Mit Fantasie in die Zukunft
8. Oktober 2014Die diesjährige Buchmesse hat Heinrich Riethmüller, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, besonders gerne eröffnet, denn er konnte das mit guten Nachrichten verbinden: Der deutsche Buchmarkt hat sich nach vielen Jahren der Krise positiv entwickelt. "Nie wurden digital oder gedruckt mehr Bücher verkauft als im letzten Jahr, und zum ersten Mal seit zehn Jahren ist der Umsatz des stationären Buchhandels leicht gewachsen."
Nach dem nahezu ungebremsten Run auf Online-Anbieter und wohl auch infolge der öffentlichen Diskussionen um das Geschäftsgebaren des Branchenriesen Amazon besinnen sich größere Teile der Bevölkerung wieder auf ihre Buchhandlung um die Ecke und die dort verfügbare Beratung. Gleichzeitig aber hat die Branche einiges getan, um Amazon den Markt nicht kampflos zu überlassen. Sie investiere, so Riethmüller, ins Multichanneling, verbinde Online mit Offline, forciere die Symbiose. "Eine moderne und agile Buchbranche braucht die Weiterentwicklung digitaler Herstellungs- und Verbreitungswege, wenn sie zeitgemäß bleiben und sich verändern will. Und sie braucht den stationären Buchhandel als Kulturvermittler, wenn sie ihre Bedeutung erhalten will."
Weltweites Vorbild
Wegen seiner einzigartigen Infrastruktur von rund 3000 Verlagen und 6000 Buchhandlungen, aber auch wegen der Vielfalt und Qualität der deutschsprachigen Buchproduktion sei der deutsche Buchmarkt weltweit ein Vorbild. Insofern findet die größte Buchmesse der Welt nicht von ungefähr in Frankfurt am Main statt. Und der internationale Zuspruch ist groß: Von den rund 7100 Ausstellern kommen 75% aus dem weltweiten Ausland, über 100 Nationalitäten präsentieren in Frankfurt ihre Neuheiten. Deutlich zugenommen hat dabei laut Messedirektor Jürgen Boos die Präsenz der Aussteller aus Lateinamerika und Südostasien. Alle zusammen erwartet eine Messe, die mit neuen Formaten, Ideen und Bühnen zur Diskussion auf aktuelle Herausforderungen reagieren möchte.
Um Beispiele ist Jürgen Boos nicht verlegen. Angesichts der diversen aktuellen Krisen in verschiedenen Regionen dieser Welt soll die Buchmesse politischer werden und will die Rolle der Autoren im globalen Diskurs weiter stärken. Dafür wurde eine "Autoren Lounge" eingerichtet, eine Art Kraft- und Denkort, an den die dänische Autorin Janne Teller Kolleginnen und Kollegen zum Austausch über politische Themen lädt. Rein dürfen nur Autoren, alle anderen, auch Verleger, müssen draußen bleiben. Glücklicherweise zeigen sich die Autoren aber auch an den Ständen ihrer Verlage oder nehmen an einigen der rund 4000 Veranstaltungen im Umfeld der Messe teil. Die Neugier des Publikums dürfte groß sein, denn der Auftritt der nationalen wie internationalen Autoren verspricht stark zu werden – Ken Follett, Andrej Kurkow, Rafik Schami, Jaron Lanier, György Dalos, Paulo Coelho, Judith Hermann, Nino Haratischwili, Herta Müller sind nur einige namhafte Beispiele.
Große Fragen, große Themen
Die Buchmesse wartet außerdem mit einem abwechslungsreichen Unterhaltungsprogramm auf: mit Rappern wie MC Fitti und Cro, einem Grillabend der Verlage oder einer Preisverleihung, bei der die ungewöhnlichsten Marketingideen der Branche mit dem "Virenschleuder-Preis" ausgezeichnet werden, das Ganze zu DJ-Klängen. Meist aber geht es bei der Buchmesse ernsthafter zu: wenn es trotz manch positiver Zeichen eben doch um die Zukunft der Branche im digitalen Zeitalter geht, wenn es um neue kostenlose Bildungsangebote aus dem Internet, um Freiheit in Megastädten, um Prozesse der Demokratisierung oder um in der Vergangenheit erlittenes Unrecht geht.
Manche dieser Themen wurden bereits während der Eröffnungsfeier dieser Messe deutlich angesprochen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte, das Urheberrecht für den digitalen Markt global neu zu definieren. "Wir brauchen ein Völkerrecht des Netzes", sagte er und warnte vor einer Monopolisierung des Internets durch große Datenkonzerne.
Sofi Oksanen, die international bekannteste Autorin des diesjährigen Gastlands Finnland, kritisierte scharf die sogenannte "Finnlandisierung", also die russlandfreundliche Politik ihres Landes in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Und sie prangerte die Verfolgung der finno-ugrischen Minderheiten in Russland an.
"Ob wir die Herausforderungen der Menschheit bewältigen können, hängt davon ab, wie gut es uns gelingt, mit Hilfe der Schule jeden jungen Menschen anzuleiten, seine eigene Quelle des Lernens und der Leidenschaft zu finden", mahnte schließlich Pasi Sahlberg, auch er literarischer Redner des Ehrengastes Finnland.
Von den Finnen lernen
Finnland ist seit 15 Jahren ein Vorreiter in der Schulbildung. Bücher, die Bereitschaft zu lesen und sich mit vertrackten Fragen auseinanderzusetzen, spielen dabei auch eine Rolle. Vielleicht ließe sich aus den Erfahrungen der Finnen lernen. In Frankfurt machen sie in jedem Fall neugierig auf sich – mit einer faszinierenden Präsentation und phantasievollen Aktionen auf dem gesamten Messegelände.
Zur Buchmesse werden ca. 300.000 Besucher erwartet. Zu ihrem feierlichen Abschluss wird traditionell am Sonntag in der Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen – in diesem Jahr an den US-Amerikaner Jaron Lanier, einen Wortführer im Kampf um einen digitalen Humanismus.