Neue Perspektive für Tamilengebiete
18. Juni 2013"Batti", so nennen die Sri-Lanker die Stadt Batticaloa an der Ostküste Sri Lankas. Und "Batti" kenne jeder auf der Insel, erzählt Mushin, während er ein paar Broschüren auf dem Armaturenbrett des Wagens verteilt. "Das liegt nicht daran, dass die Region Batti oft wegen ihrer Armut Schlagzeilen macht. Sondern Batti kennt man wegen der Tamil Tigers!"
Mushin zeigt ins Landesinnere, dorthin, wo die hässlichen Betonbauten enden und die Hütten, die Reisfelder und der Regenwald beginnen. "Hier hatten die Rebellen lange Zeit eine ihrer Hochburgen", erklärt er. Die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) kontrollierten fast dreißig Jahre lang ein Drittel Sri Lankas, mit Selbstmordkommandos, eigener Marine und Luftwaffe. Ihr Ziel: Einen eigenen Staat im Norden und Osten des Landes, eben dort, wo besonders viele Tamilen leben.
Wiederaufbau mit kleinen Schritten
Mushin muss fast brüllen, um gegen den Motorenlärm des Minivans anzukommen. Es ist schwül. Doch er sitzt auch bei 35 Grad aufrecht auf dem Beifahrersitz, während sein Fahrer heftig am Lenkrad kurbelt. "Überall Schlaglöcher", sagt er, "die Straßen müssten dringend ordentlich geteert werden." Auf seiner Schildmütze ist das Abzeichen der humanitären Organisation "Malteser International", für die Mushin arbeitet.
Mushin kurbelt das Fenster runter und zeigt nach links, auf die bescheidenen Behausungen am Straßenrand, mit Wellblechdächern, aber zum Teil gemauerten Wänden, und auf die Frauen, die Karotten, Kohl und Bohnen am Straßenrand zum Verkauf auftürmen. Ein paar alte Männer schieben mit Reissäcken beladene Hollandräder vorbei. "Es hat sich sehr viel getan in den letzten Jahren. Die Leute hier haben wieder ein Dach über dem Kopf, sie tragen saubere Kleidung, und sie machen ihre kleinen Läden auf", erklärt Mushin.
Mission Toilette …
Ein bisschen Stolz schwingt in seiner Stimme mit, denn er war von Anfang an dabei, von dem Moment an, als die Bewohner nach dem Krieg aus den Flüchtlingscamps zurück in ihre Dörfer kamen. Oder zumindest in das, was davon übrig geblieben war. Häuser hat Mushin zwar keine gebaut, eher "Häuschen". Genauer: gemauerte Toilettenhäuschen mit Wasserspülung per Eimer, hinter den Wohnhäusern. Denn er leitet eines der Rücksiedlerprojekte der Malteser. "Das klingt komisch, aber Toiletten und sauberes Wasser waren lebensnotwendig, sonst hätten wir hier Krankheiten ohne Ende gehabt", erklärt Mushin und zeigt auf eine der Broschüren auf der Ablage. "Hände waschen, Seife benutzen, Wasser filtern - das habe ich den Menschen beigebracht."
Unzählige dieser Hygieneschulungen hat der Projektleiter seit Kriegsende gehalten. Und 1.000 Toiletten und 250 Brunnen gebaut. "Und das reicht immer noch nicht, denn selbst heute haben noch nicht alle Familien eine Toilette mit Spülung", meint er leicht frustriert. Ganz zu schweigen von festen Häusern und geteerten Straßen. "Aber das soll jetzt als nächstes kommen", ergänzt Mushin, "die Regierung hat es versprochen."
... und Brunnen
Der Fahrer biegt in einen Feldweg ein, Mushin winkt lässig aus dem Fenster, er kennt hier fast jeden. Vor einem der kleinen improvisierten Wohnhäuser stoppt der Wagen. Eine dünne Frau um die 30 kommt heraus, auf dem Arm ein Säugling. Verwilderte Hunde springen auf und ab, ihr kleiner Sohn lugt neugierig um die Ecke. "Was macht der Brunnen"? fragt der Projektmanager. Sie seufzt, er sei kaputt. Das heißt, sie hat seit einem Monat kein frisches Trinkwasser mehr. Der Malteser-Mitarbeiter inspiziert die Pumpe, tickt mit dem Fingernagel auf eine Metallplatte."„Ich habe Ihnen doch ein Reparatur-Set hiergelassen!" Große Augen, ein resigniertes Schulterzucken. Reparatur- und Ersatzteile seien sei auch weg. Sie habe das schon der lokalen Behörde gemeldet, aber es sei nichts passiert.
Mushin lächelt weiterhin höflich. Er werde sich darum kümmern, verspricht er und wischt sich mit seinem Stofftaschentuch die Schweißperlen aus dem Gesicht. "Das gibt es eben auch. Rücksiedler, die sich darauf verlassen, dass die Hilfsorganisationen schon kommen werden, aber nicht mal beim Nachbarn fragen." Das sei aber nicht die Regel, betont er eilig.
Endlich wieder Schulunterricht
Es sei schon ein großer Erfolg dass die Menschen hier wieder ein bisschen Landwirtschaft betreiben, wieder so etwas wie einen Alltag haben. Dennoch, die Region rund um Batticaloa ist arm. Wie es denn weiter gehen wird? Da blitzen die Augen des sonst sehr gefassten Mannes, der eigentlich kaum Emotionen zeigt. "Die Zukunft liegt bei ihnen!" Der Wagen hält, der Projektmanager springt hinaus und läuft in Richtung Kindergeschrei. "Die Kinder sind die Zukunft der Region hier. Es ist so schön zu sehen, dass fast alle wieder regelmäßig zur Schule gehen!"
Bildung, das sei der Schlüssel zu einer besseren Zukunft. "Immer mehr Englisch- und Tourismusschulen eröffnen. Wer sich dafür jetzt fit macht, kann auch von der Tourismuswelle profitieren." Denn die soll schließlich bald an die Ostküste rollen, so der Plan der Regierung.
Fit machen sich auch schon die Jüngsten, die mit weißer Uniform und neugierigen Augen die Besucher mustern. Der Direktor der Schule stürzt auf Mushin zu, Händeschütteln, Floskeln, die Kinder plappern aufgeregt durcheinander. Unterricht ist jetzt zweitrangig. "Es kommt nur ganz selten Besuch auf den Schulhof dieser staatlichen Schule im Hinterland", grinst Mushin, und bahnt sich den Weg durch 600 Schüler.
Stolz öffnet der Direktor eine Tür: das Klo. Aber nicht irgendeine Toilette, sondern eine mit Waschbecken und Seife, gebaut von Mushin. Und mit einem Riesenbild, einer Art Gebrauchsanweisung. "Bisher sind die Schüler einfach nach Hause gegangen, wenn sie mal mussten", erzählt der Direktor, "und danach nicht wieder erschienen." Oder sie hätten eben die alte Schultoiltette benutzt, ein stinkendes Loch im Boden ohne Spülung.
Die Idee mit dem “Health-Club”
Mushin nickt. "Aber den Druchbruch hat der 'Health Club' gebracht. Ältere Schüler bringen den jüngeren bei, dass man sich nach dem Toilettenbesuch die Hände wäscht." Und die Eltern seien auch zu Hygiene-Schulungen in den 'Health Club' gekommen, der richtige Mitglieder hat und Versammlungen abhält. "Es funktioniert super", meint Mushin, "sie ziehen das nun auch zu Hause durch." Eine kleine Revolution im ehemaligen Kriegsgebiet.
"Wenn die Schüler im Unterricht genauso engagiert sind wie im 'Health Club', dann könnte das die Region wirklich voran bringen", meint der Direktor. Mushin stimmt ihm zu: "Mit Abitur können die jungen Leute einen gutbezahlten Job im Tourismus oder als Ingenieur bekommen und müssen nicht wie ihre Eltern Landwirte werden." Und dann wird "Batti" eines Tages vielleicht nicht mehr für eine arme Region und Ex-Rebellenhochburg stehen, sondern für eine prosperierende Stadt, schmunzelt Mushin, winkt und ruckelt weiter über die Staubpiste - auf zur nächsten Hygienekontrolle.