird Colom in den inländischen Medien zitiert. AI: "Unglaublicher Rückschritt" Auf internationaler Ebene schlagen auch Menschenrechtsorganisationen Alarm. Oliver Hendrich, Todesstrafenexperte von Amnesty International Deutschland, bezeichnet die Entwicklung in Guatemala als "unglaublichen Rückschritt." Das größte Land Mittelamerikas kehre den weltweiten Trend um: Erst im Jahr zuvor habe Ruanda die Todesstrafe abgeschafft, in diesem Jahr folgte Usbekistan. Und jetzt die Rückbesinnung Guatemalas zur Todesstrafe, obwohl sich noch vor zwei Monaten der Präsident des Landes vor den UN für die Bekämpfung dieses Strafmaßes stark gemacht hatte.
Schießende Polizeikräfte während einer Demonstration gegen den ehemaligen Präsidenten Oscar Berger in Guatemala (14.02.2007, AP)
Gewalt ist allgegenwärtig (Archivbild)Bild: AP

Die Gründe, die Guatemala zu diesem Schritt bewegen, sind so grausam, wie die Strafe selbst. Das Land versinkt in einem Klima der Gewalt. Im Jahr 2007 wurden etwa 6000 Morde gezählt - bei einer relativ kleinen Bevölkerungszahl von zwölf Millionen Menschen ist das eine extrem hohe Zahl. Obwohl Kirche und Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland die Regierung heftig kritisieren, stößt die Wiederaufnahme der Todesstrafe in weiten Teilen der guatemaltekischen Zivilbevölkerung auf müde Gleichgültigkeit. Die Menschen scheinen zermürbt von den nicht enden wollenden Schreckensnachrichten - wie denen der vorherigen Woche: Bei Überfällen auf Nahverkehrsbusse in der Hauptstadt wurden zehn Menschen erschossen und ausgeraubt. Der 36 Jahre währende Bürgerkrieg, der erst 1996 sein Ende fand, hat dem Land die Seele geraubt. In den vergangenen Jahren ist das Land der Mayas außerdem zu einem Transitland der Drogenkuriere geworden ist. Geldwäsche, organisierte Kriminalität und die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen tun ihr Übriges dazu. Guatemala ist ein Land mit extrem hohen Einkommensunterschieden - der soziale Frieden will sich daher nicht einstellen. Neue Regierung vor schier unlösbaren Problemen
Soldaten vor dem Gefängnis in Pavon (25.09.2006, AP)
Soldaten und Polizei sollen Sicherheit bringen - Korruption gibt es auch hierBild: AP

Mit der Wiederinkraftsetzung der Todesstrafe scheint die Regierung vor dieser Geschichte zu resignieren. Denn die Gräueltaten der vergangenen Jahrzehnte sind nicht aufgeklärt worden, die Opfer sind nicht versöhnt. Stattdessen soll die weit verbreitete Lynchjustiz mit Staatsgewalt beantwortet werden. An den Kern des Problems geht die Regierung nicht. Zwar hat Präsident Colom noch im Wahlkampf angekündigt, Polizei und Staatsanwaltschaft zu stärken, um die geringe Aufklärungsquote der Morde von nur einem Prozent zu verbessern, aber der Regierung fehlt das Geld. Die Steuerquote ist extrem niedrig, die Korruption ein großes Problem. Die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in Guatemala unterstützt Projekte zur Konfliktprävention und Vergangenheitsbewältigung. Unter anderem ist die Entwicklungshilfeorganisation am Aufbau eines forensischen Instituts in Guatemala-Stadt beteiligt. Leichen müssen gelagert und identifiziert werden können, denn "die guatemaltekische Justiz braucht Beweise, um mit der Aufklärung der Morde voran zu kommen", sagt Peter Luhmann von der GTZ in Guatemala. Es sind kleine Schritte, die zur Restauration des Rechtsstaats beitragen. Ob die Wiedereinführung der Todesstrafe dazu gehört, ist mehr als fraglich. Kardinal Rodolfo Quezada Toruño ist sich sicher, dass so kein Frieden einkehren könne und verurteilt die "diabolischen Einfälle" der Regierung.
Ein Mann sitzt in der Todeszelle von Pavón (Archivbild, 19.11.1997, AP)
Todeszelle von Pavón (Archivbild)Bild: AP
Aber die tödlichen Vollstreckungen werden kommen - live und in Farbe auf den Bildschirmen der Fernsehgeräte flimmern. Und alle werden zuschauen, ähnlich wie damals zu Neros Zeiten. Der Schauplatz jedoch ist die Todeszelle im Gefängnis "La Granja Penal de Rehabilitación Pavón", etwa 26 Kilometer südöstlich der Hauptstadt entfernt. Derzeit wird sie nach der langen Pause für ihre Inbetriebnahme technisch erneuert.