Open Games in geschlossenen Räumen
25. Februar 2014Sie hatten das Versteckspiel satt. Ende der neunziger Jahre taten sich eine Hand voll lesbische Sportlerinnen in St. Petersburg zusammen und wollten etwas verändern. Das, was sie taten, sollte nicht länger heimlich stattfinden, sie wollten selbstbewusster auftreten. Ein ehrgeiziger Plan, denn so einfach war und ist es nicht, in Russland öffentlich zu seiner Homosexualität zu stehen. Doch der Funke war da: Auch in anderen russischen Städten wurden lesbische Sportteams gegründet, im Volleyball, Basketball und Tanzen. Sie mieteten, manchmal unter falschem Vorwand, abgelegene Sporthallen für Trainingseinheiten, die mitten in der Nacht stattfanden. Einige reisten zu Wettkämpfen nach Westeuropa oder in die USA, doch die homosexuellen Sportinitiativen Russlands blieben weitgehend unvernetzt.
Eine Reise nach Deutschland brachte der Bewegung dann neuen Schwung: An den Gay Games 2010 in Köln nahmen 52 lesbische und schwule Sportler aus Russland teil. Die meisten kannten sich nicht, denn sie hatten sich niemandem anvertrauen wollen. "Mit Selbstvertrauen sind wir zurückgekehrt und haben die russische LGBT-Sportföderation gegründet", sagt der Eiskunstläufer Konstantin Yablotskiy. LGBT ist die englische Abkürzung für "lesbisch, schwul, bi- und transsexuell". Der Verband hat seitdem fünfzig Wettkämpfe organisiert für 900 Mitglieder, drei Viertel von ihnen stammen aus Moskau und St. Petersburg.
Auf Spenden aus dem Ausland angewiesen
Der LGBT-Verband ist beim russischen Sportministerium seit 2011 registriert, seine Satzung ist genehmigt, doch eine Förderung hat er nie erhalten. Keine Überraschung, wenn sogar der Gesetzgeber in Russland Homosexuelle diskriminiert. Verbandschef Yablotskiy ist auf Spenden und Teilnahmegebühren aus dem Ausland angewiesen. Zu den wenigen Sponsoren zählen drei homosexuelle Olympia-Athleten, die aber anonym bleiben wollen.
Endlich aus der Anonymität will die Bewegung nun aber kurz nach den Spielen in Sotschi: Von diesem Mittwoch (26.02.2014) bis 2. März, in der kurzen Verschnaufphase zwischen Olympia und Paralympics in Sotschi, finden in Moskau die Open Games statt, mit 330 Teilnehmern aus elf Ländern und einem Rahmenprogramm inklusive Workshops und Konzerten. Den Kern der Open Games bilden insgesamt acht Wettbewerbe: Badminton, Basketball, Futsal, Ski, Schwimmen, Tischtennis, Tennis und Volleyball. "Wir möchten Solidarität fördern", sagt Konstantin Yablotskiy und wägt dabei seine Worte genau ab. Seit der verschärften Gesetzgebung gegen Homosexuelle müssen die Organisatoren auf alles vorbereitet sein.
Treffen mit IOC-Präsident Thomas Bach
Weiter westlich begann die Entwicklung des schwul-lesbischen Sports zwar früher, aber ebenfalls zaghaft und begleitet von Vorurteilen und Klischees: Anfang der siebziger Jahre wurde in den USA der erste homosexuelle Sportverbund gegründet, eine nach der Schauspielerin Judy Garland benannte Bowling-Liga. Der erste Verein Europas war der SC Janus in Köln, gegründet 1980 von Volleyballern. Zwei Jahre später rief der amerikanische Zehnkämpfer und Mediziner Tom Waddell die Gay Games ins Leben. Ursprünglich hatten sie Gay Olympics heißen sollen, doch das Olympische Komitee der USA ließ den Namen verbieten.
Mit seiner Partnerin möchte Eiskunstläufer Yablotskiy dieses Jahr bei einem internationalen Wettbewerb in Oberstdorf antreten, danach mit einem Mann bei den Gay Games in Cleveland. Die Internationale Eislaufunion (ISU), die als Weltverband auch für die Eiskunstläufer zuständig ist, sträubt sich gegen gleichgeschlechtliche Paarwettbewerbe. Yablotskiy sieht darin "homophobe Strukturen, die im Sport verankert sind." Im November hat er mit anderen Aktivisten in Paris Thomas Bach getroffen, den neuen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees IOC: "Er hat uns aufmerksam zugehört, aber ob er uns helfen kann, bleibt abzuwarten."
Zuschauer müssen sich anmelden
Yablotskiy und seine Mitstreiter möchten während der Open Games Aufklärungsarbeit leisten. Laut dem russischen Lewada-Zentrum, einem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut, kennen nur zwölf Prozent der Bevölkerung Schwule oder Lesben, 35 Prozent halten Homosexualität für eine Krankheit. Wie sollen vor diesem Hintergrund die Open Games als offenes Forum funktionieren, wenn das Zeigen von Regenbogenflaggen, Anstecknadeln oder Plakaten eine juristische Strafe nach sich ziehen kann? "Wir müssen vorsichtig sein", sagt die Tänzerin Alexandra Chekalina. Zuschauer müssen sich auf der Internetseite des Verbandes anmelden. "Wir wollen nicht provoziert werden, und niemand soll sich von uns provoziert fühlen."
Zuletzt hat der Verband viele Absagen von Teilnehmern aus dem Ausland erhalten, die Diskriminierungen haben sich herum gesprochen. Eine russische Badmintonspielerin hat ihren Job in einer Werbeagentur verloren, nachdem Fotos von ihr bei einem Wettkampf in Rotterdam aufgetaucht waren. Zweimal wurden schwul-lesbische Teams in Moskau von Sportplätzen geworfen. Die Open Games finden ausschließlich in Hallen und Räumen statt, nicht unter freiem Himmel. "Wir haben Sicherheitsordner engagiert", sagt Alexandra Chekalina, "jeder soll sich wohlfühlen können."
Kein "Pride House" in Sotschi
International hat die schwul-lesbische Sportbewegung zuletzt wichtige Ziele erreicht: Bei den Olympischen Spielen in Vancouver 2010 und London 2012 wurden sogenannte Pride Houses geöffnet, Treffpunkte für homosexuelle Fans und Athleten. In London hatte das Organisationskomitee eine Verpflichtungserklärung zur Vielfalt aufgenommen. Die südafrikanische Bogenschützin Karen Hultzer nutzte die Atmosphäre für ein öffentliches Coming-out.
In Sotschi dagegen wurde ein "Pride House" schon vor Jahren untersagt. Laut dem Internetportal Outsports leben von den 2500 Olympia-Athleten nur sechs offen homosexuell, ein Mann ist nicht darunter. Die bekannteste lesbische Olympionikin ist die niederländische Eisschnellläuferin Ireen Wüst, der Präsident Wladimir Putin nach ihrem Olympiasieg mit einer Umarmung gratulierte - wohl eher eine wohlkalkulierte PR-Geste als ein plötzlicher Sinneswandel bei Russlands Machthaber.
Regenbogenflagge entrissen
Die schwul-lesbische Gemeinschaft hat Konzepte entwickelt, um abseits der großen Bühnen Begegnungen zu ermöglichen. Für die Gay Games 2002 in Sydney richtete sich ein Stipendiaten-Programm an australische Ureinwohner. Vereine in Frankfurt oder Düsseldorf unterstützen homosexuelle Sportler aus Osteuropa. Der olympische Gedanke: Dabei sein ist alles.
Konstantin Yablotskiy war während der Olympischen Spiele zwei Tage lang in Sotschi, um Werbung für die Open Games machen, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen. Im Deutschen Haus sprach er auch mit Vertretern des Deutschen Olympischen Sportbundes. "Sie waren die einzigen, die mir zugehört haben", sagt Yablotskiy. Als Zuschauer besuchte er auch einen Eiskunstlaufwettbewerb. Dabei entrissen ihm Sicherheitskräfte eine Regenbogenflagge, die er schwenken wollte.