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NoViolet Bulawayo im Gespräch

Sabine Peschel15. Juli 2015

In den USA über Simbabwe zu schreiben, hat ihre Sprache und Identität verändert, sagt die junge Autorin von "Wir brauchen neue Namen" im DW-Gespräch. Jetzt ist die Schriftstellerin zum ersten Mal in Deutschland.

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Deutschland NoViolet Bulawayo in Berlin
Bild: DW/S. Peschel

Frau Bulawayo, Sie unterrichten "Creative Writing" an der Stanford University. Wie sprechen Ihre Studenten und Kollegen Sie an?

NoViolet. Das ist der Name, unter dem ich bekannt bin. Elizabeth Tshele ist zwar mein ursprünglicher Name, der steht jetzt aber nur noch in meinen Papieren. Ich möchte den Menschen gern klarmachen, dass ich aus einer Kultur komme, in der man mit einer ganzen Reihe verschiedener Namen aufwächst.

Warum haben Sie diesen Namen gewählt, NoViolet Bulawayo?

Der geht, genau genommen, auf meine Mutter zurück. Sie hieß Violet. Sie starb, als ich 18 Monate alt war, und danach wurde nie mehr viel von ihr gesprochen. Ich wuchs auf mit dem Gefühl, dass mir etwas fehlte. Deshalb beschloss ich in einem gewissen Alter, etwas für ihr Angedenken zu tun. "No" bedeutet in meiner Sprache "mit". Und Bulawayo, das bezieht sich natürlich auf meine Heimatstadt. Ich hatte großes Heimweh, als ich 13 Jahre lang in den Vereinigten Staaten lebte, ohne nach Hause zurückkehren zu können. Das war meine Art, immer eine Verbindung zu behalten.

Warum brauchen wir "neue Namen"?

Ich habe meinen Roman zu einer bestimmten Zeit in der Geschichte meines Landes geschrieben. Der jüngeren Geschichte, meine ich, als das Land vor die Hunde ging, weil seine Führung versagte. Und mit dem Titel meines Buches "Wir brauchen neue Namen" wollte ich die Notwendigkeit für uns als Volk ausdrücken, dass wir uns selber neu denken und neue Vorstellungen entwickeln sollten, dass wir uns über unseren Weg Gedanken machen sollten und uns klar werden, in welche Richtung wir gehen wollen. Wir brauchten neue Sichtweisen, neue Handlungsweisen, eine neue Führung. Es war im Grunde genommen ein Aufruf zur Erneuerung. Der aber nicht auf Simbabwe beschränkt bleiben sollte. Ich glaube, das ließe sich auch über Grenzen hinweg übertragen.

Viele Leser nehmen an, dass "Wir brauchen neue Namen" stark autobiographisch geprägt ist. Stimmt das?

Nicht in dem Ausmaß, in dem es die meisten Leute annehmen. Anteile von mir selbst finden sich in dem Roman, wie in fast allem, was ich schreibe. Ich schreibe mit Leib und Seele, und selbst wenn nur ein kleiner Teil von mir enthalten ist, lädt das meine Texte gewissermaßen auf. Die erste Hälfte des Romans hat nicht sehr viel von mir selber. "Darling", die Erzählerstimme und Hauptprotagonistin, in Simbabwe hat keine starke Verbindung mit mir. Meine eigene Kindheit war sehr normal und schön. Simbabwe war in den Achtzigern ein Land voller Verheißung. Wir wuchsen so auf, wie Kinder in funktionierenden Ländern eben aufwachsen – denn damals war Simbabwe tatsächlich noch ein funktionierendes Land.

Da aber Darling die Stabilität, in deren Genuss meine Generation noch kam, nicht mehr erfuhr, steht ihre Kindheit unter einem hohen Druck. Deshalb verschränken sich unsere Geschichten eigentlich erst mit dem Moment, als sie die Grenze zu den USA überschreitet. Tatsächlich habe ich ihr ab da erlaubt, einiges von meiner eigenen Geschichte zu übernehmen, denn ich weiß gewissermaßen, was es heißt, Außenseiter zu sein. Ein Einwanderer, jemand, der darum kämpft, sich anzupassen, sich an einem neuen Ort zurecht zu finden. Aber selbst in diesem Teil des Romans ging es mir nicht darum, einen autobiographischen Text zu schreiben.

NoViolet Bulawayo im Haus der Kulturen der Welt
NoViolet Bulawayo und die Übersetzerin Miriam Mandelkow (l.) bei der Präsentation ihres Buches im Berliner Haus der Kulturen der WeltBild: DW/S. Peschel

Für Ihre Protagonisten, die in "Paradise" lebenden Kinder, haben Sie eine ganz besondere Sprache, eine Mischung aus afrikanischem und englischem Vokabular, Wortschöpfungen, Beschwörungsformeln, Flüchen… Wie haben Sie diese ausdrucksvolle und farbige Sprache gefunden?

Ich würde sagen, das habe ich meiner Kultur zu verdanken. Ich wuchs an einem Ort auf, an dem Sprache etwas Lebendiges war. Sprache war harte Währung. Ich wollte ein Buch schreiben, das dem Ausdruck gab, ein Buch, in dem vor allem für Leser, die aus dem gleichen Gebiet kommen, ein Nachhall hörbar wäre. Und zum Teil kommt das auch daher, dass ich von Geschichtenerzählern großgezogen wurde, vor allem von meinem Vater und meiner Großmutter, und natürlich den Frauen, die, als ich aufwuchs, noch zuhause blieben, die plauderten und klatschten… Deshalb war für mich, sehr bewusst, Sprache eine Art Lebewesen. Mit meinem Buch wollte ich das feiern. Ich wollte, dass es diese Farbigkeit, diese Struktur und diesen Rhythmus besitzt.

Ist diese Sprache auch Ausdruck einer gemischten, verunsicherten Identität?

Ich würde nicht sagen, dass es sich um eine verwirrte Identität handelt. Diese Identität entsteht meiner Ansicht nach in der Vermittlung zwischen zwei Kulturen. Das Englische kam wie in den meisten afrikanischen Ländern durch die Kolonialisierung nach Simbabwe.

Mit welcher Sprache sind Sie aufgewachsen?

Ich bin mit Ndebele groß geworden, und Englisch gab es da auch, irgendwo, das war die Sprache, die uns in der Schule begegnete. Nach Hause habe ich es nie getragen, das hat mein Vater nicht erlaubt. Und wenn ich jetzt als Erwachsene zurückblicke, glaube ich, dass das gut so war, denn das hat die Verbindung zu meiner Sprache sehr gefestigt.

Wenn es um mein Schreiben geht, dann jongliere ich, offensichtlich, mit zwei Sprachen. Ndebele ist meine ererbte Sprache, die Sprache der Vertrautheit. Und wie geläufig mir Englisch auch sein mag, es hat nicht so viel Gewicht für mich. Aber ich muss natürlich ein Buch produzieren, dessen Seiten nach Englisch aussehen. Das bringt mich auf den Punkt der Vermittlung zurück. Und natürlich ist da die Liebe zur Sprache. Ich möchte wirklich, dass mein Text auch meine Sprache enthält. Deshalb gelange ich zu ihm durch einen Übersetzungsprozess.

Im zweiten Teil Ihres Buches, als die Protagonistin Darling plötzlich in den Vereinigten Staaten ist, wird die Sprache blasser, weniger farbig, und bei der Beschreibung ihres neuen Lebens benutzen Sie Stereotypen und Klischees. Wollen Sie damit ausdrücken, dass sie ihre Identität verliert, zumindest teilweise?

Wenn jemand geographisch oder kulturell Räume überschreitet, geht immer etwas verloren. Ich erinnere mich an meine eigene Erfahrung, dass ich das erste Jahr in den USA stumm verbracht habe. Ich wurde von einem der lautesten Kinder in der Klasse zum stillsten. Und ich hatte mit allem Möglichen zu kämpfen, vor allem dem Kulturschock und damit, dass es mir nicht gelang, sprachlich einen Zugang zu finden. Genau das passiert auch Darling. Ein Teil ihrer Identität ist durch den Raum, dem sie angehört, definiert. Also wird sie ohne ihre Sprache und ohne die Menschen, mit denen sie gewöhnlich verkehrt, zu einer anderen Person. Ich weiß, dass das manchen Lesern nicht gefällt, aber ich möchte sie anregen, ein bisschen mehr darüber nachzudenken, was mit Darling geschieht. Die Sprache ist sozusagen ein Weg, auf dem sich der Verlust einer Verbindung äußern kann. Und von Einwanderern in den USA, selbst von älteren Menschen, die schon wer weiß wie lange in Amerika leben, höre ich immer wieder, dass sie mit der Sprache kämpfen.

Da stellt sich natürlich gleich die Frage: Sind Sie eine simbabwesische, eine afrikanische oder eine amerikanische Schriftstellerin?

Ich bin eine Schriftstellerin aus Simbabwe, und in größerem Maßstab gesehen, bin ich Afrikanerin. Das macht mich zu einer afrikanischen Autorin, auf die gleiche Art, wie ich eine afrikanische Frau bin. Aber da muss man natürlich berücksichtigen, dass Afrika räumlich ein riesiges Monster ist. Afrika gibt es auf keinen Fall in der Einzahl. So sehr wir einige dieser Identitäten also für uns beanspruchen, sind sie auch niemals klein. Wenn ich über diese Identitäten nachdenke, vor allem als jemand, die außerhalb Afrikas schreibt, dann überlege ich, was es heißt, sie zu repräsentieren, und wie wichtig das für die nachwachsende Generation von Autoren sein wird, diejenigen, die in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren schreiben werden, wenn sie dasselbe erleben, was ich erlebt habe, wenn sie sich auf Gebieten bewegen, die von anderen Rassen und anderen Kulturen beherrscht werden.

Amerikanisch bin ich nicht so sehr, dort lebe ich seit 14, 15 Jahren. Zunächst mal habe ich keinen amerikanischen Pass, auch wenn ich darauf hinarbeite. Das ist schon einmal eine Tatsache, die dich automatisch an den Rand drängt. Sich eine Identität auszumalen, wird dadurch komplizierter. Ich kam mit 18 Jahren in die USA und habe die letzten Jahre meiner Teenagerzeit und meine Zwanziger dort verbracht. Das hat mir natürlich seinen Stempel aufgedrückt.

Straßenszene in Harare, Simbabwe
Ein Mädchen in den Straßen von HarareBild: picture-alliance/AP Photo/Tsvangirayi Mukwazhi

Sie erwähnen "Scheißrhodesien" und am Schluss des Romans auch "Zim", aber Sie erzählen nie deutlich, dass "Paradise", der Slum, in dem die Kinder, über die Sie schreiben, leben, in Simbabwe liegt. Warum reden Sie nicht offen von Simbabwe und seinen politischen Problemen, oder von Mugabe?

Ich hielt das nicht für notwendig. Ich war der Meinung, dass der Zusammenhang sowieso vorhanden ist. Wir wissen alle, dass es um Simbabwe geht. Und zum anderen habe ich das so belassen, weil es keine spezifisch simbabwesische Geschichte ist. Sie hat sich an vielen Orten der Welt ereignet, und wird sich zukünftig wieder ereignen. Deshalb wollte ich, dass sie diesen Aspekt von Allgemeingültigkeit hat. Wenn man die Dinge genau benennt, kann es passieren, dass die Phantasie oder die Wahrnehmung der Menschen dadurch eingeschränkt wird.

Ich will aber nicht unterschlagen, dass ich im ersten Entwurf des Romans Simbabwe und auch Mugabe durchaus beim Namen nenne. In diesem Entwurf war nicht Darling die Erzählerstimme, sondern ein alter Bauer. Man kann sich also denken, dass er sehr politisch war. In dieser frühen Fassung war viel von einer wütenden NoViolet. Das hat die Erzählung mit der Zeit erwürgt. Ich musste mich deshalb gewissermaßen zurücknehmen, eine junge Erzählerin einführen und gleichzeitig die Politik rausnehmen. Ich glaube, dass in der vorliegenden Fassung des Buches das Politische immer noch eine Rolle spielt, aber es blockiert die Erzählung nicht mehr.

Es sind dreizehn Jahre vergangen, ehe Sie nach Simbabwe zurückkehren konnten. Warum hat es so lange gedauert?

Naja, als Immigrant hat man ein hartes Leben, vor allem im Westen. In meinem Fall hatte das verschiedene Gründe; zum einen konnte ich nicht nach Hause fahren, weil ich damals zur Schule ging. Und dann kam die Zeit, in der die Lage in Simbabwe sehr instabil war. Nachdem ich zwei Jahre in den Staaten war, hätte ich zum ersten Mal wieder nach Hause zurückkehren können, aber ich dachte mir, was soll's, ich fahre erst in ein paar Jahren, das eilt doch nicht. Aber dann, nach ein paar Jahren, entwickelten sich die Dinge schlecht, und man wusste einfach nicht, was alles noch passieren würde. Ich blieb eher aus Unsicherheit in den Staaten. Und die Freunde und die Familie vor Ort sagten natürlich alle, bleib, wo du bist, bis sich die Verhältnisse hier wieder geklärt haben.

Straßenszene in Harare, Simbabwe
Die Menschen schlagen sich tapfer durch, sagt BulawayoBild: picture-alliance/AP Photo/Tsvangirayi Mukwazhi

Und, wie steht es um Simbabwe inzwischen?

Die Verhältnisse sind nicht mehr ganz so verheerend wie in der Zeit, als ich "Wir brauchen neue Namen" schrieb. Damals waren wir wirklich auf dem Höhepunkt der Krise. Jetzt ist zwar immer noch dieselbe Regierung an der Macht, aber die Dinge haben sich beruhigt – es gibt nicht mehr die gewaltsamen Auswüchse der Jahre 2008, 2009. Die Inflation ist eingedämmt, wir bezahlen mit amerikanischen Dollar. Das Schwierige dabei ist, dass nicht alle genug davon in die Hand kriegen. Die Löhne sind wirklich nicht großartig, aber die Menschen wissen sich zu helfen, sie überleben. Es erfüllt mich wirklich mit Begeisterung und Hochachtung, wenn ich sehe, wie die Leute es schaffen, die Dinge zusammenzuhalten, und dabei versuchen, ein normales Leben zu führen. Ich weiß nicht, wie sie das hinkriegen, aber es ist wirklich nicht mehr so schlimm. Es könnte besser sein, aber verglichen mit den vorherigen Zuständen, ist das alles gar nichts.

Migration ist das zentrale Thema Ihres Buches. Da Sie nun gerade in Europa und zum ersten Mal in Deutschland sind – dasselbe Thema unter anderer Perspektive: In den letzten Monaten haben hunderttausende Flüchtlinge versucht, Afrika hinter sich zu lassen und übers Mittelmeer oder einen Landweg von tausenden Kilometern nach Europa zu gelangen. Viele haben dabei ihr Leben verloren. Was empfinden Sie bei solchen Berichten?

Das ist eine traurige und frustrierende Situation. Traurig macht es, weil Menschen die Entscheidung treffen, ihre Heimat zu verlassen und dem Tod ins Auge zu sehen – denn das bedeutet ein solcher Aufbruch. Natürlich wünscht man sich dorthin, wo das Gras grüner ist, aber die Menschen wissen, dass der Tod dabei eine realistische Möglichkeit ist. Die Frustration ist der Tatsache geschuldet, dass afrikanische Regierungen so sehr versagt haben, dass Menschen eine so schwierige Entscheidung fällen müssen.

Buchcover NoViolet Bulawayo Wir brauchen neue Namen
BuchcoverBild: Suhrkamp

Eine anderer Grund zur Frustration ist, dass die internationale Gemeinschaft bis vor kurzem, als die Situation völlig eskalierte, nichts getan hat, um den Menschen zu helfen. Eine Zeitlang konnte man den Eindruck haben, dass die Regierungen der Meinung waren: "Hey, wenn ihr auf die Boote geht, dann seid ihr eben euch selber überlassen". Ich glaube, dass es höchste Zeit ist, dass wir uns auf unsere Menschlichkeit besinnen und uns klarmachen, dass die Welt wirklich immer globaler wird. Es wird Zeit, dass wir uns gegenseitig helfen. Denn es ist eine Realität, dass diese Menschen nicht aufhören werden zu kommen. Die Frage ist, was tun wir?

Das Interview führte Sabine Peschel.