"Peking liegt total flach"
5. Februar 2020Der Journalist und Autor Christian Y. Schmidt war von 1989 bis 1995 Redakteur der deutschen Satire-Zeitschrift "Titanic". Seit 15 Jahren lebt er mit seiner chinesischen Frau in Peking. 2018 erschien sein erster Roman "Der letzte Huelsenbeck", im März kommt "Der kleine Herr Tod" heraus. Wir sprachen mit dem Schriftsteller über den Alltag in der chinesischen Hauptstadt in Zeiten des Coronavirus.
DW: Herr Schmidt, in China greift das Coronavirus weiter um sich. Wie geht es Ihnen?
Christian Y. Schmidt: Mir geht es sehr gut.
Keinerlei Beanstandungen?
Im Moment habe ich keine Probleme, außer dass es ein bisschen umständlich ist rauszugehen. Dafür staffiere ich mich jetzt speziell aus. Ich trage Mundschutz, Handschuhe, auch eine Brille, um mich nicht zu infizieren. Das dauert immer ein bisschen. Aber das Risiko, sich anzustecken, ist doch relativ hoch.
Wenn Sie rausgehen, dann ja vielleicht auch mal ins Theater oder in eine Kunstausstellung. Finden überhaupt noch Kulturveranstaltungen statt?
Nein, es findet überhaupt nichts mehr statt. Eigentlich ist das um diese Jahreszeit ein gewohntes Bild, zumindest für ein paar Tage. Wegen des Frühlingsfestes ist Peking dann leer, und es findet nichts statt. Die meisten Restaurants sind geschlossen, die Supermärkte dicht. Kulturveranstaltung finden auch nicht statt.
Aber in diesem Jahr dauert dieser Zustand deutlich länger. Die Ferien sind verlängert worden. Es wurde an die Leute appelliert, noch nicht zur Arbeit zu gehen, sondern, soweit möglich, von zu Hause aus zu arbeiten.
Peking liegt immer noch total flach. Kein Mensch geht zur Arbeit - bis auf Straßenfeger, Busfahrer und so weiter. Der einzige Ort, wo man Leute sieht, sind die Supermärkte. Alle Kulturveranstaltungen sind abgeblasen. Die Theater sind geschlossen. Sämtliche Kinopremieren, die sonst zum chinesischen Neujahr stattfinden, sind abgeblasen. Ein großer chinesischer Internetkonzern hat die Rechte an einem dieser Filme gekauft und auf seiner Plattform gestreamt. Das war der Film "Lost in Russia". Wahrscheinlich haben den alle Chinesen zu Hause gesehen, wenn auch nur auf dem Rechner oder auf dem Handy.
Das heißt: Über das Neujahrsfest hinaus legt die Epidemie das gesellschaftliche und auch das Kulturleben komplett lahm?
Das ganze Land ist lahmgelegt: 95 Prozent der Leute draußen tragen Atemschutzmasken. Will man mit der U-Bahn fahren, muss man Fieber messen lassen. Hat man erhöhte Temperatur, darf man nicht mitfahren. In der U-Bahn muss man eine Maske tragen. In Wuhan und anderen Provinzen ist das sogar auf der Straße Pflicht.
Haben Sie von Kunstaktionen mitbekommen, die auf die aktuelle Bedrohungslage reagieren?
Ich kenne nur diesen Clip eines chinesischen Künstlers, der sich in einer europäischen Stadt hingestellt, die Augen verbunden und ein Schild hochgehalten hat, auf dem stand: "I am not a virus" (Ich bin kein Virus). Das jagt hier durch das Internet. Das Internet ist ja praktisch das einzige Medium, in dem noch Austausch stattfindet. Dafür gibt's dort tatsächlich einige kreative Sachen: mittlerweile kursieren dort Witze.
Witze – worüber?
Da gibt es diese Witze mit dem Corona, dem mexikanischen Bier: Eine Corona-Flasche steht links alleine auf einem Tisch. Und auf der anderen Seite des Tisches stehen in einer Dreicksformation Heineken-Bierflaschen. Und die vorderste Heineken-Flasche trägt eine Atemschutzmaske. Das wirkt, als ob diese 15 Heineken-Flaschen Angst vor dieser einen Corona-Flasche hätten.
Unter anderem fragen dich die Behörden jetzt wegen der möglichen Infektionsgefahr, wohin Du in den letzten Wochen gereist bist. Dazu hat jemand diese Grafik im Internet gepostet: "Meine letzte Reiseroute? Wohnzimmer, Schlafzimmer, Toilette, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Toilette, Küche - Rundreise!" Die eigene Wohnung - das ist der Ort, wo sich jetzt die meisten bewegen. Viele haben sich zumindest eine Teilquarantäne auferlegt.
Gibt es Ihrer Beobachtung nach Kulturschaffende, die Kritik am Krisenmanagement der Regierung üben?
Es sind vor allem Blogger, die sich da zu Wort melden. Es gibt schon ziemlich viel Kritik - vor allem an dem Management, bevor man diese drastischen Maßnahmen ergriffen hat. Jetzt kommt so langsam raus, dass das Virus anfänglich nicht ernst genommen worden ist, dass es große Veranstaltungen gegeben hat, an denen sehr viele Leute teilgenommen haben, auch Volksfeste, die man nicht abgeblasen hat. Das macht natürlich viele Leute sauer. Gegen die Kritik kommt die Zensur kaum an.
Gleichzeitig gibt es auch Solidaritätsbekundungen und Bekenntnisse zu China, das man sich nicht vom Virus kriegen lässt. Und natürlich Verschwörungstheorien: Manche glauben, das Virus sei von den Amerikanern platziert worden, um China zu schwächen, als eine Art "Handelskrieg 3.0".
Im März stellen Sie Ihr neues Buch vor. Ein Kinderbuch, "Der kleine Herr Tod", das bei Rowohlt in Berlin erscheint.
Das Buch habe ich im letzten Jahr geschrieben. Jetzt kommt mir der Titel plötzlich vor wie eine Prophezeiung. Aber ich bin auch nicht sicher, ob ich wirklich nach Berlin fliegen kann. Das hängt von der Entwicklung des Virus ab. Mein Plan B wäre, die Lesung hier in Peking aufzunehmen und als Video nach Berlin zu übertragen.
Das Gespräch führte Stefan Dege.