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Ostfrieslands Inseln im Corona-Schlaf

Dirk Kaufmann
11. April 2020

Wer die Inseln vor der ostfriesischen Nordseeküste besucht, der sucht oft Ruhe. Die fände er jetzt im Übermaß, denn Urlauber gibt es nicht, die Inseln und ihre Bewohner sind isoliert. Das findet nicht jeder gut.

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Ostfriesland Ostfriesische Inseln Tourismus in Coronazeiten
Bild: DW/D. Kaufmann

Nördlich der Stadt Norden in Niedersachsen gibt es noch einen Ort: Norddeich, und nördlich davon gibt es noch Norddeich-Mole. Hier enden die Intercity-Züge der Deutschen Bahn, die Urlauber an die deutsche Nordseeküste bringen. Von dort geht es per Schiff weiter auf die ostfriesischen Inseln. Normalerweise. Denn zurzeit setzt hier niemand mehr über nach Juist und Norderney.

An den Kais ist kein Betrieb, der Bahnsteig liegt verlassen dar. Die Parkplätze für die Gäste, die mit dem Auto gekommen sind und es an Land zurücklassen, wenn sie auf die Fähre umsteigen, liegen verwaist in der Frühjahrssonne. Für Ostfrieslands Maulwürfe ist das eine tolle Sache: so viel Platz und so viel Ruhe!

Zu den ostfriesischen Inseln - Borkum, Juist, Norderney, sowie Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge - kommt man mit der Fähre durch das Wattenmeer. Das Flugzeug ist hier eine sehr selten genutzte Alternative für Leute, die sich das leisten wollen. Und wo sich an Land der Maulwurf freut, haben im Wattenmeer nun Seehunde ihre Ruhe vor neugierigen Touristen.

In den Kassen herrscht Ebbe

In Norddeich schiffen sich jene ein, die nach Juist wollen - tidenabhängig, denn bei Ebbe haben die Fähren im Watt nicht genug Wasser unterm Kiel. Aber zweimal am Tag kommt ja die Flut. Doch aus wirtschaftlicher Sicht kommt sie zurzeit umsonst, denn auf die Insel, die ihre Bewohner liebevoll Töwerland (plattdeusch für Zauberland) nennen, kommen derzeit keine Besucher.

Bürgermeister Tjark Goerges, der auch Kurdirektor der Inselgemeinde Juist ist, hat Zeit, die Fragen der DW zu beantworten. Denn "der Tourismus ist bei uns auf Null herunterfahren", wie er mitteilt. Schriftlich, denn bedauerlicherweise führt auch für einen Reporter zurzeit kein Weg ins Zauberland.

Ostfriesland Ostfriesische Inseln Tourismus in Coronazeiten
Vor den Stürmen der Nordsee sind die Juister durch die Dünen geschützt, gegen das Virus hilft das aber nichtBild: DW/D. Kaufmann

Wirtschaftlich bringe die Corona-Krise dramatische Einschnitte, so Goerges: "Wir rechnen bis zum 19. April mit - auf das ganze Jahr gerechnet - 25 Prozent Mindereinnahmen beim touristischen Betrieb. Und der steht für annähernd 100 Prozent unserer Einnahmen. Werden die Einschränkungen im Mai fortgeführt, werden schnell 40 Prozent erreicht." Das beträfe das Gastgewerbe, sagt der Bürgermeister. Die Gemeinde stünde vor "wesentlich höheren" Einschnitten bei den Gewerbesteuereinnahmen, "da die Betriebe kaum, wenn überhaupt, Gewinne erwirtschaften werden." 

Die große Ruhe am Kai

Wer auf die westlichste ostfriesische Insel, nach Borkum, reisen will, der besteigt eine Fähre in Emden, genauer: am Borkumkai im Emdener Außenhafen. Den Fährbetrieb auf dieser Route besorgt die Reederei AG Ems.

Nicht nur auf den Inseln selbst sorgt das Ausbleiben der Feriengäste für Verluste, auch die Fährleute spüren das sehr schmerzhaft, wie Corina Habben, Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der AG Ems, schriftlich mitteilt: "Wir haben ca. 90 Prozent Einbußen unseres Geschäftes und somit nur Kosten ohne Einnahmen."

Normalerweise würde jetzt der Laden brummen: "Wir hätten jetzt Osterreiseverkehr und wären mit drei Fähren und einem Katamaran unterwegs: bis zu zehn Abfahrten nach Borkum und zehn Abfahrten von Borkum zurück." Die Wirklichkeit sehe jetzt so aus: "Wir haben lediglich eine Fähre im Fahrplan und bieten zwei Passagen ab Emden und zwei ab Borkum an. Sonntags gibt es gar keine Abfahrten."

Passagiere, die sich selbst kontrollieren

Für die Angestellten sind das ganz harte Zeiten. Corina Habben: "Viele unserer Mitarbeiter sind in Kurzarbeit bzw. nach Hause geschickt worden. Zwei Besatzungen wechseln sich wochenweise ab." Jenen Mitarbeitern, die noch weiter Dienst tun, würden "Mundschutz, Handschuhe und Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt."

An Bord führt das dann zu grotesk anmutenden Szenen: Natürlich gelte, so Corina Habben, dass ein "größtmöglicher Abstand zum Gast einzuhalten ist". Deshalb wurde zum Beispiel die Fahrkartenkontrolle soweit geändert, "dass der Gast das Ticket selbständig abzureißen und die Schnipsel in einen Behälter zu legen hat."

Ostfriesland Ostfriesische Inseln Tourismus in Coronazeiten
Norderneys Marienhöhe, im 19. Jahrhundert der Lieblingsplatz des Dichters Henrich Heine, steht nun einsam und leerBild: DW/D. Kaufmann

Über Ostern Geld verbrennen

Auf der Insel selbst ist die Nordseeheilbad Borkum GmbH der größte Arbeitgeber für die mehr als 5000 Insulaner. Deren Geschäftsführer Göran Sell beantwortet die Fragen per Telefon, denn auch die größte ostfriesische Insel ist derzeit kein Reiseziel.

Sell ordnet die gegenwärtige Geschäftsflaute so ein: "Wir haben normalerweise einen Jahresumsatz von rund 245 Millionen Euro im Tourismus, also rund fünf Millionen Euro in der Woche. Das heißt: In diesen beiden Osterferienwochen verbrennen uns gerade ungefähr zehn Millionen Euro." Oder anders: "Wir hätten normalerweise allein an den Osterfeiertagen von Freitag bis Montag ungefähr 55.000 Übernachtungen, die jetzt einfach wegfallen."

Mitarbeiter habe sein Unternehmen nicht entlassen, sagt Göran Sell. Doch "alle 150 Mitarbeiter der Nordseeheilbad GmbH sind in Kurzarbeit. Mehr als zweidrittel von ihnen arbeiten zurzeit gar nicht, die anderen arbeiten 50 Prozent oder nur ein Drittel." Und für die gälte, was auch auf dem Festland längst gängige Praxis ist: "Wo es möglich ist, sind wir auf Homeoffice gegangen. Besprechungen finden ausschließlich virtuell statt."

"Schon recht dünnhäutig unterwegs"

Auf der Insel Juist versucht die Gemeinde, die gegenwärtige Ruhe zu nutzen. Bürgermeister Goerges beschreibt den aktuellen Arbeitstag seiner Kollegen der Inselverwaltung: "Gegenwärtig werden durch die Mitarbeiter, die nicht in Kurzarbeit arbeiten, Renovierungen und Dinge umgesetzt, die liegengeblieben sind."

Das klingt wie eine gute Idee, die unverhofft gewonnen Zeit konstruktiv zu nutzen, doch könne das nicht den ganzen Sommer über so weitergehen: "Das schägt auch auf die Psyche, so dass wir hier doch teilweise bereits recht dünnhäutig unterwegs sind."

Ostfriesland Ostfriesische Inseln Tourismus in Coronazeiten
Empfänden Norderneys Strandkörbe Einsamkeit und litten darunter, Strandpsychologen würden jetzt richtig reichBild: DW/D. Kaufmann

Eine Zukunft im Nebel

Goerges sieht seine Insel "bereit, unsere geliebten Gäste zu empfangen, doch schwingt auch die Unsicherheit mit, wie dies mit geringstem Risiko stattfinden soll." Doch letztlich müssten "Fachleute die Situation medizinisch und virologisch einschätzen."

Wie auch immer die Verantwortlichen mit der Lage umgehen, Widerspruch ist ihnen gewiss. Das muss auch Tjark Goerges erfahren: "Wir haben jetzt eine Lockerung durch den Landkreis für den Inselzugang auch für Handwerker erhalten. Das ist hier auf massiven Widerstand gestoßen."

Manchen Insulanern ist die Ansteckungsgefahr bereits dann zu groß, wenn keine Touristen, sondern nur eine relativ kleine Anzahl von Handwerkern nach Juist kommt. Diesen Unmut bekommt dann der Bürgermeister zu spüren, obwohl "letztendlich dem Landkreis die Entscheidung obliegt."

Das ist ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird, wenn die Maßnahmen gegen die Covid-19-Seuche gelockert werden. Denn, so Goerges, es sei völlig unklar wie es weitergehen soll, wenn sich Juist "Schritt für Schritt für Gäste öffnen sollte. Hier müssen am Ende des Tages die Experten die besten Lösungen finden."

Die Insellage ist auch eine Chance

Gegen die aktuellen Beschränkungen hat Bürgermeister Tjark Goerdes keine Einwände. Es sind die Fragen, wie lange der Zustand noch andauern wird und die Ungewissheit, was nach dem Ausnahmezustand werden soll, die ihn beschäftigen: "Natürlich wünschen wir uns eine zügige Lockerung. Doch muss das vernünftig, das heißt: Schritt für Schritt erfolgen."

Corina Habben von der Reederei AG Ems teilt grundsätzlich die Haltung des Juister Bürgermeisters. Doch auch sie fürchtet, der Ausnahmezustand könne die Menschen und die Wirtschaft überfordern: "Aus Sicht der Gesundheitsvorsorge sind die Maßnahmen sicherlich sinnvoll. Doch der Schaden reicht weit und ist aus wirtschaftlicher Sicht nur für einen begrenzten Zeitraum durchzuhalten."

Göran Sell von der Nordseeheilbad Borkum GmbH, sieht "keine Lockerungen in naher Zukunft." Aber auf Borkum mache man sich schon Gedanken darüber, wie Erleichterungen umgesetzt werden könnten. Da sei, so Sell, die Insellage eine Chance, wenn man "den Fährbetrieb zur Kanalisierung der Gästeströme nutzt". Man sähe, weil es ja nur den einen Weg auf die Insel gibt, genauer: "Wer kommt hierher, wie kann man das steuern? Wir könnten so ein Stück weit Normalität auf der Insel wieder herstellen."