"Pentiment": Charmanter mittelalterlicher Krimi
14. November 2022Wir schreiben das Jahr 1518 und befinden uns in der Rolle des Malergesellen Andreas Maler. Der junge Bursche lebt bei einer Bauernfamilie in dem fiktiven bayerischen Ort Tassing und arbeitet im Skriptorium der nahegelegenen Abtei Kiersau. Es ist eine der wenigen klösterlichen Schreibstuben, in der gut ein halbes Jahrhundert nach der Erfindung des Buchdrucks noch Briefe verfasst und Bücher abgeschrieben werden. In jeder freien Minute widmet sich Andreas seinem Meisterstück, einem illustrierten Kalenderblatt. Wenn das fertiggestellt ist und er geheiratet hat, kann er endlich Meister werden. Doch wie das Leben so spielt, kommt etwas dazwischen.
Ein Adliger, der in der Abtei zu Besuch war, wird im Kreuzgang tot aufgefunden. Des Mordes beschuldigt wird Andreas' Freund Bruder Piero. Da Andreas fest von der Unschuld des alten Mönchs überzeugt ist, will er den Fall selbst lösen. Schnell stellt sich heraus, dass der Adlige viele Feinde hatte, was die Suche nach dem Mörder in dem Videospiel "Pentiment" nicht gerade leichter macht.
Liebevoll gestaltete Zeitreise ins 16. Jahrhundert
Schon zu Beginn deutet sich an, dass große Spannungen zwischen den Klerikern, den Adligen, den Bauern, den Handwerkern und den übrigen Stadtbewohnern herrschen. Die Bauern schuften, müssen aber hohe Abgaben ans Kloster zahlen. Dieser Konflikt zieht sich durchs ganze Spiel und lehnt sich an die realen Bauernaufstände und Bauernkriege in Süddeutschland im frühen 16. Jahrhundert an. Überhaupt ist das Spiel eine liebevoll gestaltete Zeitreise, die die Spielenden am Alltag der Städter und der Geistlichen teilhaben lässt.
Jede Entscheidung verändert die Geschichte
Die Dialoge - darauf muss man sich einlassen - sind nicht vertont und spielerisch ist "Pentiment" recht anspruchslos. Eine Überforderung an Gamepad oder Maus und Tatstatur ist quasi ausgeschlossen. Zwar lockern kleine Rätsel das Spiel zwischendurch auf, aber es konzentriert sich vollends auf die Gespräche zwischen Andreas Maler und den vielen Menschen, denen er in begegnet. Die Typografie gibt dabei Auskunft über den sozialen Status, den Bildungsgrad und die Emotionen. Der Drucker spricht in Druckbuchstaben, der Bauer in einer krakeligen Handschrift und die hoch Gebildeten in feiner, schnörkeliger alter deutscher Schrift. "Pentiment" ist ein interaktiver Mittelalter-Krimi, in dem die Spielenden unzählige Textzeilen lesen und Entscheidungen treffen müssen, die die erlebte Geschichte, die sich über einen Zeitraum von 25 Jahren zieht, maßgeblich beeinflussen.
Lebendige Mittelalter-Welt
Dass so viele Figuren vorkommen, macht die Welt lebendig und ist die Quelle für viele Geschichten, die entdeckt werden können. Obwohl die Stadt und das Kloster nie existiert haben, soll es sich für die Spielenden so anfühlen, als wären sie wirklich in jener Zeit und an jenem Ort, erzählte Game Director Josh Sawyer im DW-Interview im Rahmen der Gamescom im Sommer. Er hat selbst einmal Geschichte studiert und deutsche Vorfahren, die Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA ausgewandert sind.
Die Dokumente, die Andreas Maler in dem Spiel findet, sind in den internationalen Versionen ebenfalls auf Deutsch oder Latein verfasst, ganz so wie es seinerzeit üblich war. Auch die christliche Religion und der große politische und wirtschaftliche Einfluss von Kirche und Adel sind allgegenwärtig. Die gesellschaftlichen Zwänge, in denen Männer und Frauen aller Schichten stecken und das damit verbundene Unbehagen, das teilweise in Wut umschlägt, nimmt großen Raum ein.
"Pentiment" ist ein interaktiver Cozy-Krimi
Das Spiel hat einen Spannungsbogen, lässt die Spielenden aber ohne Zeitdruck in ihrem eigenen Tempo durch die Welt marschieren. Es ist ihnen überlassen, mit wem sie sprechen und wie sie sich ihren Mitmenschen gegenüber verhalten wollen. Es knüpft damit an die lange Tradition der sogenannten Cozy-Krimis - einem Krimi-Genre, in dem meistens nur ein Mord geschieht, der dann in aller Ruhe aufgeklärt wird - durch viele Gespräche mit Zeugen und Verdächtigen.
Die "Bruder Cadfael"-Reihe sei eine große Inspiration für das Entwicklerteam von Obsidian Entertainment gewesen, sagte Josh Sawyer. Die britische Krimi-Autorin und Sprachwissenschaftlerin Edith Mary Pargeter (1913-1995) hat unter ihrem Künstlernamen Ellis Peters zahlreiche Romane um den Benediktinermönch und Amateurdetektiv Bruder Cadfael geschrieben, die im 12. Jahrhundert angesiedelt sind. Die Erzählungen, die in viele Sprachen übersetzt und Mitte der 1990er-Jahre auch verfilmt wurden, verschafften dem historischen Cozy-Krimi Popularität. Weitere Inspirationsquellen für das 13-köpfige Entwicklerteam waren unter anderem Albrecht Dürers Reisetagebücher, zeitgenössische Lebensbeschreibungen eines Henkers, eines Bauern und eines Müllers sowie Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose".
Tiefe Liebe zu Büchern
Nicht nur die Literaturliste zeigt, dass dieses Spiel ohne Bücher nie hätte entwickelt werden können. "Pentiment" selbst ist eine Liebeserklärung an das geschriebene Wort, die sich auf mehreren Ebenen offenbart. Zum einen sind etwa die Klosterbibliothek oder das moderne Druckverfahren keine Nebensächlichkeiten. Zum anderen ist die Typografie ein wesentlicher Bestandteil des Spiels, da sie sehr präsent ist und mehr über die Menschen verrät, als der rein lesbare Text. Visuell steht das Spiel unübersehbar in der Tradition mittelalterlicher Handschriften und mittelalterlicher Kunst.
Fazit
Für ein Spiel, bei dem nur zwei Tasten gedrückt werden müssen, ist "Pentiment" mit rund 20 Stunden Spielzeit recht lang. Was es dennoch zu einem besonderen Spiel macht, ist, dass jeder Dialog das Verhältnis des Protagonisten zu den Figuren verändert und dramatische Konsequenzen haben kann, so dass die Geschichte viele Überraschungen bereithält. Das Spiel porträtiert eine Welt im Wandel und fordert die Spielenden heraus. Denn es gibt keine richtigen oder falschen Entscheidungen. Stattdessen werden die Spielenden mit ihren eigenen Moralvorstellungen konfrontiert.
"Pentiment" erscheint für PC, Xbox Series X|S, Xbox One und den Game Pass am 15.11.2022.