Armutsstudie mit Fragezeichen
22. Januar 2018"Im letzten Jahr hat es den größten Zuwachs an Milliardären aller Zeiten gegeben, alle zwei Tage ist einer dazugekommen." Mit diesem verbalen Paukenschlag beginnt der aktuelle Bericht zur sozialen Ungleichheit der Nichtregierungsorganisation Oxfam.
Das Vermögen dieses - mittlerweile auf 2043 Mitglieder angewachsenen - globalen Clubs der Milliardäre legte um beeindruckende 762 Milliarden US-Dollar zu, in gerade einmal zwölf Monaten, so geht es im aktuellen Oxfam Papier "Reward Work - not Wealth" weiter. Diese Summe würde sieben Mal ausreichen, um die extreme Armut auf der Welt zu beenden. 82 Prozent des 2017 erwirtschafteten Vermögens sei "in die Taschen des reichsten Prozents der Weltbevölkerung geflossen", kritisiert Oxfam. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung habe - wieder einmal - von diesem Vermögenszuwachs nichts abbekommen.
Je mehr Super-Reiche es weltweit gibt, desto schlechter scheint es dem ärmsten Teil der Weltbevölkerung zu gehen. Und es wird immer schlimmer, es geht immer ungerechter zu auf der Welt. Das ist der Eindruck, der bei vielen Menschen entsteht, wenn der Oxfam-Bericht punktgenau zum Treffen der Super-Reichen und globalen Entscheider auf dem World Economic Forum (WEF) in Davos herauskommt.
Jahrzehnte ohne Armutsreduzierung?
Doch was ist mit den Armen? Profitieren sie nicht doch, obwohl sich immer mehr Turbo-Kapitalisten die Taschen vollstopfen? Für Sam Dumitriu vom Londoner Adam Smith Institute gibt es daran keinen Zweifel. "Oxfams jährliche, plakative Ungleichheits-Statistiken zeichnen regelmäßig ein falsches Bild. In Wirklichkeit ist die globale Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten massiv zurückgegangen", sagt der Research-Chef des neoliberalen Think Tanks mit Sitz in London. "Seit China, Indien und Vietnam neoliberale Reformen umgesetzt haben, die Eigentumsrechte gestärkt, Regulierungen abgebaut und den Wettbewerb erhöht haben, ist das Einkommen der Ärmsten der Welt massiv angestiegen. Und das hat zu einer gleichmäßigeren Verteilung des globalen Einkommens geführt."
Arme Harvard-Absolventen?
Auch Ryan Bourne lässt sich von den Oxfam-Zahlen nicht beeindrucken. Oxfam, eigentlich eine Wohltätigkeitsorganisation für Entwicklung, sei mittlerweile mehr von den Reichen als von den Armen besessen, ätzte er einst gegen die NGO. Bereits 2016, als er in den Diensten des Londoner Institute of Economic Affairs stand, war Bourne einer der schärfsten Kritiker der Oxfam-Methodik. Kein Mensch, der bei klarem Verstand sei, so Bourne, könne der Argumentation folgen, dass es in Nordamerika mehr arme Menschen gebe als in China. Grund für diese Behauptung sei, dass sich Oxfam auf die Zahlen des Global Wealth Report von Credit Suisse stützt.
Die bekannte Auswertung des globalen Vermögens durch die Schweizer Großbank orientiere sich am Netto-Vermögen, so Bourne. Wenn ausstehende Schulden von den Vermögenswerten abgezogen werden, dann könnten sogar Harvard-Absolventen statistisch als arm gelten. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass man in den USA ein Studium mit einem fünf oder sechsstelligen Kredit finanzieren muss. Statistisch sei das in Ordnung - aber wer würde schon ernsthaft den Absolventen einer US-Eliteuniversität mit dem weltweiten Heer der Armen in einen Topf werfen, fragte Bourne.
Der Brite forscht mittlerweile am Cato Institute in Washington, einer der bekanntesten Denkfabriken in den USA. Und ganz gleich, wie stark die soziale Ungleichheit in den USA von Kritikern angeprangert wird - das Cato Institute vertritt unbeirrt die libertäre Lehre, dass alles gut wird, wenn sich der Staat möglichst ganz aus dem Wirtschaftsgeschehen heraushält.
Doch nicht acht Milliardäre
Oxfam hat mittlerweile auf die wachsende Kritik reagiert. Die Studienautoren bemühen sich um mehr Transparenz, wenn es darum geht, wie ihre Zahlen zustande kommen. Dazu gehört auch, dass man ältere Statistiken korrigiert und erklärt, warum frühere Zahlenwerke heute anders aussehen würden. Eine neue, verbesserte Datenlage bei Credit Suisse zeige, dass 42 Menschen so viel Vermögen besitzen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Diese Zahl könne aber nicht direkt verglichen werden mit der im vergangenen Jahr veröffentlichten Zahl, nach der acht Menschen so viel besaßen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.
Der Wert für 2017 schließe "neue und aktualisierte Daten" ein, darunter "bereinigte Statistiken der UN zur Berechnung der Weltbevölkerung, sowie neue Statistiken aus Russland, China und Indien". Danach verfüge die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung über "geringfügig mehr Vermögen" als angenommen. "Auf Basis der nun vorliegenden Daten hätte das Vermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung im vergangenen Jahr dem der reichsten 61 Personen entsprochen", räumt Oxfam ein.
"Wachstum gerecht verteilen"
Doch trotz aller Korrekturen: Die Studienautoren von Oxfam sind nicht die Einzigen, die kritisieren, dass es bei der Verteilung des Wohlstands in vielen Ländern der Welt alles andere als fair zugeht.
Bereits im Dezember erschien der "World Inequality Report" der Pariser School of Economics (PSE), dem zufolge der Wohlstand von 50 Prozent der Einkommensbezieher in den USA seit 37 Jahren stagniert, während sich die Einkünfte des obersten Prozents auf 1,3 Millionen Dollar pro Jahr verdreifacht hätten.
Der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman findet den Ansatz von Oxfam trotz aller Kritik richtig: "Oxfam hat recht, den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Armut hervorzuheben", sagt Zucman, der an der Universität von Kalifornien in Berkeley lehrt, gegenüber der DW. Die Bekämpfung der globalen Armut hänge davon ab, wie es bei der Entwicklung der Ungleichheit innerhalb einzelner Volkswirtschaften weitergehe. "Wenn alle Länder der Entwicklung folgen, die es in den USA seit 1980 gegeben hat, dann werden wir es schwer haben, die globale Armut zu verringern. Um Armut zu reduzieren, muss Wirtschaftswachstum gerecht verteilt werden."