Mit dem Taxi zum Gefängnis
27. Februar 2014Es gibt einen Tag, sagt Shell, der ihm inmitten der Monotonie des Hungers und der Brutalität des Gefängnisalltags in Erinnerung geblieben ist: Der Tag, an dem eine Bananenschale vor seiner Zelle auf dem Boden lag. Warum sie dort lag, weiß er bis heute nicht. Er zuckt die Schultern: Letztlich habe ihn damals nur interessiert, dass dort - fast in seiner Reichweite - etwas Essbares lag. "Ich hatte einfach so einen Hunger." Stundenlang habe er immer wieder seinen Arm durch die Gitterstäbe geschoben und versucht, mit seinen Fingern die Schale zu erhaschen. Sein Lächeln ist etwas schief: Irgendwann habe er sich gefragt, ob er überhaupt noch ein Mensch sei - oder nur ein Tier, getrieben von seinem nagenden Hunger.
Ein Paar läuft an Shells Auto vorbei, die junge Frau lacht und drückt sich an ihren Freund. Shell blickt ihnen nach, dann gibt sich der 43-Jährige einen Ruck. Ob er seine Freiheit genieße? Shell schüttelt vehement den Kopf: "Ich bin doch nur vom kleinen, ins große Gefängnis gekommen!" Die Regierung in Myanmar, die sich heute unter dem Deckmantel der Demokratisierung verstecke, sei doch immer noch die Gleiche.
Myanmar bewegt sich zwar in Trippelschritten in Richtung Demokratie: mehr Pressefreiheit, Wahlen, die Freilassung von politischen Gefangenen. Für Shell aber sind die neuen Herren Myanmars dieselben Militärs, die ihn 1988 das erste Mal ins Gefängnis gesteckt haben. Der damals 19-jährige Student hatte es gewagt, gegen das Regime zu demonstrieren. Seitdem hat er insgesamt 14 Jahre als politischer Gefangener in verschiedenen Gefängnissen in Myanmar verbracht. Davon Monate in Isolationshaft, dann hat man ihn wieder in völlig überfüllten Zellen gesteckt.
Das letzte Mal wurde er 2007 inhaftiert, als er zusammen mit anderen Aktivisten der Gruppe "Burma VJ" heimlich aufgenommenes Videomaterial aus Myanmar geschmuggelt hatte. 2012 wurde er im Rahmen der politischen Amnestie freigelassen, mit der das Regime zeigen wollte, dass es seine demokratische Transformation ernst meint.
"Ich dachte, ich darf nach Hause"
Shell glaubt das nicht. Er misstraut der Regierung, den Versprechungen von Demokratie und Pressefreiheit. Um seine Sicht der Dinge darzulegen und seinen Broterwerb zu sichern,hat er zusammen mit anderen politischen Gefangenen das "Golden-Harp"-Taxiunternehmen gegründet. Fahrer wie Khin Maung Soe fahren ausländische Journalisten, Diplomaten und Mitglieder von Hilfsorganisationen zu den Orten, an denen sie demonstriert haben, wo sie zusammengeschlagen und inhaftiert wurden.
Dort, der 39-Jährige Fahrer Khin Maung Soe deutet im Vorbeifahren auf eine heute dichtbefahrene Straße vor der Universität von Yangon, sei er 1996 gefangen ihaftiert worden. Er habe damals mit anderen Studenten für die Freilassung der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi demonstriert. "Ich dachte, sie stellen mir ein paar Fragen, dann darf ich wieder nach Hause." Nach Hause durfte er erst sieben Jahre später.
Khin Maung Soe spricht schnell und routiniert von der Verhaftung, der Folter und der Isolationshaft, während er in eine Seitenstraße in Richtung des Hauses von Aung San Suu Kyi biegt. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er als Taxifahrer bei "Golden-Harp" in Yangon, er ist die Fragen der Ausländer gewohnt. Es störe ihn nicht mehr, sagt er, von seiner Zeit im Gefängnis zu reden. Anfangs und später habe er noch Alpträume gehabt, habe beim Erzählen wieder das Gefühl der Enge gespürt, nicht atmen können. Er fasst sich an den Hals. Dann lächelt er: Heute mache es ihn stolz, von seiner Zeit im Gefängnis zu erzählen.
Keine Arbeit für politische Gefangene?
Der Verkehr stockt, Studenten stehen lachend an einer Haltestelle. Eigentlich, sagt Khin Maung Soe, bleibe ihm auch gar keine andere Wahl, als die Arbeit als Taxifahrer. Nach seiner Freilassung habe er eine Zeitlang am Straßenrand Gemüse verkauft, dann auf einer Baustelle ausgeholfen. "Es gibt einfach keine richtige Arbeit für politische Gefangene." Als er entlassen wurde, hätten nicht mal seine besten Schulfreunde ihn treffen wollen. Es habe einfach niemand das Risiko eingehen wollen, einem politischen Gefangenen, einen Job zu geben.
"Jetzt aber rufen alle an und wollen mich treffen." Jetzt, das bedeutet: Nachdem 2011 Thein Sein Präsident wurde, der das Land vorsichtig Richtung Demokratie bewegt, seien politische Gefangene plötzlich keine Aussätzigen mehr, sondern im Gegenteil ziemlich gefragt. Seitdem wird er wieder zu Familienfeiern eingeladen, soll mit alten Freunden Tee trinken. Khin Maung Soe trommelt kurz mit den Fingern auf dem Lenkrad: Trotzdem könne er keine Arbeit finden, schließlich habe er keine Berufserfahrung, keine Ausbildung. "Sie haben mir meine Jugend im Gefängnis gestohlen." Deswegen sei er dankbar, für die Arbeit als Taxifahrer.
Wie Khin Maung Soe gehe es fast allen ehemaligen politischen Gefangenen, sagt Shell. "keiner findet Arbeit." Deshalb hat er große Pläne: Er möchte sein Unternehmen auf ganz Myanmar ausweiten. Er führe derzeit Gespräche mit zwei Männern in Mandalay, die Touren zum Gefängnis dort anbieten könnten. In dem Gefängnis, sagt Shell, habe er auch ein paar Jahre gesessen. Er redet weiter und wird immer wütender: Noch immer, trotz der Beteuerungen der Regierungen, gebe es politische Gefangene in Myanmars Gefängnissen. "Das muss die Welt doch wissen!"
Dann springt er vom Rücksitz auf, auf den er sich für das Interview gesetzt hat. Es wird langsam dunkel, er möchte noch die Shwegadon Pagode zeigen, an der 2007 die Mönche demonstrierten und auch erschossen worden seien. Aber die Tür klemmt. Shell drückt immer wieder die Klinke. Er lacht: "Ich bin wieder eingeschlossen."