Keine neuen Zusagen für Italien
17. Juli 2017Die Europäische Union unterhält zwei Marine-Operationen mit Dutzenden von Schiffen im Seegebiet zwischen Italien und Libyen. Doch ihre Ziele haben die beiden Operationen mit den Namen "Triton" und "Sophia" bislang nicht erreicht. "Triton" soll in Seenot geratene Migranten vor Sizilien und Lampedusa retten. "Sophia" soll den Schlepperbanden, die von Libyen aus operieren, das Handwerk legen. Doch trotz der immer zahlreicheren Einsätze steigt die Zahl der ertrunkenen Migranten weiter an. Im ersten Halbjahr 2017 waren es schon mehr als 2000; die Dunkelziffer ist unbekannt. Trotz der Bemühungen, die libysche Küstenwache aufzubauen und in die "Sophia"-Mission einzubinden, steigt auch die Zahl der Schleusungen immer weiter an. Im ersten Halbjahr erreichten rund 86.000 vorwiegend afrikanische Migranten oder Asylbewerber italienische Häfen.
Die Außenminister der Europäischen Union zogen an diesem Montag eine Bilanz der Operationen und forderten Nachbesserungen. Italien, das hauptsächliche Aufnahmeland, macht Druck und will der ursprünglich geplanten Verlängerung des Mandats für "Sophia" nicht zustimmen. Bis zum 27. Juli läuft das Mandat noch. Der italienische Außenminister Angelino Alfano spielt auf Zeit: "Das steht jetzt nicht auf unserer Tagesordnung. Wir werden uns damit beschäftigen, wenn das Mandat verlängert werden muss, und die Regelungen und Bedingungen erfüllt sind." Der italienische Minister will erreichen, dass Seenotrettung nur noch in dem Seegebiet nahe Italien stattfindet, für das die Rettungsmission "Triton" vor zwei Jahren ursprünglich entworfen wurde. In der Praxis werden heute Migranten auch in internationalen Gewässern aus dem Meer gefischt, die bis kurz vor die libysche Küste reichen.
Verlässliche Rettung lockt Schleuser und Schlepper an
Italien wirft besonders den Nicht-Regierungsorganisationen, die private Rettungsschiffe angeheuert haben, vor, mit den Schleusern zusammenzuarbeiten, in libysche Gewässer zu fahren und so die Überfahrt für die Migranten attraktiv zu machen. NGOs wie S.O.S. Mediterranee streiten das gegenüber der DW vehement ab. Die Außenminister der EU können sich aber mit strikteren Regeln anfreunden, die helfen sollen, die Schiffsrouten der privaten Helfer zu kontrollieren.
Die Grenzschutzbehörde der EU, Frontex, hatte bereits im letzten Jahr in einer Analyse geschrieben, dass die Seenotrettung der NGOs und der offiziellen EU-Missionen einen sogenannten "pull-Faktor" darstellen. "Alle Parteien, die Seenotrettung betreiben, helfen unbeabsichtigt den Kriminellen, ihr Geschäft zu möglichst geringen Kosten zu betreiben. Die Migranten wagen die Überfahrt, weil sie sich auf die humanitären Rettungsaktionen verlassen", heißt es in der Frontex-Risikoanalyse 2017. Für den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz war deshalb in Brüssel klar, dass nicht mehr, sondern weniger Seenotrettung die Antwort auf die Krise sein muss. "Was wir schaffen müssen ist, dass sich die Menschen gar nicht erst auf den Weg nach Libyen machen. Das kann nur gelingen, wenn wir die Mittelmeerroute schließen. Je mehr Menschen sich auf den Weg nach Libyen machen, desto mehr Menschen werden dort unter schlechten Bedingungen leben, desto mehr Menschen werden ihr Leben riskieren bei der Überfahrt über das Mittelmeer." Sebastian Kurz bemängelte, dass die Zahl der Toten weiter steige, obwohl immer mehr in die Rettung investiert wird.
Mittelmeer-Route soll geschlossen werden
Österreichs Außenminister Kurz setzt wie auch die Innenminister der EU auf Abschreckung. Die Mittelmeer-Route zu schließen, so wie das zwischen der Türkei und Griechenland vorgemacht wurde, ist seit langem das Ziel der Innenminister. Das gelingt aber nicht, weil die EU mit Libyen keinen adäquaten Vertragspartner hat. Die Außenminister beschlossen deshalb bei ihrem Treffen erneut, die Anstrengungen für eine Stabilisierung Libyens zu erhöhen. Der nordafrikanische Staat wird nach wie vor nur zum Teil von einer international anerkannten Regierung beherrscht. Die EU betreibt bereits an der Südgrenze Libyens eine beratende Grenzschutzmission, die verhindern soll, dass afrikanische Flüchtlinge oder Migranten bis an die Mittelmeerküsten vorstoßen.
Italien will nicht durchwinken
In verschiedenen Zeitungen war vor dem Außenministerrat in Brüssel zu lesen, Italien drohe damit, 200 000 Visa für Migranten auszustellen, damit diese von Italien aus nach Norden weiterziehen. Dies sei die "nukleare" Option, weil Italien mit der Aufnahme Tausender Migranten Woche für Woche überfordert sei. Der italienische Außenminister Angelino Alfano wies diese Berichte zurück. Diese Zahlen seien erfunden, seine Regierung habe diese Option nicht aufgebracht. "Sicherlich haben wir eine Strategie, die effektiv sein wird und europäische Kooperation einfordert", sagte Alfano etwas wolkig. Er meint damit vor allem, dass die EU-Staaten wie zugesagt Migranten aus Italien in ihre Länder umsiedeln. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn unterstützte die Forderung Italiens nach mehr Solidarität. "Wenn wir keine Solidarität zeigen mit Italien, dann sind wir selber schuld. Dann wird es wieder eine Katastrophe geben", sagte Asselborn. Das werde nicht nur eine Katastrophe für Italien, sondern für die ganze Europäische Union. "Darum müssen wir den Punkt Relocation (Umsiedlung) anpacken, und zwar alle, alle 27 Länder."
"Kein Ticket nach Mitteleuropa"
Italien hat in den letzten Tagen auch damit gedroht, gerettete Migranten und Asylbewerber nicht mehr in die italienischen Häfen zu lassen, sondern in andere EU-Staaten zu bringen. Nach internationalem Seerecht müssen die Geretteten an einen "sicheren Ort" gebracht werden, der auch der nächste Hafen in Tunesien oder sogar in Libyen sein kann. Dazu müsste die EU diese Häfen für sicher erklären. Dazu konnten sich die EU-Außenminister aber noch nicht durchringen. Der Außenminister Österreichs, Sebastian Kurz, begrüßt die Trendwende in Italien: "Wenn Italien darüber spricht, dass es nicht sein kann, dass nach der Rettung alle Menschen in die italienischen Häfen gebracht werden, dann sage ich, endlich sind wir in die richtige Richtung unterwegs. Die Rettung im Mittelmeer darf nicht verbunden sein mit dem Ticket nach Mitteleuropa."
Österreich will den Brenner notfalls schließen
Österreich wäre von einer möglichen neuen italienischen Politik nicht betroffen, da es keinen Zugang zum Meer hat. Die Alpenrepublik will vor allem unterbinden, dass Migranten sich aus Italien in großer Zahl in Richtung Norden aufmachen. Vorsichtshalber haben Zoll und Heer auf österreichischer Seite Personal am Brenner-Pass zusammengezogen. Nach Angaben des österreichischen Innenministeriums will man am größten Grenzübergang zu Italien vorbreitet sein, falls Italien die Kontrolle verliert. "Wir werden nicht zulassen, dass Menschen an der Grenze einfach weiter gewunken werden", sagte Außenminister Kurz. Das sei das falsche Mittel und keine Lösung. Das habe man 2015 auf der Westbalkan-Route zwischen Griechenland und Deutschland gesehen.