Italien
5. August 2010Es war die letzte Abstimmung kurz vor der Sommerpause - noch einmal versammelten sich Italiens Politiker im Parlament. Für den Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi stand einiges auf dem Spiel: Neuwahlen waren im Gespräch - je nach Ausgang der Abstimmung am Mittwochabend (03.08.2010). Es ging um ein Misstrauensvotum gegen den Berlusconi-Vertrauten und Justiz-Staatssekretär Giacomo Caliendo. Die Oppositionspartei PD (Demokratische Partei) hatte es beantragt, nachdem die Staatsanwaltschaft gegen Caliendo Ermittlungen wegen Korruption und politischer Bestechung eingeleitet hatte.
Nach einer turbulenten Sitzung, bei der sich zwei Abgeordnete fast geprügelt hätten, sprachen sich 299 Abgeordnete gegen und 229 für das Misstrauensvotum aus. 75 enthielten sich. Für Berlusconi war es eine Bewährungsprobe nach dem Rausschmiss seines früheren Verbündeten und Präsidenten des Abgeordnetenhauses Gianfranco Fini aus dem Parteienbündnis "Popollo della Liberta - Volk der Freiheit" (PdL) in der vergangenen Woche. Fini hatte daraufhin eine eigene Partei gegründet, Zukunft und Freiheit für Italien (FLI), der sich mehr als 40 Abgeordnete anschlossen. Damit verlor Berlusconi seine Mehrheit im Parlament. Die Wahrscheinlichkeit für Neuwahlen war groß.
Balanceakt für Berlusconi
2007 gründete der italienische Ministerpräsident gemeinsam mit Gianfranco Fini die nun regierende Partei PdL. Schon in den vergangenen Monaten hatte sich Fini zunehmend von Berlusconis personenzentriertem Führungsstil und seinen Prinzipien distanziert. Beide waren seit geraumer Zeit immer wieder aneinander geraten: Es ging um Mediengesetze, Immigration und Förderalismus. Mit seiner neuen Gruppe FLI will Fini aber nicht die Regierung zu Fall bringen. "Die ehemaligen Abgeordneten der PdL, die nun diese Initiative unterstützen wollen, sind frei und werden die Regierung bei jeder Abstimmung unterstützen. Aber nur, wenn sie dabei dem Programm treu bleibt, für das sie gewählt worden ist", sagte Fini. "Wir werden aber auch nicht zögern, gegen Entscheidungen zu stimmen, die wir für ungerecht halten und die nicht im Sinne der Wähler sind."
Berlusconi muss nun Ersatz für die 40 übergelaufenen Abgeordneten finden. Und ganz unmöglich findet James Walston, Professor für Internationale Beziehungen an der amerikanischen Universität in Rom, das nicht. "Fini wird weiterhin das Regierungsprogramm unterstützen, nur eben nicht Berlusconi persönlich. Der muss nun auf Einkaufstour gehen bis zum Ende der Sommerpause im September. Bis dahin sollte er also einige Dutzend Abgeordnete aus dem Unterhaus und aus dem Senat auf seine Seite gezogen haben. Berlusconi kann das sehr gut", sagt Walston. Der Ministerpräsident habe das nötige Kleingeld dafür, seine Fernsehsender und Zeitungen, die ihn und seinen Kurs unterstützen und auch willige Mitarbeiter.
Auch im politischen Sturm sicher?
Auch wenn Berlusconi seine Mehrheit im Parlament verloren hat, beteuert er, seine Regierung sei stabil und sicher. "Wir sehen keine Risiken. Im Moment haben wir die Mehrheit im Land sicher und die Regierung wird unterstützt." Der Regierungschef glänzt mit mehr als 60 Prozent in den Beliebtheitsumfragen des Meinungsforschungsinstituts EuroMedia. "Und die hat bei der letzten Wahl die Ergebnisse korrekt vorausgesagt", erklärte Berlusconi selbstbewusst.
Doch ein Rest Unsicherheit bleibt: Kann Berlusconi wirklich auf seine Unterstützer zählen? Auf den Straßen in Rom stehen die Italiener jedenfalls nicht geschlossen hinter ihrem Premier. Sie unterstützen eher Finis Entscheidung, Berlusconi die Stirn zu bieten. "Wir brauchen jemanden wie Fini, der Berlusconi die Grenzen aufzeigt. Er erlaubt es sonst nicht, dass man gegen seine Vorstellungen und Pläne vorgeht", sagt die Italienerin Anna Francesca. Und der Römer Massimiliano glaubt gar an das Ende der Ära Berlusconi: "Berlusconi zahlt nun einen hohen Preis für all seine Entscheidungen. Man sollte bedenken, dass er nicht oft auf seine Regierungsverbündeten gehört und oft allein gearbeitet hat."
Ein wenig verdrossen klingt der Italiener Eugenio: "Die Politiker scheren sich doch nicht um die Leute, sie verfolgen nur ihre eigenen Interessen. Selbst wenn Berlusconi geht, würde das nichts ändern. Dann kommt doch nur jemand anders." Und dann fügt er hinzu, dass die Leute im Ausland "keine Ahnung haben wie es ist mit solchen Politikern zu leben, die absolut nicht daran interessiert sind, wie es der Bevölkerung geht und was sie braucht."
Neuwahlen noch nicht Sicht
Berlusconi sei "zu Neuwahlen bereit", wünsche aber den Italienern, dass es nicht dazu komme, zitierten italienische Medien den Regierungschef am Mittwoch. Er wolle erst einmal den anstehenden Sommerurlaub nutzen, um "Partei und Programm" wieder zu Ordnung und auf den richtigen Weg zu bringen. Es werde erst Neuwahlen geben, wenn der Bruch mit Fini die Regierung nachhaltig schwächt.
Neuwahlen könnten Berlusconi aber zu Gute kommen, denn Finis neue Gruppe und die Opposition scheinen zu unorganisiert, um sich den Wahlen stellen zu können. Und selbst wenn sich Berlusconi für Neuwahlen entscheidet, hat Staatspräsident Giorgio Napolitano das letzte Wort. Der und auch das Parlament sind nun in den Ferien. Berlusconi hat also noch genug Zeit bis September, um sich zu entscheiden.
Autor: Stephanie Raison (Rom)/ Nicole Scherschun (dpa, afp)
Redaktion: Fabian Schmidt