Mit Fahrrad und Windrad
13. August 2015"Man braucht einen Laderegler für die Batterie, einen Tief- und einen Überladeschutz. Man muss den Wechselstrom richtig abgreifen." Fachmännisch und voller Stolz beschreibt Frank die Funktion des Schaltwerks für das Windkraftrad, das er mit anderen Klimacamp-Teilnehmern in nur vier Tagen gebaut hat - aus Schrottteilen zusammengeschweißt, geschraubt, gewickelt, gegossen. Noch sind einige dabei, mit Schleifpapier liebevoll die Holzflügel zu bearbeiten. In wenigen Stunden wollen sie das zehn Meter hohe Gerät aufstellen.
Energiequelle und symbolischer Akt
Denn die rund 800 Umweltaktivisten wollen ein Zeichen setzen - für alternative Energien und dafür, dass jeder sich an der Energiewende beteiligen kann. So wie Frank. Äußerlich hebt er sich von den meisten Teilnehmern des Workshops ab. Keine Rastalocken, keine labbrige Pluderhose, dafür praktischer Kurzhaarschnitt und kariertes Holzfällerhemd. Gemeinsam sind sie Laien in Sachen Windradbau. "Wir machen alles selbst. Dadurch lernt man am meisten", erklärt Frank. Im normalen Leben entwickelt der Chemietechniker Lacke. Für den Workshop hat er sich frei genommen. "Ein toller Urlaub", gibt er zu. "Tolle Leute. Und der Workshop wird kostenlos angeboten von Vereinen. Normalerweise muss man so ein Seminar teuer bezahlen." Ein Grund mehr, jeden Morgen von Mönchengladbach ins Camp nahe des Tagebaus Garzweiler zu radeln und abends zurück nach Hause.
"Wir brauchen Alternativen zum Kohlestrom - und Windenergie ist unsere größte Säule der regenerativen Energien", sagt Frank. "Außerdem werden hier Menschen vertrieben für den Braunkohletagebau. Dabei bräuchten wir den Strom gar nicht, den exportieren wir ins Ausland."
Energieversorgung als höhere Gewalt
Frank will ein Zeichen der Solidarität setzen - mit den Bewohnern der Region. Aber die meisten sind weg. Sie hatten keine Chance, weil das Berggesetz von 1937 stammt. Die Nazis schrieben vor, dass Wohn- und Betriebsgrundstücke - bei nationalem Bedarf - abzutreten sind. Die Teilnehmer des Klimacamps bei Lützerath hoffen auf ein baldiges Ende des Tagebaus, obwohl der Energiekonzern RWE bis 2045 die Genehmigung hat, hier im Rheinischen Revier, Braunkohle zur Stromerzeugung zu fördern.
"Mein Eindruck ist, dass der Widerstand aufgrund der weltweit unverändert hohen Emissionen und dem Zwang einer internationalen Einigung wieder wächst." Er sehe gute Chancen, dass nicht mehr so viel klimaschädliche Kohle abgebaut werde und die schöne Landschaft nicht einfach umgepflügt werde. "Selbst US-Präsident Barack Obama will sich vor der wichtigen Klimakonferenz Ende des Jahres in Paris als Klimaretter profilieren", gibt Robert aus Amsterdam zu verstehen.
Camp zwischen Kohlekrater und Ödnis
Die Auswirkungen der Kohleförderung bekommen die Klimagerechtigkeitsaktivisten deutlich zu spüren. Über der nächstgelegenen Haltestelle hängt ein blauer Plastiksack. Busse fahren hier nicht mehr. Aus der Ferne dröhnt das schleifende Geräusch des Schaufelradbaggers herüber. Der Tagebau rückt näher. In spätestens zwei Jahren wird an dieser Stelle ein riesiges Loch klaffen, weil in der Erde die Kohle schlummert. Die Dörfer Lützerath und Immerath sind längst geräumt. Nur für die Zeit des Klimacamps kehrt wieder Leben ein.
Ein Bauer hat dafür sein Land zur Verfügung gestellt. Auf dieser Brache heben sich bunte Kunststoff-Iglus vom Boden ab - Zelte der Teilnehmer des Klimacamps. Daneben weiße Zelte, in denen Ausstellungen über die Tagebaue und Workshops angeboten werden und Zirkuszelte für größere Zusammenkünfte und die Kinderbetreuung. Vor dem Camp parken Hunderte Fahrräder. Ohne eigenen Antrieb ist es schwer, hierher zu gelangen. Auch Inti kam mit dem Rad vom nächstgelegenen Bahnhof ins Klimacamp.
Inti ist in Bolivien zu Hause. Er ist dort in der Juteproduktion tätig und engagiert sich gegen die Landnahme. "Zwei Millionen Menschen wurden in den letzten fünf Jahren vertrieben. Wir fördern Gas und Erdöl, aber die großen internationalen Konzerne profitieren davon, während 40 Prozent meiner Landsleute von weniger als zwei US-Dollar am Tag und damit unterhalb der Armutsgrenze leben." Auf Einladung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung kam er hierher, um über Enteignung und Industrialisierung zu referieren.
Joanna Cabello stammt aus Peru. Sie arbeitet für das internationale Sekretariat des "World Rainforest Movement" und forscht im Bereich Umweltgerechtigkeit. "Diese Tagebaue hier sind ein Symbol für Umweltverschmutzung und damit Ursache des Klimawandels. Denn durch die Emissionen, die bei der Verstromung von Braunkohle entstehen, schmelzen Gletscher in meiner Heimat. Menschen in den armen Ländern verlieren ihre Existenzgrundlage. Und Deutschland ist einer größten Kohleimporteure."
Lyda Fernanda nickt zustimmend. Die Wirtschaftswissenschaftlerin aus Kolumbien beschäftigt sich mit Handelspolitik und der Macht der Konzerne: "Kolumbien ist Deutschlands wichtigster Lieferant für Steinkohle, aber die Menschen in meiner Heimat müssen dafür einen hohen Preis bezahlen." Fast 60.000 wurden vertrieben, verschleppt, misshandelt und sogar von Paramilitärs getötet, berichtet die Aktivistin. Das Wasser und die Luft seien verschmutzt. Flächen wurden zerstört, viele Arten seien ausgestorben. "Wenn man sich die riesigen Löcher der Tagebaue hier im Rheinland anschaut, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass wir alle im gleichen Boot sitzen." Die Welt brauche einen Systemwechsel, fordert Lyda Fernanda. Die Menschen müssten die Souveränität haben und nicht die Konzerne.
"Klimaschutz allein reicht nicht"
"Klimaschutz ist mit Wirtschaftswachstum nicht vereinbar", wirft Christiane ein. Die frühere UN-Mitarbeiterin engagiert sich in der Degrowth- oder Postwachstum-Bewegung. "Wir sehen, dass die Emissionen durch das Wachstum immer weiter ansteigen, egal ob wir fossile oder alternative Energieträger einsetzen." Insofern sei die Energiewende alleine keine Lösung. Kai pflichtet ihr bei.
Beim Umweltbundesamt beschäftigt er sich mit Klima und Energie. In einem zweiten Job beim "Konzeptwerk neue Ökonomie" befasst er sich mit Alternativen zur energie- und ressourcenintensiven Lebensweise: "Wohlstand hat nichts mit materiellen Dingen zu tun, sondern damit, Zeit zu haben und persönliche Freiheit genießen zu können, trotzdem eingebettet zu sein in Gemeinschaften." Kai nennt, den Fokus auf regionalisierte Wirtschaftskreisläufe zu richten, anstatt Waren aus aller Welt zu importieren, doch das Streben nach Wachstum hindere die Gesellschaft daran.
Mut zur Einschränkung
Für Gyb ist die Idee des Postwachstums längst Realität. Der Tischler lebt in einem ausgebauten PKW-Anhänger. Auf zwei Quadratmetern verbringt er die meiste Zeit seines Lebens. Seinen materiellen Luxus bilden der TV-Flachbildschirm, ein Notebook und die zahlreichen Kartons mit Gesellschaftsspielen sowie ein Pokal, den er bei einem Spielewettbewerb gewann: "Ich liebe kleine Räume. Andererseits leben immer mehr Menschen auf der Erde. Mit dem Wagen will ich darstellen, wie viel Platz der Mensch eigentlich braucht."