Spektakuläre Medienkunst aus China in Berlin
6. September 2019Der Ausstellungstitel ist rätselhaft. Er erschließe sich erst durch den Bezug zum Werk des bekannten chinesischen Science-Fiction-Autors Liu Cixin, erklärt Kuratorin Anna-Catharina Gebbers, genauer gesagt, zu dessen Erzählung von 1999 "The Micro-Era", die er im Band "The Wandering Earth" publizierte. Liu spekuliert darin über eine posthumane Welt ohne historisches Bewusstsein. Darin gibt es nur zellgroße Mikromenschen, Jugendliche ohne Sorgen und Leiden, die niemals erwachsen werden. Sie sind die einzigen Überlebenden, nachdem die Sonne die Erde in Brand gesetzt hatte.
Kontext dieser vergangenheitsvergessenen, paradiesischen Gegenwart des Mikrozeitalters ist der chinesische Kulturwandel nach 1989. Cao Fei und Lu Yang reflektieren in ihren popkulturell beeinflussten Arbeiten die rasanten Veränderungen der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft. Die beiden Multimediakünstlerinnen waren von der Nationalgalerie eingeladen, sich in Berlin zu präsentieren, und sie konnten sich für ihre Schau einen weiteren Künstler als 'Dialogpartner' wählen. Cao Fei wählte den jungen Künstler Fang Di, Lu Yang ihren ehemaligen Dozenten Zhang Peili. Werke des diversen Quartetts sind jetzt in der deutschen Hauptstadt zu sehen.
Zhang Peili, der chinesische Videokunst-Pionier
Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen, nachdem Bruce Nauman die Videoinstallation in der Kunst populär gemacht hatte, bis das neue Medium seinen Weg nach China fand. Während die meisten chinesischen Künstler sich noch in kommerziell verwertbaren gerahmten Gemälden mit der gewandelten gesellschaftlichen Realität Chinas der 1980er Jahre auseinandersetzten, experimentierte Zhang Peili mit neuen kreativen Methoden. 1988 entstand seine Arbeit "30 x 30", noch mit sehr beschränkten technischen Mitteln (siehe Galerie). Zhang musste sich damals auf das Gebiet einer diplomatischen Vertretung zurückziehen, um seine Arbeit ungestört aufnehmen zu können. Die sich allen chinesischen Kunst-Konventionen verweigernde Pionierleistung ist eines der beeindruckenden Exponate.
"Damals hatten wir kaum Austausch mit ausländischen und nur eine sehr mangelhafte technische Ausrüstung. Erst in den Neunzigern begannen die intensiven Kontakte", erzählt Zhang im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Nach der Jahrtausendwende gab es dann immer mehr Ausstellungen mit Videokunst. Heutzutage ist die Medienkunst Chinas thematisch und von der eingesetzten Technik her äußerst vielfältig. Seien es Virtuelle Realität, 3-D-Animation, digitale Bearbeitungen analoger Bilder, klassische Filme und Dokumentationen wie bei dem Medienkünstler Yang Fudong, verbunden mit Performances oder in großformatigen Installationen wie bei Lu Yang - die chinesische Medienkunst ist höchst innovativ und mannigfaltig." Zhang muss es wissen, als Professor an der renommierten Kunsthochschule in Hangzhou hat er zahllose nachkommende Videokünstler beeinflusst.
Cao Fei: Mix aus Popkultur und Dokumentation
Cao Fei, die im vergangenen Jahr mit einer großen Ausstellung in Düsseldorf gewürdigt wurde, zeigt, erstmals in Deutschland, zwei umfangreiche Installationen, in denen sich Dokumentation und fiktionale Erzählung verbinden. Kernstück ihrer Multimedia-Installation "Asia One" ist ein mehr als einstündiger Film, der in einem Logistik-Zentrum spielt. Das Video vermittelt eine hyperreale Vision einer nahen Zukunft. Es zeigt in einer spielerischen Dystopie die Auswirkungen von beschleunigtem Wirtschaftswachstum, technischer Entwicklung und Globalisierung.
Als Partner hat sich die 1978 geborene Künstlerin den neun Jahre jüngeren Multimediakünstler Fang Di ins Boot geholt. Worin die Auseinandersetzung besteht, ist auf den ersten Blick weder formal noch thematisch zu erkennen. Fang Di arbeitet filmisch-dokumentarisch und erfrischend zeitgenössisch in seiner global orientierten Themenwahl. Seine Videoinstallationen basieren auf seinen Arbeitserfahrungen in Papua-Neuguinea für ein Unternehmen der chinesischen "Belt and Road"-Initiative, die seit 2013 mit mehr als 60 Ländern Asiens, Afrikas und Europas Handels- und Infrastrukturnetze knüpft.
Ein multimedialer Blick in die Zukunft
In Lu Yangs großformatigen, schnell und bunt flimmernden Arbeiten kann man sich verirren wie in den Labyrinthen einer Comic Convention. Ihre Werke entstehen ausschließlich am Computer, als virtuelle Welten und in der Ästhetik hochaktueller Videospiele. "Mangas haben meine ganze Kindheit begleitet", kommentiert die in Schanghai lebende Künstlerin. "Es gibt viele Felder, auf denen man sich künstlerisch ausdrücken kann. Für mich waren Mangas das naheliegendste." Zwei in Relation stehende Themen sind zentral für ihr Schaffen, wie sie erklärt: Esotherik, vor allem der Buddhismus, und Technologie.
Die Berliner Kleingruppenausstellung veranschaulicht den ungeheuren ökonomischen, politischen und technologischen Wandel, den China in den letzten dreißig Jahren durchlaufen hat. Die ausgestellten Medienkunstwerke öffnen aber auch den Blick in eine eher bedrohlich als verlockend wirkende globale Zukunft.
Die am 5. September im Berliner Kunstforum eröffnete Ausstellung wurde von Yu Zhang, Präsidentin der Gesellschaft für Deutsch-Chinesischen Austausch, initiiert und gemeinsam von einem deutsch-chinesischen Kuratorenteam realisiert. Sie ist bis zum 26. Januar 2020 zu sehen.