Politik vor Opernkulissen
23. August 2003Gleich zwei Mal in einer Woche ging Gerhard Schröder mit hochrangigen Staatsmännern gemeinsam in die Oper. Am Montag (18.8.2003) bestieg er zusammen mit dem japanischen Ministerpräsidenten Junichirio Koizumi den Grünen Hügel in Bayreuth, um Richard Wagners "Tannhäuser" zu erleben. Am Freitag (22.8.2003) jettete er nach Verona, zu "Carmen" von George Bizet, aufgeführt in der gewaltigen antiken "Arena di Verona".
Dort war er Gast von EU-Kommissionspräsident Romani Prodi, in dessen Eigenschaft als Italiener und Gegner des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Denn im Streit mit Italiens Regierung hatte Schröder seinen geplanten Italien-Urlaub abgesagt, als Repräsentant des "anderen Italien" wollte Prodi nun mit Kultur die Wogen glätten. Doch wie auf der Bühne oft überraschende Wendungen die Handlung in ganz unerwartete Richtungen treiben, wollte der, gegen dessen Regierung eigentlich diese diplomatische Spitze gerichtet war plötzlich doch noch mitkommen, um dann kurz vor der Ouvertüre wieder abzusagen. Aus Angst vor bösen Demonstranten, vorgeblich.
Überall Berlusconi
Dennoch hat sich Prodi mit seiner Einladung ausgerechnet zur "Carmen" nach Verona unfreiwillig in die Arme des populistischen "Systems Berlusconi" begeben. In Szene gesetzt wird diese bis in die Popkultur hinein beliebteste und ausgeschlachteste klassische Oper vom bekennenden Berlusconi-Fan Franco Zeffirelli. Dessen erzkonventionelle, plüschige Bühnenmaterialschlachten auf der Bühne wollen vor allem eins: Durch Aufwand, Massenszenen und rhetorischen Pomp gefallen und überwältigen. Die französische Oper, die alle nur erdenklichen Spanienklischees erfüllt, werden der EU-Kommissionspräsident und der deutsch Bundeskanzler als Hollywood-taugliche Ausstattungsorgie zu sehen bekommen.
Versöhnlich endet das Liebesdrama auf der Bühne bekanntlich nicht. Die schöne Carmen wird von ihrem Ex-Freund aus Eifersucht erstochen.
Tabu gebrochen
In Bayreuth hat Schröder nebenbei ein seit dem Zweiten Weltkrieg bestehendes Tabu gebrochen und hat als erster amtierender deutscher Regierungschef nach dem Reichskanzler Adolf Hitler die Richard-Wagner-Festspiele offiziell besucht. Bis heute wirft Hitlers enge Freundschaft mit dem Bayreuther Wagner-Clan einen dunklen Schatten auf deren sommerliche Festspiele. Der Wunsch des japanischen Ministerpräsidenten, bei seinem Staatsbesuch doch auch Bayreuth erleben zu dürfen, gab nun den Anlass, aus diesem Schatten herauszutreten.
Zu vielen offiziellen Staatsbesuchen gehören bis heute Opernbesuche ganz selbstverständlich dazu. Als aufwändigste und teuerste Erscheinungsform der europäischen Musikkultur ist die Oper stets eine enorm repräsentative Angelegenheit gewesen. Zu Fürstenhochzeiten oder Thronbesteigungen wurden eigens Huldigungs-Opern in Auftrag gegeben. Schließlich ist die Oper an den Fürstenhöfen der Frühen Neuzeit entstanden, bevor das aufstrebende Bürgertum die Oper für sich entdeckte und im 19. Jahrhundert schließlich übernahm. Aus den Hofopern wurden "Nationalopern".
Straßenschlacht ums Opernhaus
Einen ganz besonders politischen Opernbesuch erlebte Deutschland am 2. Juni 1967. Schah Reza Pachlewi aus Persien kam nach West-Berlin und ging abends in die Deutsche Oper an der Bismarckstraße. Während er zusammen mit Bürgermeister Heinrich Albertz Mozarts "Zauberflöte" lauschte, tobte draußen rund um das Opernhaus die berühmteste und folgenreichste Straßenschlacht der deutschen 68er-Bewegung. Anti-Schah-Demonstranten wurden von persischen Sicherheitskräften geschlagen, ein Polizist erschoss den Studenten Benno Ohnesorg. Die daraus folgende Radikalisierung der Studentenbewegung hatte Auswirkungen bis hin zum RAF-Terror der 1970er-Jahre.