Parlamentswahlen im Libanon - ohne Effekt?
6. Mai 2018Eigentlich hätten sie 2013 stattfinden sollen. Doch vier Jahre nach den letzten Wahlen im Juni 2009 vertrat die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten die Ansicht, dass der Libanon aus Sicherheitsgründen nicht in der Lage wäre, Wahlen zu organisieren. Als Begründung wurde der nebenan tobende syrische Bürgerkrieg genannt. Die Parlamentarier verlängerten kurzerhand ihre Legislaturperiode um 17 Monate auf September 2014.
Als der neue Termin nahte, gab es eine zweite Verlängerung: weil sich die Abgeordneten nicht auf einen neuen Staatspräsidenten einigen konnten, verdoppelten sie ihre Amtszeit eigenmächtig auf acht Jahre. Doch damit nicht genug: im April 2017 gab es eine dritte Verlängerung, damit das Parlament genügend Zeit bekomme, um ein neues Wahlgesetz zu verabschieden, hieß es nun. Um Neujahr herum kursierten sogar Gerüchte über eine vierte Verlängerung, die aber ausblieb.
Für den libanesischen Journalisten Amine Kammourieh sind das alles faule Ausreden. "Die Wahlen hätten am ursprünglichen Termin in 2013 stattfinden können, die politische Klasse hatte einfach kein Interesse an Wahlen". Anfangs wollten die beiden großen rivalisierenden Blöcke, die Assad-freundliche Bewegung "8. März" mit der proiranischen Hizbollah und Michel Aouns "Freier Patriotischer Bewegung" einerseits, und andererseits die prosaudische Bewegung "14. März" mit Saad Hariri als Gallionsfigur, Zeit gewinnen. "Jeder hat darauf gewettet, dass seine Verbündeten den Krieg in Syrien bald für sich entscheiden würden und dass die damit einhergehende Veränderung der regionalen Machtverhältnisse einen großen Machtzuwachs für sie im Libanon bedeuten würde. Diese Wette haben aber beide Lager verloren."
Jahrelanger politischer Stillstand
Es folgte eine lange Blockade bei der Wahl eines Nachfolgers für Staatspräsident Michel Sleiman, dessen Mandat 2014 zu Ende ging. Sein Posten blieb zweieinhalb Jahre lang bis Ende 2016 vakant. Zusätzlich zur Staatskrise versank das Land buchstäblich im Müll. Überall türmten sich in den Städten meterhohe Müllberge, der Gestank wurde unerträglich. Die Libanesen machten sich genau das zum Motto: "Ihr stinkt" riefen Tausende von ihnen ihrer Regierung während wochenlanger Massenprotestete entgegen. Verstärkt wurde die Krise noch durch die über eineinhalb Millionen syrischer Flüchtlinge, die die Einwohnerzahl des kleinen Landes in kurzer Zeit um ein Fünftel steigen ließen.
Die Menschen haben die Nase voll von ihrer politischen Klasse. Viele verlangen ein Ende des konfessionellen Systems, das die politische Macht unter den größeren Konfessionen aufteilt: der Staatspräsident und Armeechef in Personalunion muss ein christlicher Maronit sein, der Premierminister ein muslimischer Sunnit, der Parlamentspräsident wiederum ein Schiit. Das Mehrheitswahlrecht, das seit Jahrzehnten immer dieselben Familienclans an die Macht gebracht hat, sollte durch ein Verhältniswahlrecht ersetzt werden, um den Willen unter der Bevölkerung besser widerzuspiegeln.
Doch obwohl das Land eine Zeit lang am Abgrund schien, bleibt der Libanon stabil. Das haben die Libanesen laut Kammourieh ironischerweise den Flüchtlingen zu verdanken, deren Anwesenheit viele im Libanon als untragbar bezeichnen. "Der Libanon wurde vom regionalen Erdbeben nicht erfasst, weil die Großmächte und an erster Stelle Europa in dem Land ein großes Flüchtlingslager sehen. Sie wollen deshalb seine fragile Stabilität erhalten und unterstützen es auch finanziell mit Flüchtlingshilfen, damit es zu keiner neuen Massenflucht kommt. Auch unter den Regionalmächten gibt es einen Konsens, dass dem Libanon ein bewaffneter Konflikt erspart bleiben soll".
Zeichen der Entspannung
Seit der Wahl von Ex-General Michel Aoun zum Staatspräsidenten, nach zuvor 45 gescheiterten Versuchen, bessert sich die Lage im Land stetig. Das andauernde Säbelrasseln zwischen dem 8. und 14. März wird immer mehr zur Ausnahme. Einige, wie Kammourieh, sprechen sogar von einem Ende der Blockbildungen: "Vor der Wahl von Aoun kam es zu einer Annäherung zwischen ihm und Saad Hariri. Beide vereinbarten, dass Aoun Staatspräsident wird und Hariri danach Premierminister. An diesem Deal war auch die Hizbollah beteiligt, aber auch regionale und internationale Akteure."
Bei den Wahlen an diesem Sonntag gibt es in einigen Wahlkreisen sogar Bündnisse zwischen den ehemals verfeindeten Blöcken. Der größte Unsicherheitsfaktor für die herrschenden Eliten bleibt daher das neue Verhältniswahlrecht, das im vergangenen Jahr unter gesellschaftlichem Druck vom Parlament verabschiedet wurde. Zuvor herrschte im Libanon seit Staatsgründung das Mehrheitswahlrecht, in dem eine einfache Mehrheit zur Übernahme eines ganzen Wahlkreises führte. Viele hoffen, dass das neue System zur Erneuerung der politischen Elite und einer pluralistischeren, konfessionsunabhängigen Repräsentation der Gesellschaft führt. Amine Kammourieh sieht das aber anders: "Weil der gesellschaftliche Druck so hoch war, führte kein Weg vorbei am Verhältniswahlrecht. Die herrschenden Kräfte haben das Gesetz aber maßgeschneidert formuliert, sodass es dieselben Wahlergebnisse hervorbringen wird. Die Konfessionalisierung der Politik wird dadurch sogar noch verstärkt."