Tagebau wird Freizeitparadies
25. Juli 2015"Ne, was war das früher dreckig hier", erinnert sich Elfriede G."Der Kohlenstaub war klebrig, er setzte sich überall fest und hinterließ eine schwarze Rußschicht. Es war furchtbar." 15 Jahre habe sie gewischt und gewischt bis der Tagebau aus ihrer Nachbarschaft weiter gezogen war. Aber ihr Mann habe durch RWE das Geld nach Hause gebracht, so konnte sie sich nicht beschweren. Elfriede G. will ihren Namen nicht nennen und keinesfalls fotografiert werden. Gertrud K. auch nicht: "Sie müssen das verstehen, unsere Familien sind abhängig von RWE", sagt die Frau und blickt in die Ferne - über den Tagebau Hambach hinweg, das größte Loch Europas.
Beide sind zum Aussichtspunkt am Forum ":terra nova" geradelt. Vor ihnen dringen die 94 Meter hohen Schaufelradbagger 450 Meter tief in die Erde ein. Über Jahrzehnte schieben sie Kies, Sand, Tonschichten auf einer gigantischen Fläche von 85 Quadratkilometern beiseite, nur um die insgesamt 70 Meter dicken Kohleschichten freizulegen, aus denen sich Strom produzieren lässt. Zigtausende Menschen sind dafür aus ihrer Heimat vertrieben worden. Straßen werden verlegt, Flüsse umgeleitet. Ganze Landstriche werden bis in Tiefen von 500 Meter weiträumig um den Tagebau entwässert. Besonders tragisch ist die Tatsache, dass der ökologisch wertvolle Hambacher Forst den Baggern zum Opfer fällt. Denn der Eichenmischwald besteht, seit sich Bäume in diesen Breiten angesiedelt haben, also nach der letzten Eiszeit. Vor 1200 Jahren soll Karl der Große Bürgern umliegender Dörfer den Forst zum Jagen und zur Schweinemast überlassen haben.
Ein territorialer Totalschaden, auch wenn RWE versucht, an anderen Stellen neue, mitunter gebirgsähnliche Landschaften erwachsen zu lassen. Besondes auffällig ist der Höhenzug Sophienhöhe, der durch Aufschüttung des Erdreiches (Abraum) entstand. Auf 300 Meter Höhe über dem Meeresspiegel hat Europas größter Stromproduzent ein bewaldetes und mehr als 100 Kilometer langes Wegenetz angelegt, als Ausflugziel für die vom Tagebau gepeinigten Revierbewohner.
Und in diesem Loch am Tagebau Hambach soll nach 2050 der größte und tiefste Binnensee Deutschlands entstehen. "Terra nova" - neue Erde. Ein Name ist schon gefunden. Laut Planung wird es bis 2100 dauern, das Loch mit Wasser zu füllen, das Pipelines vom Rhein hierher leiten. Liegestühle, Sonnenschirme und Strandkörbe hat RWE schon aufstellen lassen. Den Seeblick allerdings werden Elfriede G. und Gertrud K. altersbedingt nicht mehr genießen können.
Eine Landschaft, die Emotionen freisetzt
Die beiden könnten noch viel erzählen, auch von der schmerzhaften Umsiedlung. Ihre Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Sie hätten sehr gelitten, sagt Elfriede G.: "Doch das ist lange her." Die Bagger vor ihnen graben unaufhörlich weiter. Bis 2045 hat RWE die Genehmigung zur Braunkohleförderung. Die Gegner des fossilen Brennstoffs hoffen auf eine baldige Abkehr von der klimaschädlichen Kohleverstromung, während die RWE-Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze bangen.
"Jetzt ist alles wunderbar", findet Gertrud K. RWE habe auch viel gemacht: Wassersprinkler an den Abbruchkanten angebracht, sodass sich der Staub nicht mehr über den umliegenden Dörfern verteilen kann. Und Bäume ließ der Energieriese pflanzen. Die schlucken die klimaschädlichen Feinstäube, die bei der Kohleförderung freigesetzt werden, erzählen die Frauen.
Die riesige Grube, die 94 Meter hohen Bagger, die die Erde hunderte Meter tief umgraben, um an die Braunkohle zu kommen, nehmen sie gar nicht mehr wahr. "Wir können ja nichts dagegen machen." Auch Hermann L. ist mit dem Rad zum Aussichtspunkt gekommen. Auch er will keinesfalls mit Namen zitiert werden: "Ich bin über den Fahrrad-Highway gekommen und muss jetzt mal ein Statement machen: Bei der ganzen Berichterstattung wird die Rekultivierung kaum erwähnt. Für Fahrradfahrer: toll. Es ist fast schöner als vorher. Ich bin jetzt 51. Zu meiner Jugendzeit flogen hier noch keine wilden Vögel rum."
"Die Vorteile überwiegen"
Einziger Wermutstropfen: Früher sei man direkter zum Ziel gekommen. Heute müsse man durch das Loch bedingt Umwege von bis zu 40 Kilometern in Kauf nehmen. "Aber alles in allem sind wir zufrieden mit RWE." Das Lob tut Ulf Dworschak gut. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Biologe im Auftrag RWEs mit der Rekultivierung der "Bergbaufolgelandschaften".
Von seinem Büro aus im Forschungszentrum ":terra nova", nahe der Abbaukante des Hambacher Tagebaus, kann er die Ausflügler sehen. Und die Grube. Er ist einer der wenigen Leute in der Gegend, die kein emotionales Verhältnis zu dem Krater haben: "Entscheidend ist, dass hinterher keine zerstörte Landschaft übrigbleibt, sondern eine nachhaltig nutzbare und ökologisch funktionierende."
Ein riesiger Landschaftspark soll hier entstehen für Radfahrer, Skater, Wanderer, Reiter, Skater, Wassersportler. Dworschak ist täglich draußen unterwegs, um sich einen Überblick über die Entwicklung von Tieren und Pflanzen zu verschaffen, die die rekultivierte Landschaft wieder besiedeln.
"Die Tiere werden ja nicht verjagt. Es ist ein schleichender Landschaftswandel. Es wird an einer Seite abgebaggert und auf der Rekultivierungsseite wächst Landschaft wieder zu." Der nährstoffarme Tagebau sei keine tote Landschaft, sondern ein Sonderbiotop für viele Arten wie die blauflügelige Ödlandschrecke. Zusätzlich würden Bäume gepflanzt, um Wälder zu rekultivieren und auf der landwirtschaftlichen Fläche werde die Bodenqualität gesichert durch die Anpflanzung von Luzerne. Die Futterpflanze wurzelt extrem tief und verbessert durch ihre stickstoffbindende Fähigkeit die Böden zur landwirtschaftlichen Nutzung.
"Natürlich könnten wir den Boden brach liegen lassen. Es würde sich an gleicher Stelle Flora und Fauna ansiedeln. Ein hochwertiger Landbau, wie jetzt auf dem fruchtbaren Lößboden, wäre allerdings nicht mehr möglich", rechtfertigt Ulf Dworschak die Rekultivierungsmaßnahmen. "Und durch das Anpflanzen von Eichen und Buchen wollen wir möglichst rasch die Basis schaffen für Tiere und Pflanzen, die ihren Lebensraum durch den Tagebau verloren haben."
Ist der Hambacher Forst zu ersetzen?
Auch zum Hambacher Forst, einen Steinwurf von ":terra nova" entfernt, rücken die Bagger täglich näher. Umweltschützer halten die ökologisch wertvolle Fläche seit 2012 besetzt. Denn in dem mehr als 4000 Hektar großen Wald, mit einem der größten Eichen- und Hainbuchenbestände Deutschlands, werden geschützte Arten wie die Bechsteinfledermaus oder der Springfrosch ihr Refugium verlieren. "Das Holz des Hambacher Waldes war intensiv genutzt", hält Dworschak Kritikern entgegen, "aber wir versuchen die Arten zu sichern. Dies soll durch Neupflanzung der entsprechenden Mischbaumarten in den rekultivierten Flächen erfolgen, durch eine Standortvielfalt, Einbindung von Feuchtlebensräumen, Schaffung von halblichten Standorten, Hecken, Wiesen- und Wegrainen."
Dann sei es eine Frage der Zeit, bis sich Tiere und Pflanzen dort ansiedeln. Das kann Jahrzehnte dauern. Um den Prozess zu beschleunigen, sagt Dworschak, würden Pflanzen und Waldboden umgepflanzt, und morsche Totholzstämme an anderer Stelle wieder aufgestellt. "Wir haben in 20- bis 30-jährigen Rekultivierungen Höhlenbrüter, Meisen Kernbeißer und Waldlaubsänger beobachtet - alles Charakterarten alter Wälder." Notfalls quartiert er Molche um. Zum Beweis zeigt der Biologe einen Farbeimer mit vielen kleinen Löchern und einem großen Loch. Und dann holt er ein Nachschlagewerk hervor. "Tiere und Pflanzen in der Rekultivierung - 40 Jahre Freilandforschung im Rheinischen Braunkohlerevier", so der Titel. Ulf Dworschak ist einer der Autoren.
Die gleiche Landschaft ist es nicht mehr, wenn die Erde umgeschichtet, das Wasser abgegraben und die Kohleschicht entfernt wurde - das gibt er zu. "Aber wir versuchen, die Funktions- und die Leistungsgleichheit wieder herzustellen. Und wenn ich mir den Artenreichtum anschaue, kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass wir die volle Biodiversität in der rekultivierten Landschaft erreichen."