Muslimische Soldaten vermissen Seelsorge
25. Juli 2020"Ich hatte auch Situationen, wo ich gedacht habe: Jetzt geht's hier wirklich um die Wurst. Jetzt wird nicht mehr geübt. Das sind jetzt richtige Schüsse und richtige Raketen, die auf Dich geschossen werden." Nariman Hammouti-Reinke, 41, Soldatin der Bundeswehr. Wenn sie von ihren Einsätzen der Bundeswehr erzählt, ist der Druck, die Angst der Wochen und Monate im gefährlichen Auslandseinsatz zu spüren.
Leutnant Hammouti-Reinke ist Muslimin, deutsche Muslimin. Als Tochter marokkanischer Eltern wurde sie in der Nähe von Hannover geboren. Für sie berührte die Vorbereitung auf die Auslandseinsätze auch zutiefst persönliche, religiöse Fragen. "Ich habe mein Leichentuch selbst mitgenommen", erzählt die Autorin des Buches "Ich diene Deutschland" der Deutschen Welle. "Ich musste für den Todesfall eine Art Bedienungsanleitung für meinen Chef schreiben. Und ich musste mich darum kümmern, wer die Todesnachricht an meine Eltern überbringt."
Militärische Seelsorge nur für Christen und Juden
Wer als Soldat oder Soldatin muslimischen Glaubens in gefährliche Einsätze zieht, muss ausführlicher planen. Auch, weil es eine muslimische Militärseelsorge in der deutschen Armee nicht gibt – anders als für Christen und künftig für Juden. "Für mich ist das immer noch eine Diskriminierung und eine Ungleichbehandlung", sagt Hammouti-Reinke.
Eigentlich sollte das anders werden. Ende Januar begegnete Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bei einem Termin hochrangiger jüdischer und muslimischer Religionsvertreter auch dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. Die CDU-Vorsitzende sprach mit einem der Rabbiner über die Vereinbarung zu künftigen Militärrabbinern in der Bundeswehr. Dann wandte sie sich an Mazyek und sagte: "Und der nächste Schritt soll folgen. Wie werden jetzt irgendwann die Gespräche aufnehmen und dann schauen, wie wir das hinbekommen."
Viele Beratungen, keine konkreten Taten
Mazyek erzählt die Szene nicht selbst. Journalistinnen und Journalisten waren dabei. Fragt man den Zentralratsvertreter nun ein halbes Jahr später, wann denn was seit den Gesprächen seitdem erfolgt sei, erwidert er der Deutschen Welle: "Es ist nichts geschehen." Man müsse einfach mal beginnen, "man muss mal einen Schritt gehen, um diese seelsorgerliche Betreuung von Muslimen zu organisieren".
Seit die Bundesregierung und der Zentralrat der Juden vor gut eineinhalb Jahren die Errichtung jüdischer Militärseelsorge ankündigten – ein für Deutschland durchaus historischer Schritt – und Verhandlungen aufnahmen, sprach die Politik häufig davon. Das Kabinett beriet und beschloss, der Bundestag beriet und beschloss, ebenso der Bundesrat. Im Beisein des Bundespräsidenten unterzeichneten Kramp-Karrenbauer und Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, den Vertrag. Und manchmal folgte dann der ein wenig weggenuschelte Satz, muslimische Militärseelsorge solle folgen. Irgendwann. Aber bestimmt.
Anspruch auf religionsbezogene Seelsorge
Die Zahlen geben das her. Knapp 185.000 Soldatinnen und Soldaten dienen derzeit bei der Bundeswehr. Davon sind gut 53.400 evangelisch, knapp 41.000 katholisch. Schätzungen sprechen von 300 Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens, 3000 muslimischen Glaubens. Und als kürzlich der scheidende evangelische Militärbischof Sigurd Rink Bilanz zog, sprach er von 3000 bis 4000 Soldaten, die sich zum Islam bekannten.
Doch diese haben keinen muslimischen Ansprechpartner. 3000 oder mehr, "das ist eine relevante Größe", sagt Leutnant Hammouti-Reinke. "Jeder einzelne Soldat ist eine relevante Größe. Jetzt wird bei der jüdischen Seelsorge endlich nachgesteuert, was lange überfällig gewesen ist. Und bei der islamischen will man es einfach nicht." Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt der Deutschen Welle, in den Streitkräften leisteten "zunehmend mehr Soldatinnen und Soldaten mit muslimischer Religionszugehörigkeit ihren Dienst. Auch Sie alle haben Anspruch auf Seelsorge innerhalb der eigenen Religionszugehörigkeit.
Bundestagswahlkampf bremst Neuerung aus
Grundsätzlich kalkuliert das Verteidigungsministerium einen Seelsorger für 1500 Soldaten. Darüber gesprochen wird schon lange. Schließlich ist das Recht auf freie Religionsausübung grundgesetzlich verankert. Militärbischof Rink erinnert, dass es Gespräche unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (2013-2019) gab, die das Thema bald nach Amtsantritt ganz wichtig genommen habe; dann sei jedoch der Bundestags-Wahlkampf 2017 dazwischengekommen. Schlussendlich bleibt die Suche nach einem Ansprechpartner, und das Ministerium hält sich zurück, mit dem Zentralrat der Muslime zu verhandeln.
Der Sprecher des Verteidigungsministeriums betont, sein Haus sei bestrebt, das seelsorgerische Angebot "für möglichst viele Glaubensrichtungen zu erweitern" und befinde sich derzeit in entsprechenden Gesprächen. "Aufgrund der sehr unterschiedlichen Organisationsformen der muslimischen Glaubensverbände ist eine konkrete Umsetzung derzeit jedoch nicht absehbar." Bei Bedarf vermittele aber die seit 2015 bestehende "Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen (ZASaG)" die "nötige Betreuung". Was wohl passiert, wenn ein deutscher Muslim im Auslandseinsatz fällt? Man kann sich nur ausmalen, dass die ZASaG dann rasch einen Imam heranschafft. Derzeit sind, da widerspricht niemand, tausende muslimische Soldatinnen und Soldaten bereit, für dieses Land ihr Leben zu riskieren, ohne dass der Staat ihnen Seelsorge bietet.
Beistand für Muslime in der US-Armee
So bleibt es ein rechtliches Stochern. Der Protestant Rink sprach die Möglichkeit an, Seelsorger zu finden, die nicht unbedingt Imame seien. Mazyek findet auch das merkwürdig. Und er verweist auf eine weitere Nicht-Einbindung der muslimischen Seite. Beim Beirat Innere Führung der Bundeswehr sind diverse gesellschaftliche Gruppen vertreten, auch aus den Religionen. Für die muslimische Seite stehe dort "N.N." Dabei werde persönlich eingeladen, also keine Gruppierung. Das könnte also auch für Nariman Hammouti-Reinke gelten, die für Deutschland im afghanischen Staub lag.
"Man muss es wollen", sagt Aiman Mazyek. Er könne sich auch eine Zusammenarbeit mit den Kirchen in diesem Bereich vorstellen. Mit Blick auf das Ausland nennt Mazyek das Beispiel von Imamen als Militärseelsorger in der US-Armee. Hammouti-Reinke kennt britische Soldatinnen mit Hijab. Und Deutschland – sucht seinen Weg. Ob vor der Bundestagswahl im Herbst 2021 noch etwas passiert? Das ist eher unwahrscheinlich, wenn man die Entstehung der jüdischen Militärseelsorge sieht, die ja alle Beteiligten wollten und die doch eineinhalb Jahre brauchte.
Für das Heimatland im lebensgefährlichen Einsatz
"Das ist für mich ungerecht", sagt Hammouti-Reinke. "Es bedeutet für mich, dass der Islam immer noch nicht in Deutschland angekommen ist, obwohl wir schon für unser Land dienen - unser Land ist Deutschland – und auch unser Leben für Deutschland geben würden."