Papst-Attentäter wieder auf freiem Fuß
12. Januar 2006"Verbrechen des Jahrhunderts" nennen Gläubige in Rom noch heute die Tat an jenem Spätnachmittag des 13. Mai 1981, als die Schüsse über den Petersplatz peitschten. Schwer verletzt sackte Johannes Paul II. in sich zusammen, dass er überlebte, ist für viele ein Wunder. Doch mindestens ebenso wundersam finden es Experten wie Laien, dass ein Vierteljahrhundert danach die Hintergründe der Tat nach wie vor im Dunklen liegen. Kommentatoren sprechen vom "Mysterium eines Verbrechens".
Am Donnerstag (12.1.2006) ist der Attentäter Mehmet Ali Agca aus der Haft entlassen worden. Begleitet von Polizisten und in Handschellen wurde er anschließend zu einem Musterungsbüro gefahren. Dort soll geklärt werden, ob der 48-Jährige zur Armee eingezogen wird oder nicht. Bislang hat er in der Türkei keinen Militärdienst geleistet.
Nachdem Agca wegen des Anschlags auf den Papst von 1981 in Italien 19 Jahre im Gefängnis gesessen hatte, war er seit 2000 wegen eines Mordes und zweier Raubüberfälle in der Türkei erneut inhaftiert gewesen.
Verschwörungstheorien
Es gab viele Ermittlungen zum Papst-Attentat, die die These einer Verschwörung bekräftigten, doch der Schleier darüber ist bis heute nicht gelüftet worden - weder über die Motive des Komplotts noch über die Drahtzieher. Unbestritten ist nur, dass es der Türke Mehmet Ali Agca war, der geschossen hatte.
Zur Zeit des Attentats war Agca 23 Jahre alt und stand der rechtsradikalen Bewegung "Graue Wölfe" nahe. Ziel der "Grauen Wölfe" war es, alle Turkvölker - vom Balkan über Mittelasien bis nach China - in einem starken, unabhängigen und vor allem selbstbewussten pantürkischen Staat zu vereinen. Als Feindbilder dieser nationalistischen Organisation galten die Kurden mit ihrem Streben nach Autonomie, die Israelis, die Griechen, die Iraner und die Amerikaner.
Sowjetische Spur
Nach der Schießerei auf dem Petersplatz wurde Ali Agca verhaftet, doch über das Motiv für seine Tat machte er im Laufe der Jahre widersprüchliche Aussagen. Lange behauptete er, ein Einzeltäter zu sein, später jedoch kamen seine Verbindungen zum bulgarischen Geheimdienst ans Licht. Obwohl er nie bewiesen wurde, besteht bis heute noch der Verdacht, dass der Auftraggeber in Moskau saß. Man vermutet, dass der KGB den Geheimdienst im kommunistischen Satellitenland Bulgarien mit dem Mordanschlag beauftragt hatte. Mit dem Attentat sollte der unliebsame Papst aus Polen wegen seiner Unterstützung der Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" liquidiert werden.
Den KGB als Drahtzieher sieht auch der italienische Senator und Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses zur Aufklärung des Papstattentats Paolo Guzzanti. Im Mai 2005 sagte er im Radio Vatikan, man solle nicht von einer bulgarischen, sondern von einer roten, sowjetischen Spur im Attentatsfall sprechen. Ähnlich äußerte sich auch der ehemalige KGB-Offizier Oleg Gordjewski gegenüber einem bulgarischen Radio-Sender. Nicht mehr als vier bis fünf Personen sollen laut Gordjewski von dem Attentats-Plan gewusst haben.
Zeichen der Versöhnung
Der Papst selbst hatte nie die These von der "bulgarischen Spur" unterstützt. Bei seinem Bulgarienbesuch im Mai 2002 sagte er wörtlich, er habe niemals an eine bulgarische Verbindung geglaubt. Als Zeichen der Vergebung besuchte der Heilige Vater bereits im Dezember 1983 im römischen Gefängnis den Mann, der ihn beinahe getötet hatte. Danach behauptete Agca, er habe dem Papst die ganze Wahrheit über das Attentat gesagt. Doch bis zu seinem Tod hat Johannes Paul II. geschwiegen.
In Italien wurde Agca zu lebenslanger Haft verurteilt, doch nach 19 Jahren wurde er vom Staatspräsidenten Carlo Ciampi begnadigt und an die Türkei ausgeliefert, wo er wegen Mordes an dem Journalisten Abdi Ipekci zu weiteren sieben Jahren Haft verurteilt wurde.
Bei der Strafzumessung hat er von zwei Amnestiegesetzen in der Türkei profitiert. Am 8. Januar entschied schließlich ein türkisches Gericht, dass Mehmet Ali Agca auf Bewährung entlassen werde. Agcas Anwalt Mehmet Demirbag glaubt nicht, dass Agca um sein Leben bangen müsse, weil er zuviel wisse. In einem Gespräch mit der Deutschen Welle sagte er: "Für meinen Klienten besteht keine Lebensgefahr nach seiner Freilassung. Weder er selbst noch seine Familie haben Morddrohungen erhalten."